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Wahlperiode 13, Band IV/1, Seiten 210 und 211
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Protokoll der 12. Sitzung

Gesprächsleiter Prof. Dr. Clemens Burrichter: Schönen Dank, Herr Water-
kamp. Meine Damen und Herren, Hans-Peter Schäfer hat eben in seinem
Statement festgestellt, daß es für den Prozeß der Indoktrination, der Sozialisa-
tion sehr wichtig ist, sich auf die kognitive Ebene zu konzentrieren, also auf die
inhaltliche. Aus dem Vortrag von Herrn Waterkamp haben Sie lernen können,
wie kompliziert es ist, diese Materie wirklich systematisch in den Griff zu
bekommen, aber ich denke, es ist eine unabdingbare Aufgabe der sozialwissen-
schaftlich orientierten Zeitgeschichtsforschung, sich diesen Dingen zuzuwen-
den. Ich darf damit das Podium öffnen. Zunächst Herr Kowalczuk bitte.

Sv. Ilko-Sascha Kowalczuk: Ich möchte drei kurze Fragen stellen. Die erste
richtet sich an Frau Sommer: Mich würde interessieren, inwieweit Sie, als Sie
an die Universität kamen – ich gehe davon aus, daß an der Rechtswissen-
schaftlichen Fakultät in Jena auch Studenten aus den alten Bundesländern sind
–, im Verhalten und auch im Vorwissen Unterschiede zwischen Ost und West
bei den Studenten festgestellt haben.

Die zweite Frage richtet sich an Herrn Waterkamp: Ich glaube, man könnte
sich lange über die Schaubilder unterhalten, nicht so sehr über die Grafik,
sondern über die einzelnen Zuordnungen, also etwa „weicher Kern“ und „Vor-
bild Ernst Thälmann“ – ich hatte immer so das Gefühl, wer Ernst Thälmann als
Vorbild hatte, war wirklich der „harte Kern“ in Ihrer Terminologie – oder etwa
„Antikapitalismus“ – das konnte genauso auch ein ganz harter Oppositioneller
sein. Gesamtdeutsches Bewußtsein so herauszustellen als oppositionell – das
war doch in dieser Frühphase zumindest eine marginale Angelegenheit. Mich
interessiert eigentlich etwas ganz anderes. Empirische Sozialforschung war in
der DDR nun nicht gerade der main stream, einfach weil die DDR-Führung vor
den Empirikern Angst hatte. Deswegen würde mich interessieren, unter wel-
chen Konditionen und wie Sie im Frühjahr 1989 empirische Untersuchungen
auf dem Territorium der DDR machen konnten.

Die dritte Frage richtet sich an Herrn Fischer. Ich fand den Vortrag ausge-
zeichnet, und ich sage das vor allem deshalb, weil ich das Glück hatte, ein oder
zwei Jahre bei Herrn Fischer in die Schule gehen zu dürfen als dessen Schüler.
Aber mich interessiert eines: Herr Fischer, Sie sagten, daß man auch in den
DDR-Schulen denken lernen sollte, und das ist der Punkt, wo ich ein bißchen
Bauchschmerzen bekommen habe. Wir haben vorhin, und das haben Sie auch
selbst dargestellt, mehrmals gehört, daß die Lehrinhalte vor allem auch durch
Ausgrenzung bestimmt waren. Es gab in der DDR keine Bildung im Sinne des
humanistischen Bildungsideals. Es geht sogar noch weiter: Die offiziellen
Möglichkeiten zur Bildung und zur Weiterbildung waren weitgehend an poli-
tisch korrektes Verhalten gebunden. Deswegen würde mich interessieren,
inwiefern dieser Befund etwa mit Ihrem Befund kollidiert, daß die Schulen in
der DDR auch dazu da waren, denken zu lernen, denn mein Eindruck, abgese-
hen von Ihrem Unterricht, war da doch ein anderer. (Heiterkeit)

211
Instrumentalisierung von Wissenschaft/ Bildung

Gesprächsleiter Prof. Dr. Clemens Burrichter: Schönen Dank. Als nächster
Herr Elm bitte.

Abg. Dr. Ludwig Elm (PDS): Ich möchte auch an die Betrachtungen zur
Indoktrinierung im Referat von Dr. Fischer anschließen. Meine Frage steht
unter der Voraussetzung, daß Doktrinen, selbst wenn sie einen sehr dogmati-
schen, einen sogar irrationalen oder weltfremden Charakter haben, so weit
massenwirksam werden, wie sie Elemente des Realitätsbezuges, Wertvorstel-
lungen, Empirisches an historischen Sachverhalten und Erfahrungen mit auf-
nehmen, sich damit auch als anpassungs- und entwicklungsfähig erweisen.
Bezogen auf dieses konkrete Kapitel, im Blick auf die DDR, meine Frage an
Sie: Wie veranschlagen Sie den Gehalt an solchen Elementen des Realitätsbe-
zuges, des Problemgehalts und anderem, was man auch von der inhaltlichen
Seite her in bezug auf die Nachwirkungen sagen kann? Das, was Dr. Water-
kamp vorlegte speziell mit der ersten Grafik und was mich eigentlich in dieser
Fragestellung bestätigt hat, das finde ich sehr anregend, und an ihn deshalb
ergänzend die Frage: Kann man das so verstehen, daß Sie damit auch meinen,
daß diese einzelnen Kreise, einzelnen Zonen höchst unter-schiedlich in ihrer
möglichen Nachwirkung zu bewerten sind, auch in ihrer inhaltlichen Einschät-
zung, und daß man dann zu einer differenzierteren Beurteilung des ganzen
Nach- und Fortwirkungsproblems gelangt?

Gesprächsleiter Prof. Dr. Clemens Burrichter: Schönen Dank. Stephan
Hilsberg bitte.

Abg. Stephan Hilsberg (SPD): Ich muß zugeben, daß ich bei diesem Thema,
wie vermutlich jeder hier im Saal, subjektiv belastet bin, weil ja nun jeder zur
Schule gegangen ist, eben auch in der DDR, und weil ich ebenfalls Kinder
habe, die bereits zu DDR-Zeiten in die Schule gingen. Dabei fällt mir auf, daß
eine wesentliche Funktion der Schule, die sie in der DDR wahrgenommen hat,
in den Vorträgen von Ihnen kaum vorgekommen ist. Das ist ja nicht einfach
nur der Punkt der Indoktrination, sondern die Indoktrination war wesentlicher
Teil der Gegenwart, in der sich die Schüler in der DDR befunden haben, und
insofern natürlich trat ihnen in den Lehrern die gesamte Macht der staatlichen
Autorität gegenüber. Die hatte nicht nur die Funktion in einer Ideologie, Dog-
men hineinzutragen, die Schüler gefügig zu machen, anderes Wissen von ihnen
fernzuhalten, sondern das war dann auch gleichzeitig mit solchen simplen
Dingen wie Angst verbunden; Privilegien spielten eine Rolle, Repression
spielte natürlich auch eine Rolle. An der Stelle bin ich dann doch subjektiv.
Lehrer, die man an mancher Stelle durchaus diesem staatlichen System bedin-
gungslos folgend erlebt hat, bei denen fällt es mir dann nicht ganz leicht, so
schnell Zutrauen und Vertrauen zu ihnen zu entwickeln, wie das aus dem
Vortrag von Herrn Fischer deutlich geworden ist, wiewohl ich es gerne glauben
will. Das ist nicht der Punkt, daß sich etwas von allein gewissermaßen heraus-
bildet, aber eine Lebenswelt, die man ganz anders erlebt hat, die man sicher
auch lieben und schätzen gelernt hat, weil man ja ganz gern gelernt hat