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Wahlperiode 13, Band IV/1, Seiten 30 und 31
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Protokoll der 6. Sitzung

enthalten: Die Studenten, die von der Partei in die Sowjetunion geschickt wur-
den, sind Nomenklaturkader.

Die Frage mit der Erbfolge ist ein bißchen schwierig zu beantworten. Ich neh-
me an, daß der natürliche Vaterstolz sicher auch dem Kind eine angemessene
Perspektive sichern wollte, und die konnte sehr unterschiedlich sein. Man
konnte es zum MfS schicken, es gibt ja bekannte Fälle. Voslensky schreibt in
seinem Buch, die Nomenklatura wird erblich. Vielleicht ist dafür die DDR
nicht alt genug geworden, um das beantworten zu können, denn die Herren
und die wenigen Damen sind ja nun alle weit übers Rentenalter hinaus im Amt
geblieben. Sie haben für ihre Kinder gesorgt, das ist nachweisbar, die sind in
gute Positionen gekommen, die wurden bevorzugt in die Sowjetunion ge-
schickt zum Studium usw., also vor allen Dingen Kinder von höheren Partei-
funktionären wurden bevorzugt beim Studium in der Sowjetunion.

Zur Frage nach den Privilegien: Ich glaube, das Hauptprivileg war es, Nomen-
klaturkader zu sein, man gehörte einer ausgewählten Elite an. Besonderen
Stellenwert bei dem, was man so als Privilegien bezeichnen könnte, hatten er-
fahrungsgemäß die Altersversorgung und die Gesundheitsfürsorge, da sehr
viele Ältere darunter waren. Quantitativ am stärksten besetzt mit Nomenkla-
turkadern war z.B. das Regierungskrankenhaus. In den Akten finden wir oft
andere Privilegien, also die Urlaubsmöglichkeiten waren besser, die medizini-
sche Betreuung war besser, die Bezahlung war besser –, das ist ja klar, wenn
man die höheren Positionen hat, aber ich meine, in jedem Land geht es wahr-
scheinlich den oberen Zehntausend so schlecht nicht. Wir haben in den Akten
leider auch wenig Nachweise über Privilegien. Ein einziges Schriftstück ist mir
bisher aufgefallen, wo dieses Wort, aber nicht im Zusammenhang damit, fällt,
und zwar ist das eine Analyse aus dem Bereich Ordnung und Sicherheit beim
Ministerrat. Dort wird ein Diebstahl im „Nomenklaturverkauf“ gemeldet. Also
zwei Flaschen Chateau und eine Flasche Mainzer Domherr waren entwendet
worden aus dem Nomenklaturverkauf, und das wurde natürlich mit allen Schi-
kanen untersucht, welcher – wahrscheinlich – Haushandwerker der Missetäter
war.

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank, Herr Dr. Wagner. (Bei-
fall) Wir bitten als nächsten um seinen Vortrag Herrn Professor Weiss, den
Rektor der Universität in Leipzig.

Prof. Dr. Cornelius Weiss: Herr Vorsitzender, meine sehr verehrten Damen
und Herren, mein Bericht wird sehr viel weniger wissenschaftlich sein, als es
der meines Vorredners gewesen ist. Es ist der subjektive Bericht eines Men-
schen, der an seiner Familie und sich selbst die Kehrseiten der Kaderpolitik
erlebt hat. Zwei Vorbemerkungen: Zunächst einmal bin ich der Überzeugung,
daß die sozialistische Kaderpolitik eine der Ursachen für den wirtschaftlichen
und moralischen Niedergang der DDR war, denn sie war, das möchte ich vor-
wegnehmen, zumindest partiell eine negative Auslese. Die zweite Vorbemer-
kung sind einige Zitate. Ich habe in Vorbereitung auf diesen Abend in alten
DDR-Wörterbüchern gestöbert. Dort wird als Kader definiert: „Ein planmäßig

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Die Kaderpolitik der SED an Schulen und Hochschulen

herangebildeter Stamm von Personen, die an Vorbereitung, Formulierung,
Ausführung und Kontrolle von Entscheidungen (zu ergänzen ist – der SED)
maßgeblichen Anteil haben. Kader sollten sich durch folgende Eigenschaften
auszeichnen: Ergebenheit und Treue zur Arbeiterklasse und ihrer Vorhut, der
SED, Bereitschaft, die Parteilinie durchzusetzen, Wachsamkeit gegenüber dem
Klassenfeind und Unduldsamkeit, hervorragendes (an fünfter Stelle) politi-
sches und fachliches Wissen (das fachliche also an sechster), ständiges Stre-
ben nach Vervollkommnung ihrer marxistisch-leninistischen Kenntnisse.“ Als
Kaderpolitik wurde in diesem Lexikon definiert „die Gesamtheit der Prinzipien
für die Auswahl, Erziehung, Verteilung und Kontrolle dieser Kader.“ Und ich
stimme meinem Vorredner, Herrn Dr. Wagner, zu, diese Kaderpolitik er-
streckte sich auf alle Bereiche des öffentlichen Lebens in der DDR, also auf
die SED selbst, selbstverständlich auf den Staatsapparat, auf die Wirtschaft,
auf die Bildungs- und Forschungseinrichtungen, somit auch auf die Universi-
täten, auf die bewaffneten Organe. Sie erstreckte sich auf alle Massenorgani-
sationen vom FDGB über FDJ, DTSB, DSF bis zum Kulturbund. Sie er-
streckte sich auf die Wahlgremien, nicht nur auf die Volkskammer, sondern
auch auf die Räte der Bezirke und Kreise und selbst auf die Elternbeiräte und
Elternaktive in den Schulen, und sie erstreckte sich natürlich auch auf die
Blockparteien.

Die Kaderarbeit ging nach meiner subjektiven Überzeugung von der zynischen
Voraussetzung aus, daß durch genügend lange und intensive ideologische Ge-
hirnwäsche jeder Mensch verbogen, nach dem SED-Jargon zur „allseitig ge-
bildeten sozialistischen Persönlichkeit“ erzogen werden kann. Sie setzte daher
schon im zartesten Kindesalter an. So gehörten in den staatlichen Kindergär-
ten, die übrigens unter der Obhut des Ministeriums für Volksbildung standen,
Themen zum Programm wie: „Wir lieben unser sozialistisches Vaterland, die
DDR“, „Wir verehren die führenden Genossen der Partei“, das heißt natürlich
der SED, oder „Wir bewundern die Soldaten der NVA, die auf Friedenswacht
stehen“, das war vor allem um die Weihnachtszeit. All dies gehörte zum Er-
ziehungsprogramm der Kindergärten. Inwieweit es realisiert wurde, weiß ich
nicht, denn meine eigenen Kinder besuchten glücklicherweise einen kirchli-
chen Kindergarten. Auf jeden Fall erhielten die Kinder, wenn sie den Kinder-
garten verließen, eine Abschlußbeurteilung, die bei der Einschulung vorgelegt
wurde. Genau mit der Einschulung begann dann auch der erste Teil der Kader-
arbeit in folgenden Komponenten: Erstens wurde schon die Klassenzusam-
mensetzung aufs feinste ausgetüftelt, bevor überhaupt der erste Schultag war,
auf der Grundlage der eben von mir erwähnten Beurteilungen, auf der Grund-
lage der sozialen Herkunft und der SED-Mitgliedschaft der Eltern. Soziale
Herkunft und SED-Mitgliedschaft der Eltern vermischten sich übrigens inso-
fern, als ja längst Funktionsträger aus NVA, Volkspolizei, ABI und Partei zur
sogenannten Arbeiterklasse gehörten. Zweiter Punkt der Kaderarbeit in den
Schulen: Die Eltern, die der SED angehörten, wurden schon im Vorfeld aufge-
fordert, in das Klassenelternaktiv einzutreten. Andere, die sich bei der ersten
Elternversammlung freiwillig meldeten, wurden bestenfalls geduldet, auf jeden