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in Leipzig geboren, sondern immer auch in Leipzig geblieben. Herr Dirschka
ist Elektromeister, geschäftsführender Gesellschafter eines Betriebes mit 30
Mitarbeitern und acht Lehrlingen. Seit 1990 ist er Präsident der Handwerks-
kammer in Leipzig und Mitglied des Präsidiums des Zentralverbandes des
Deutschen Handwerks. Ich bitte Sie ums Wort.
Joachim Dirschka: Schönen Dank Herr Vorsitzender, meine sehr verehrten
Damen und Herren Bundestagsabgeordnete, liebe Damen und Herren. Das
Handwerk und der Mittelstand haben mit der Wiederherstellung der deutschen
Einheit in den neuen Ländern eine rasante Entwicklung erfahren – dieses Auf-
blühen der mittelständischen Wirtschaft wirkte sich katalysierend auf die ge-
samten neuen Bundesländer aus.
Die Zahl der kleinen und mittelständischen Unternehmen wuchs im Zuge der
Gründungswelle von 1990 bis 1993 auf nahezu eine halbe Million an. Der
Aufbau dieser Unternehmen stellte den Großteil der neu geschaffenen Arbeits-
plätze in den neuen Ländern zur Verfügung. Während die industriellen Groß-
betriebe im Zuge der Privatisierung und Neustrukturierung Arbeitsplätze in
Größenordnungen abbauten bzw. infolge der mangelnden Produktivität be-
deutungslos wurden, entstanden in den sich entfaltenden kleinen und mittel-
ständischen Unternehmen Arbeitsplätze für Tausende Menschen. Mit dieser
Entwicklung wurde ganz maßgeblich zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes in
den neuen Ländern und zur Durchführung des politischen Umwandlungspro-
zesses beigetragen.
Sechs Jahre nach der Wiederherstellung der deutschen Einheit besteht in den
neuen Ländern eine breite Basis kleiner und mittelständischer Unternehmen,
die aber auf sehr wackligen Füßen steht und einer dringenden Konsolidierung
bedarf.
Die Unternehmen in der DDR agierten bis 1989 in einem Markt, der durch die
Bilanzierung der Betriebe im System der Planwirtschaft recht deutlich abge-
steckt war. Die Kapazität der Betriebe wurde über den verlängerten Arm der
Planwirtschaft reguliert, indem verfügbare Materialien und Ausstattungen nur
im Umfang des dem Unternehmen in der Wirtschaft zugedachten Segments
zur Verfügung standen und das Produktionsvolumen definiert war. Die Unter-
nehmen operierten in einem abgeschotteten System, das kaum Freiheitsgrade
für unternehmerisches Risiko und Expansion ließ.
Im Zuge der politischen Veränderungen sahen sich die Unternehmen im Jahre
1990 dem marktwirtschaftlichen Bedingungsgefüge gegenüber, in dem sich
das Element „Markt“ als äußerer Zwang der Unternehmensentwicklung eta-
blierte. Diese Situation erzwang von allen Unternehmern eine grundlegende
Umstellung sowie ein grundlegendes Umdenken.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, gestatten Sie mir, einige der vollzo-
genen Änderungen an wenigen Beispielen aus dem Wirtschaftsbereich Hand-
werk zu illustrieren, um die Tragweite der vollzogenen wirtschaftliche Verän-
derungen anschaulich zu machen:
Die Handwerksbetriebe in Ostdeutschland agierten zum Großteil im Bereich
der Versorgung und Dienstleistung für die Bevölkerung bzw. waren im produ-
zierenden Gewerbe als Zulieferer an die Industriebetriebe gebunden. Insbeson-
dere im mitteldeutschen Raum mit seiner stark ausgeprägten Großindustrie
funktionierte diese Symbiose auf einem sehr hohen Niveau. So waren im Ge-
biet des heutigen Freistaates Sachsen zahlreiche Handwerksbetriebe als Zulie-
ferer für die metallverarbeitenden Betriebe sowie im Maschinen- und Fahr-
zeugbau tätig. Diese Unternehmen befanden sich aufgrund der relativen Kon-
stanz im Bereich der Produktpalette und der zentralistischen Planung des Pro-
duktionsausstoßes in der Industrie in einer sehr stabilen wirtschaftlichen Si-
tuation.
Mit dem Niedergang der Industriebetriebe nach 1990 und der fehlenden bzw.
ungenügenden Industrieansiedlung wurden diese Betriebe in eine schwierige
Situation gestürzt, da der einstige Hauptauftraggeber nicht mehr existent und
adäquate Ersatzaufträge nicht in Sicht waren. Der Anteil der Zulieferleistungen
reduzierte sich innerhalb kürzester Zeit auf schätzungsweise ein Zehntel des
vorherigen Volumens. Die produzierenden Metall- und Elektrobetriebe im
Handwerk haben, regional unterschiedlich, noch heute unter dem fehlenden
Industriebesatz zu leiden und müssen unter sehr schwierigen Bedingungen
nach neuen Aufträgen suchen. So konnte im Regierungsbezirk Leipzig bereits
1994 von einer weitestgehend erfolgten Stabilisierung der produzierenden
Metall-/Elektrobetriebe ausgegangen werden, während im Raum Chemnitz
dieses Problem noch bis in die Gegenwart hineinreicht. Im Raum Leipzig
konnten sich zahlreiche der einstigen Industriezulieferer aufgrund des einset-
zenden Baubooms im Ausbaugewerbe etablieren und durch eine Umstellung
der Angebots- und Produktpalette ihre Existenz sichern.
In den erfolgten Industrieansiedlungen von bundesweit operierenden Unter-
nehmen im Freistaat Sachsen wurde oft auf bestehende Zuliefererstrukturen
zurückgegriffen, so daß die einheimischen Unternehmen nur schwer an die be-
gehrten Aufträge gelangten. Hier spielt zumeist nicht die Qualität bzw. die ver-
fügbare Kapazität der Unternehmen eine Rolle, sondern es wird auf gewachse-
ne Zulieferstrukturen zurückgegriffen, die teilweise auch in die Billiglohnlän-
der hineinreichen.
Einen besonderen starken Auftrieb erlebte in den neuen Ländern das kleine
und mittelständische Baugewerbe. Waren zu DDR-Zeiten wenige Baukombi-
nate dominant, die den staatlichen Wohnungs- und Gewerbebau unter sich
aufteilten, so drängten mit der deutschen Einheit und der einsetzenden Bautä-
tigkeit sowohl die industriellen Großunternehmen der Bauwirtschaft als auch
zahlreiche handwerkliche Anbieter auf den Markt, die nachhaltig die Bauland-
schaft prägten. Gerade die handwerklichen Bauunternehmen entwickelten sich
sehr schnell und konnten einst von Staatsunternehmen beanspruchte Bereiche
für sich erschließen. Mit diesen Unternehmen wurde die in den neuen Ländern
vorher in diesem Ausmaß nie gekannte Baunachfrage befriedigt, wodurch die
dringend notwendigen Investitionen überhaupt realisierbar wurden. Gerade in