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Wahlperiode 12, Band IX, Seiten 128 und 129
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Protokoll der 14. Sitzung

macht ihn ein wenig ruhiger, und doch bin ich erleichtert, als er mir seine
Rückfahrkarte nach Wien zeigt.

Ein letztes, einem Mann kommen Tränen angesichts des Plakates von Mathias
Klemm „Stell dir vor, es gibt Schießbefehl und keiner führt ihn aus, Leipziger
Herbst 1989“. Ein zaghafter Versuch mit ihm ins Gespräch zu kommen. Er
war Kampfgruppenkommandeur in Leipzig, und ihm wird in diesem Moment
bewußt, was er, wenn der Befehl gekommen wäre, an diesem 9. Oktober
1989 getan hätte. Diese Tränen, ich muß gestehen, auch ich war bewegt,
wohl nicht zuletzt deshalb, weil ich solch eine Reaktion zum ersten Mal
erlebte. Ich denke, wir brauchten mehr solcher Tränen. Ich danke Ihnen für
Ihre Aufmerksamkeit.

Dokumentations- und Informationszentrum Torgau, Brigitte Oleschinski:
Ja, warum haben wir solche Schwierigkeiten, uns der Vergangenheit zu stellen?
Ich stelle Ihnen hier so kurz es eben geht das Projekt „Spuren des Unrechts“ in
Torgau vor, das sich mit der Geschichte von Haftstätten in Torgau beschäftigt.
Ich muß Ihnen ganz kurz erklären, was diesen Ort ausmacht. Torgau ist in
gewisser Weise ein neuralgischer Punkt der deutschen Geschichte, man könnte
auch sagen, die deutsche Geschichte hat diesem Ort mehr Probleme aufgela-
den, als ein einzelner Ort, eine kleine Kommune, eigentlich tragen kann. Es
hat dort von 1936 bis 1945 die beiden berüchtigtsten Wehrmachtsgefängnisse
der NS-Militärjustiz gegeben. Dort sind Menschen gefangengehalten worden,
mißhandelt, gefoltert, ermordet aufgrund der Militärjustiz, es hat zur gleichen
Zeit ein Kriegsgefangenenlager dort gegeben, es hat ein KZ-Außenkommando
dort gegeben, 1943–1945 zog das höchste deutsche Militärgericht, d. h.
Kriegsgericht nach Torgau. Dann, 1945–1947 hat es die Speziallager Nr. 8
und 10 dort gegeben, sowjetische Speziallager. 1950 wurde diese Haftstätte
übergeben an das DDR-Innenministerium, als Strafvollzugseinrichtung. Es
hat dort Jugendstrafvollzug gegeben und Strafvollzug auch für politische
Gefangene, gleichzeitig seit 1965 existierte in der Stadt der geschlossene
Jugendwerkhof Torgau, eine Disziplinierungseinrichtung in der Verantwortung
des Volksbildungsministeriums. Jürgen Fuchs hat darüber kürzlich unter dem
Stichwort „Die Schnürsenkel von Torgau“ berichtet.

Diese Massierung von Haftstätten in einer Stadt, die ungefähr 23.000 Einwoh-
ner hat, hat so eine Art doppeltes Tabu erzeugt. In der DDR-Zeit wurde weder
über die NS-Militärjustiz noch über die Gegenwart dieser Haftstätten gespro-
chen. Die Aufarbeitung der NS-Militärjustiz wurde ganz massiv behindert
durch Stasi, durch Eingriffe gegen Versuche, dort Forschungen zu machen.
Das Tabu des Strafvollzugs in der DDR brauche ich, glaube ich, nicht weiter
zu erläutern. Wir haben es dort mit einer Fülle von Aufarbeitungsproblemen
zu tun. Es gibt zum einen Betroffene, Opfer vor 1945, Opfer nach 1945,
wo im Grunde genommen in der Art greller Symbolik sich auch zeigt, wie
schwierig in Deutschland die Geschichte vor 1945 mit der Geschichte nach

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Erfahrungsaustausch

1945 verklammert ist. Zu den vielen, die nach 1945 zu Unrecht in Torgau
gefangen gehalten wurden, erst im Speziallager, später im Strafvollzug, zu
denen gehörten auch Menschen, die beispielsweise verurteilt waren wegen
Mißhandlung im Wehrmachtsgefängnis. Also so komplizierte Probleme gibt
es dort. Das ist eine in gewisser Weise singuläre Problemlage, die auch
einen gesamtdeutschen Einsatz erfordert. Wir haben dort inzwischen einen
Förderverein, der aus einer Ost- und West-Initiative entstanden ist, einen
gemeinnützigen Förderverein, der jetzt seit 1 1/2 Jahren besteht. Wir haben
uns zum Ziel gesetzt, dort drei Dinge gleichzeitig zu ermöglichen, die wir
alle für unverzichtbar halten. Nämlich einmal das Gedenken an diesem Ort,
daß Opfer dort einen Platz haben, an dem sie ihrer Leiden gedenken können,
die Überlebenden und die Angehörigen einen Platz haben, an dem sie an die
Toten denken können. Gleichzeitig muß dort Forschung möglich sein über
diese kurz angesprochenen sehr komplizierten Probleme. Das ist ein Ort,
der nicht nur einfach Gedenken und wissenschaftliche Forschung auf sich
ziehen muß, sondern das muß auch ein Ort sein, an dem in den aktuellen
Zusammenhängen über Vergangenheitsbewältigung als Problem derzeitiger
politischer Kultur gesprochen werden kann. Der Förderverein hat inzwischen
eine ganze Reihe von Projekten in Gang gebracht. Der Förderverein selbst
ist recht klein, hat aber auch einige illustre Mitglieder, zum Beispiel den
sächsischen Landtagspräsidenten Erich Iltgen oder den sächsischen Justizmi-
nister Steffen Heitmann. Wir haben zunächst ein kleines Flugblatt gemacht,
was für Betroffene und Besucher eine allererste Information ermöglicht. In
Zusammenarbeit mit dem Bundesinnenministerium haben wir eine kleine
Wanderausstellung gemacht, die also durch verschiedene Städte gewandert ist,
z. B. auch in der Frankfurter Paulskirche hing. Wir machen eine ganze Reihe
von Veranstaltungen, Lehrerfortbildung, Geschichtswerkstatt, Videoprojekte
mit Schülern, haben jetzt im Juli ein großes Seminar gemacht, „Verriegelte Zei-
ten“, über den Strafvollzug in der DDR. Das machen wir in Zusammenarbeit
mit verschiedenen Bildungsträgern, ev. Akademien, Friedrich-Ebert-Stiftung.
Wir machen im Herbst ein Häftlingstreffen für Häftlinge nach 1945, im kom-
menden Frühjahr eines für die Häftlinge vor 1945. Wir haben im Augenblick
eine sehr aktuelle Diskussion, die sich beschäftigt mit der Frage, wie kann
man an diesem Ort gemeinsam der Opfer vor 1945 und der Opfer nach 1945
gedenken. Es wird dort ein gemeinsames Gedenkkreuz geben, ein ziemliches
Novum in dieser Frage. Wir bemühen uns, die Forschung voranzubringen.
Es wird derzeit an einer Dokumentation gearbeitet über den geschlossenen
Jugendwerkhof. Wir hoffen auf Förderung aus dem Bundesinnenministerium
für einen Sammelband, der die Gesamtprobleme einmal skizziert, und wir
arbeiten an einer ständigen Ausstellung, die wir hoffen, 1995 fertigstellen zu
können.

Diese vielen Projekte werden derzeit nur punktuell gefördert. Das muß man

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