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Wahlperiode 13, Band IV/1, Seiten 10 und 11
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Protokoll der 6. Sitzung

Protest zusammenfanden. In der Zeit nach dem Sturz der SED-Diktatur sind in
den Schulen und Hochschulen viele Veränderungen durchgesetzt worden.
Trotzdem irritieren immer wieder Meldungen, in denen vom Fortwirken alter
Seilschaften berichtet wird. Sie, verehrte Gäste, werden sich also darauf ein-
richten müssen, daß wir viele Fragen haben werden. Die Schulen und Hoch-
schulen spielen eine wichtige Rolle im Prozeß der deutschen Einheit, da wol-
len und müssen wir sehr genau nachfragen: Wie weit sind wir dort bei der
Überwindung der Folgen der SED-Diktatur inzwischen gekommen? Wo gibt
es Schwierigkeiten? Was läuft gut? Wo ist was zur Gestaltung der Gegenwart
und Zukunft zu leisten? Diese Gegenwart und Zukunft verwirklicht sich im
Prozeß der deutschen Einheit. Wo zeigt sich das Morgen im Heute? Wo dürfen
wir das Gestern nicht übergehen, wenn wir im Heute unserer Schulen und
Hochschulen bewußt das Morgen leben wollen? Ich möchte den ersten, Dr.
Matthias Wagner aus dem Bundesarchiv in Potsdam, bitten, zu seinem Thema
„Das Nomenklatursystem – Hauptinstrument der Kaderpolitik der SED“ das
Wort zu nehmen.

Dr. Matthias Wagner: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! Das
Nomenklatursystem, über welches ich berichten möchte, ist Kaderpolitik im
engsten Sinne. Es ist ein machttechnisches System, welches nahezu alle Berei-
che der DDR umklammert hatte, so auch den Bereich der Schulen und Hoch-
schulen. Zentralstaatliche Systeme sind nur vom Kopf her zu verstehen, das
heißt, erst wenn man das Zentrum kennt, ist es möglich, zu Teilbereichen vor-
zudringen. Deswegen sehen Sie es mir jetzt bitte nach, wenn ich mich in mei-
ner Darstellung auf dieses Zentrum beschränke, auch deshalb, weil erst dieses
eigentlich richtig bekannt ist. Strukturen und Mechanismen, noch dazu, wenn
sie gut durch Geheimhaltung und Aktenvernichtung geschützt wurden wie das
Nomenklatursystem, müssen zunächst erst einmal erkannt und verstanden
werden.

Das Nomenklatursystem ist im Prozeß der Jahre 1989/90 untergegangen, ohne
daß es bemerkt worden wäre. Dies betrifft nicht nur die Kenntnis darüber, son-
dern auch große Teile der schriftlichen Überlieferung. Allerdings war die Be-
stätigung der Nomenklaturen Sache der höchsten Leitungsgremien, also auf
der zentralen Ebene der des Politbüros des ZK der SED bzw. der des Präsidi-
ums des Ministerrates, so daß mit dem Erhalt der Überlieferung dieser jeweili-
gen höchsten Ebenen in Form von Sitzungsprotokollen mit Vorlagen die be-
stätigten Nomenklaturen noch ermittelbar sind.

Unter Kenntnis dieses Sachverhaltes war es möglich, anhand von Dokumenten
aus den Beständen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands in der Stif-
tung Archiv der Parteien und Massenorganisationen im Bundesarchiv und des
Ministerrats in der Abteilung V des Bundesarchivs in Potsdam die zentrale
Ebene des Nomenklatursystems einigermaßen zu rekonstruieren. Natürlich
mußte dabei in Kauf genommen werden, noch nicht alle Fragen beantworten
zu können. Dies war aber zu vernachlässigen, um eines der wesentlichsten
Machtinstrumente der SED zu entziffern und zu verstehen.

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Die Kaderpolitik der SED an Schulen und Hochschulen

Konkret stellt sich die Frage: Wie hat die SED die „führende Rolle“, die sie für
sich beanspruchte, ausgeübt, wie hat sie ihren absoluten Machtanspruch in na-
hezu alle Bereiche der Gesellschaft ausgedehnt? Einen Teil der Antworten gibt
die Kenntnis des Nomenklatursystems. Zunächst ist also nach der Zielstellung
des Nomenklatursystems zu fragen bzw. auch, woher es kommt. Die Zielstel-
lung besteht kurz und bündig darin, die Herrschaft der zentralen Parteibüro-
kratie über die Gesellschaft dadurch zu sichern, daß alle entscheidenden Posi-
tionen der Gesellschaft in Abhängigkeit von der Zentrale mit diesen genehmen
Menschen besetzt werden. Der „Nomenklatura-Trilogie“ von Michail Vos-
lensky (also „Nomenklatura. Die herrschende Klasse der Sowjetunion“ und
noch zwei Folgen, die letzte: „Das Geheime wird offenbar“) ist zu entnehmen,
daß das Prinzip der Kadernomenklatur eindeutig auf Josef Wissarionowitsch
Stalin selbst zurückgeht und ursprünglich von ihm als Machtmittel im Kampf
gegen seine Mitkonkurrenten eingesetzt wurde. Die machttechnische Funktio-
nalität dieses Verfahrens ließ das Nomenklatursystem zu einer der Grundkom-
ponenten realer Machtausübung kommunistischer Staatsparteien werden. Of-
fensichtlich wurde es dann als fester Bestandteil des sowjetischen, besser stali-
nistischen Modells auf alle osteuropäischen Staaten in Moskaus Einflußbereich
übertragen.

Welches sind die Bestandteile des Nomenklatursystems? Voslensky definierte
diese so, ich zitiere:

„1. Das Verzeichnis der leitenden Posten, deren Besetzung nicht der Ressort-
chef wahrnimmt, sondern eine höhere Stelle, und

2. das Verzeichnis der Personen, die diese Posten innehaben oder als Reserve
dafür in Frage kommen.“

Ziehen wir daraus das Fazit und kehren das etwas um. Die Grundkomponenten
sind also erstens die Menschen, zweitens die Positionen.

Der Schlüssel für erstens ist der Begriff der „Kaderpolitik“, in dem das Prinzip
der Nomenklatur inbegriffen ist. „Kaderpolitik“ ordnet Menschen aus der Sicht
der Staatspartei ein, bewertet sie, entscheidet über ihre Eignung aus deren
Sicht. Die Prämissen der „Kaderpolitik“ verdeutlicht ein Zitat von Stalin auf
dem XVIII. Parteitag der KPdSU, ich zitiere:

„Nachdem eine richtige politische Linie ausgearbeitet und in der Praxis erprobt
ist, sind die Parteikader die entscheidende Kraft der Partei- und Staatsfüh-
rung.“

Folglich wäre die erste Grundkomponente – die Menschen – geklärt. Diese
entstammen in erster Linie der kommunistischen Staatspartei. Die DDR war
hier wegen der „Blockparteien“ ein Sonderfall. Über die Stufen einer freund-
schaftlichen Beteiligung, Abdrängung und Vereinnahmung sicherte die SED
aber bis in die achtziger Jahre hinein ihre totale Herrschaft. Im ZK der SED
führte die Abteilung Befreundete Parteien die Spitzenfunktionäre der Block-
parteien in ihrem Teil der Kadernomenklatur des ZK der SED.