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Das Unbehagen angesichts einer Situation, in der der eigene wissenschaftliche
Anspruch sich als unvereinbar mit der politischen Überzeugung, jedenfalls aber
mit der Stellung innerhalb eines politischen Systems zeigte, schlug sich schon
kurz nach der Wende in der Legende vom heimlichen Widerstand der Histori-
ker nieder, im regelmäßigen Verweis auf die jenseits ihres politischen Zwecks
bestehende wissenschaftliche Substanz bisheriger wissenschaftlicher Arbeit.
Diese Substanz wird sich, wo sie tatsächlich besteht, im wissenschaftlichen
Diskurs bewähren müssen. Das Versagen der überwiegenden Mehrheit der
Historiker als Bürger, ihre zumeist willige Funktionserfüllung als Instrument
der Propaganda sind unabhängig davon und führen im öffentlichen Diskurs zur
moralischen Entwertung selbst professionell wichtiger Arbeiten. Ich danke
Ihnen. (Beifall)
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank, Herr Dr. Florath. Die
nun folgende Diskussion wird Herr Professor Ortleb, Mitglied der Enquete-
Kommission, leiten.
Gesprächsleiter Prof. Dr. Rainer Ortleb: Herr Vorsitzender, meine Damen
und Herren! Mit Rücksicht auf die Öffentlichkeit unserer heutigen Anhörung
würde ich gern ein paar Stichworte zu den Lebensläufen der beiden Vortragen-
den nennen. Herr Professor Anweiler ist 1925 geboren, promovierte 1954 in
Hamburg, nach Jahren des Schuldienstes und der Assistenz habilitierte er 1963.
Seit 1963 ist er in verschiedenen Berufungen in Lüneburg und Bochum tätig
gewesen. Seine besondere wissenschaftliche Aufmerksamkeit, auch ausgewie-
sen durch Vizepräsidentschaft und Präsidentschaft in nationalen und interna-
tionalen Gremien, orientierte sich vor allem auf Osteuropa und Sowjetunion. –
Herr Dr. Florath ist 1954 geboren, legte 1973 das Abitur ab und studierte
anschließend nach dem Wehrdienst an der Humboldt-Universität zu Berlin
Geschichte. Es sei vermerkt, daß „Bewährung in der Produktion“ für ein Jahr
darauf schließen läßt, daß er – ironisch ausgedrückt – die Normen eines „so-
zialistischen FDJ-Studenten“ verletzt hat und demzufolge erst in Wiederein-
gliederung erneut ins Studium kam. Trotzdem 1987 Promotion. Er hat in den
heißen Jahren 1989/90 versucht, die SED mit aufzulösen, was ihm nicht gelun-
gen ist, so daß er schließlich politisch in das Neue Forum fand. Heute ist er als
Assistent im Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität
zu Berlin tätig.
Ich habe bereits drei Wortmeldungen vorliegen, und zwar Herrn Meckel, Herrn
Weber und Herrn Jacobsen. Herr Meckel, bitte.
Abg. Markus Meckel (SPD): Die erste Frage an Herrn Professor Anweiler:
Hier würde ich Sie grundsätzlich bitten, einige Bemerkungen zu den Nachwir-
kungen dessen zu machen, über das Sie da gesprochen haben. Es gehört ja für
uns zu den Schwerpunkten unserer Enquete-Kommission, daß wir eben jetzt
nicht nur historisch fragen wollen, wie es war, sondern daß wir uns damit
beschäftigen wollen, wie die Geschichte nachgewirkt hat und wie wir heute mit
den Folgen umgehen, vor welchen besonderen Problemen wir dabei stehen.
Zum zweiten möchte ich Sie bitten, noch einige Punkte zu benennen – viel-
leicht anhand von Beispielen –, wo sich im Wandel der Zeit auch innerhalb der
DDR Veränderungen ergaben. Obwohl der Wahrheitsanspruch fraglos immer
der gleiche war, gab es doch unterschiedliche Phasen, in denen unterschiedli-
che Schwerpunkte im Mittelpunkt des staatlichen Interesses standen. Wie steht
es mit den vielbesprochenen Nischen, in denen sich ein fachwissenschaftliches
Eigenleben entwickelt hat, von dem man sagen kann, daß es wissenschaftlich
auch international anerkannt war?
Eine weitere Frage an Sie: Wir haben von Herrn Dr. Florath gehört, daß es
verschiedentlich bei den Historikern Differenzierungen gab, wo Propaganda-
und Bildungsveranstaltungen ein besonderer Schwerpunkt waren, daß es dane-
ben aber auch Bereiche gab, in denen Wissenschaftler ihre kleinen Publikatio-
nen und Kongresse machen konnten, in denen manches möglich war, was in
Schulbücher und andere Bildungsmaterialien aber keinen Eingang gefunden
hat. Wie sehen Sie das für andere Bereiche der Wissenschaft?
An Herrn Dr. Florath die Frage: Sie haben ja schon einiges zu den Nachwir-
kungen gesagt. Ich möchte auf die Nachwirkungen in den Köpfen, insbesonde-
re im Bereich von „Erbe und Tradition“, zu sprechen kommen. Welche Mög-
lichkeiten gab es für Wissenschaftler an der Akademie oder an den Universi-
täten, in ihren Arbeitsbereichen an westliche Literatur heranzukommen, sich
auch sonst andere Informationen zu verschaffen? Welche Vorschriften gab es,
Literatur zu zitieren, also etwa die sogenannten obligatorischen „Kirchenvä-
ter“, die obligatorischen Zitate aus den Marx-Engels-Werken? Gab es Beispie-
le, wo möglicherweise auch durch die wissenschaftliche Auseinandersetzung,
die vielleicht in irgendwelchen Nischen stattgefunden hat, etwas in andere,
auch öffentlichkeitswirksame Bereiche durchgedrungen ist, was damit nicht
nur hinter verschlossenen Türen diskutiert wurde? Dies ist also nochmals eine
Frage nach den Nachwirkungen in den Köpfen der Bevölkerung. Ich erinnere
mich an das eigene Erleben als Pfarrer. Viele ideologische Denkmuster haben
das Denken breiter Schichten der Bevölkerung relativ stark geprägt. Das war
auch im kirchlichen Unterricht zu merken., etwa bei Konfirmanden. Das hat
natürlich noch heute seine Wirkungen. Wie sehen Sie hier die Herausforderun-
gen, und was würden Sie Politik und Gesellschaft raten, was man tun kann,
was man tun müßte im Umgang mit diesen Nachwirkungen?
Gesprächsleiter Prof. Dr. Rainer Ortleb: Herr Professor Weber.
Sv. Prof. Dr. Hermann Weber: Herr Florath, Sie hatten in diesen Instrumen-
talisierungsprozeß der Geschichtswissenschaft Erbe und Tradition hineinge-
stellt und gezeigt, daß damit auch in den achtziger Jahren die Rolle der Legiti-
mation der Herrschaft die Hauptaufgabe der Geschichtswissenschaft geblieben
ist. Nun könnte man darüber streiten, ob nur Ulbricht eine Geschichtskonzepti-
on hatte. Er hat natürlich immer behauptet, Historiker sei sein dritter Beruf,
dadurch fiel das mehr auf, er hat mehr direkt eingegriffen. Aber ich denke,
auch unter Honecker war es so, daß der Versuch, die Tradition der Arbeiterbe-