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Wahlperiode 13, Band IV/1, Seiten 172 und 173
172
Protokoll der 12. Sitzung

Wir haben uns weiter stark dafür eingesetzt, daß die neu berufenen Professoren
auf die positiv evaluierten wissenschaftlichen Mitarbeiter zugehen und daß sie
bei der Vorbereitung einer Habilitation, u. a. auch durch Unterstützung von
Anträgen auf Habilitationsstipendien bei der DFG, helfen. Gleichzeitig haben
wir erwartet, daß die wissenschaftlichen Mitarbeiter von sich aus den Kontakt
zu den neuen Professoren suchen. Über den Stifterverband ist es mir weiter
gelungen, Mittel für sogenannte Orientierungsstipendien im Ausland für
Nachwuchswissenschaftler der Humboldt-Universität oder der Akademie zu
erhalten. Diese wurden von den historischen Auslandsinstituten in Rom, Paris,
London und Washington und vor allem auch besonders großzügig vom St.
Antony’s College in Oxford, wo ja Lord Dahrendorf jetzt Warden ist, zur
Verfügung gestellt. Diese Orientierungsstipendien sollten den jungen Wissen-
schaftlern die Möglichkeit geben, sich möglichst schnell mit dem internationa-
len Forschungsstand vertraut zu machen und Kontakte im Ausland zu knüpfen.

Enttäuscht waren wir, das muß ich sehr deutlich sagen, über den außerordent-
lich starken passiven Widerstand in der Universität gegen die Aufnahme von
Mitarbeitern der Akademie der Wissenschaften, die offenbar nicht, wie wir
vielleicht naiv gehofft hatten, als Bereicherung, sofern sie gut waren, sondern
vielfach als unliebsame Konkurrenten aufgefaßt wurden. Auch glaube ich, daß
bei der Förderung der Habilitation von ostdeutschen Wissenschaftlern im
Bereich der Geschichte sehr viel mehr hätte geschehen können als geschehen
ist. Ich bedaure das außerordentlich, spreche immer wieder mit Kollegen und
versuche, es zu korrigieren, aber natürlich nur mit sehr begrenztem Erfolg.

Insgesamt bin ich der Meinung, daß die grundlegende Erneuerung der ostdeut-
schen Universitäten notwendig war, um aus ihnen lebendige, international
wettbewerbsfähige Stätten der Lehre und Forschung zu machen, und daß dieser
Neuaufbau aus eigener Kraft, wie das faktische Scheitern aller Erneuerungs-
versuche bis zum Februar 1991 zeigt, nicht zu erreichen war. Bei der Erneue-
rung der Humboldt-Universität hat sich, auch das möchte ich betonen, die enge
sachliche Zusammenarbeit von Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeitern
und Studenten aus den alten und neuen Bundesländern, jedenfalls in der von
mir geleiteten Kommission, außerordentlich gut bewährt. Ich kann mich nicht
an eine einzige Entscheidung in diesen 1 1/2 Jahren erinnern – wir haben sicher
etwa 22 bis 23 meist mehrtägige Sitzungen abgehalten –, an der gewisserma-
ßen die Frontlinie bei Abstimmungen zwischen Mitgliedern aus dem Osten und
dem Westen verlief. Ich glaube, unser Beispiel zeigt, daß auch in anderen
Bereichen die so oft zitierte Mauer in den Köpfen zwischen Ost und West
besser überwunden worden wäre, wenn man statt übereinander mehr miteinan-
der gesprochen und noch besser miteinander gearbeitet hätte. (Beifall)

Gesprächsleiter Prof. Dr. Peter Maser: Vielleicht ist mit den letzten Worten
von Herrn Ritter ja schon ein Blick in die Zukunft eröffnet. Ich habe bisher
fünf Wortmeldungen vorliegen: Herr Jacobsen, Herr Burrichter, Herr Huber,
Herr Kowalczuk und Herr Braune. Herr Jacobsen, bitte.

173
Instrumentalisierung von Wissenschaft/ Bildung

Sv. Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Adolf Jacobsen: Zunächst möchte ich mich für
die Kurzvorträge, die hier gehalten worden sind, bedanken. Die Herren haben
eigentlich in überzeugender Weise dargelegt, daß dieses Thema, die Bildungs-
situation, im Hinblick auf das vereinigte Deutschland ungemein wichtig ist,
und ich bedaure es außerordentlich – das darf ich hier ganz offen sagen –, daß
wir für diese Thematik so wenig Zeit haben. Man hätte wahrscheinlich doch
sinnvollerweise die Sache teilen und das Thema der Schulen morgen behandeln
sollen. Ich glaube, es verdient, sehr viel intensiver hier diskutiert zu werden, als
wir das in der Kürze der Zeit leisten können. Eine Frage, die ich jetzt am
Schluß nach seinen Ausführungen an Herrn Ritter stellen möchte – ich hätte sie
auch den beiden anderen Herren gestellt, aber Sie haben es konkretisiert: Mir
ist immer noch nicht hinreichend deutlich geworden – und das bezieht sich vor
allen Dingen auch auf die Gegenwart und auf die Zukunft –, wie man mit dem
wissenschaftlichen Werk unserer Kollegen aus der ehemaligen DDR – nehmen
wir die Geisteswissenschaften, nur von ihnen möchte ich sprechen – umgeht.
Wir stehen vor der Schwierigkeit, daß immer wieder Anträge gestellt werden
müssen bei Stiftungen, beim DAAD, bei der Deutschen Forschungsgemein-
schaft – ich habe dieses Dilemma in den letzten Jahren immer wieder gespürt –
, und man dann fragt, wie bewerten wir denn die wissenschaftliche Leistung im
Vergleich zu einem Habilitanden im Westen. Da muß man von vornherein erst
einmal klar machen – bis 1989 gab es bestimmte uns allen bekannte politische
Vorgaben, so daß das eigentlich gar nicht exakt vergleichbar ist. Ich spreche
jetzt nicht von den Naturwissenschaften. Wie haben Sie, Herr Ritter, das ge-
handhabt, und was würden Sie uns empfehlen, wie mit solchen Arbeiten um-
zugehen sein wird und wie diese zu bewerten sind? Es ist von Herrn Mitter
schon darauf hingewiesen worden – wo liegen eigentlich jetzt die großen
Leistungen der Wissenschaftler aus den neuen Bundesländern, was ist denn da
nachzuweisen? Aber mich würde, Herr Ritter, eben interessieren, wie Sie zu
welchem Ergebnis gekommen sind. Wir wissen, wie das im Westen geschieht,
da wird jedes Buch sehr kritisch bewertet, und ein junger Habilitand oder ein
junger Privatdozent wird ja primär deshalb berufen, weil er ein entsprechendes
wissenschaftliches oeuvre vorlegt. Das ist in den neuen Bundesländern so nicht
möglich gewesen. Können Sie das noch ein bisschen konkretisieren, wie Sie da
verfahren sind? Sie haben gesagt, Sie haben alles gelesen. Dabei kommt natür-
lich doch vieles heraus. Können Sie das noch erläutern?

Gesprächsleiter Prof. Dr. Peter Maser: Der nächste ist Herr Burrichter.

Sv. Prof. Dr. Clemens Burrichter: Herr Görtemaker hat in seinem Referat die
zwölf Thesen des Wissenschaftsrats vom Januar 1990 zitiert, und diese Thesen
waren ja als Orientierungsrahmen für die Evaluierung gedacht. Die sechste
These besagte damals, daß der Aufbau einer gemeinsamen deutschen Wissen-
schafts- und Forschungslandschaft dazu benutzt werden möge, den in der
Bundesrepublik bis dahin laufenden Reformdiskurs weiter fortzusetzen und
möglicherweise im Zuge dieses Prozesses bereits zu berücksichtigen. Jetzt
haben wir aus eigener Erfahrung und in den Darstellungen von Herrn Neid-