schließen

Fehler melden / Feedback

Angezeigte SeitenWahlperiode 13, Band V, Seiten 8 und 9 (wp13b5_0012)
betrifft 1)
Fehlerart 1)Seiten-Überschrift falsch
Seiten-Nummer falsch
Seiten-Nummer-Position falsch (rechts/links)
falsches Bild / Bild fehlt
Seite wird nicht angezeigt
Fehler im Text
Formatierung falsch
nicht aufgeführter Fehler / nur Feedback
Ihr Name
Erklärung/Feedback 1)
(nur erforderlich, falls
nicht aufgeführter
Fehler
oder nur Feed­back)
Ihre E-Mail-Adresse 2)
1)  erforderlich
2) für Rückfragen, empfohlen
   
Wahlperiode 13, Band V, Seiten 8 und 9
8
Protokoll der 32. Sitzung

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Meine sehr verehrten Damen und Herren,
liebe Kolleginnen und Kollegen, verehrter Herr Bürgermeister! Ich möchte Sie
alle ganz herzlich begrüßen und Ihnen einen guten Tag wünschen. Die En-
quete-Kommission des Deutschen Bundestages, die sich mit der Überwindung
der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der Deutschen Einheit beschäftigt,
wird heute und morgen hier in Eisenhüttenstadt eine öffentliche Anhörung von
Wissenschaftlern, Politikern und Zeitzeugen durchführen, die sich mit dem
Alltag in der DDR beschäftigt. Wir wissen, daß das Thema „Alltag“ zu den
sensibelsten gehört, die wir behandeln werden. Wir sprechen nämlich heute
und morgen nicht über den Alltag im alten Rom oder im Zeitalter der Refor-
mation. Es geht uns vielmehr um die Beschreibung eines Alltags, der für sehr
viele unter uns schlechthin ihr Leben oder ihr bisheriges Leben war. Vor kur-
zem hat Stefan Wolle bei einer Tagung im saarländischen Otzenhausen zu be-
denken gegeben: Die DDR ist nicht nur historisches Untersuchungsobjekt, sie
war unser Leben. Wenn ich diese Erkenntnis beherzige, dann heißt das: Wenn
wir über die DDR und ihren Alltag sprechen, dann sprechen wir über uns sel-
ber. Wir alle, die wir in der DDR gelebt haben, sind in dieser Angelegenheit
Sachverständige und Zeitzeugen. Es geht darum, wie wir uns erinnern, woran
wir uns erinnern und mit welchem Ziel wir zurückschauen auf unser in der
DDR gelebtes Leben.

Es geht heute, sieben Jahre nach dem Sturz der SED-Diktatur aber auch um
Folgendes: Wie sehen diejenigen, die unseren konkreten Alltag damals in der
DDR nicht geteilt haben, unser Leben? Schon an diesem Punkt werden Span-
nungen aufbrechen. Was wissen die oder der, die nicht in der DDR gelebt ha-
ben, davon, welchen Zwängen wir ausgesetzt waren und wie unsere Hoffnun-
gen aussahen? Wir lebten in der DDR nicht ständig im Ausnahmezustand. Wir
lebten, arbeiteten, liebten und waren mal fröhlich und manchmal auch traurig,
wie Menschen das eben so tun und sind. Wir waren in der DDR ganz normale
Menschen oder wollten das doch zumindestens sein. Wenn jetzt, nachdem es
mit der SED-Diktatur vorbei ist, unser damaliges Leben betrachtet wird, dann
wollen wir uns in dem wiedererkennen, was da von uns oder über uns gesagt
wird. Auch in diesem Punkt werden möglicherweise Spannungen unvermeid-
lich sein.

Der Alltag in der DDR wurde immer von den konkreten Rahmenbedingungen
bestimmt, in denen er erlebt wurde. Es machte schon einen Unterschied aus, ob
ich in der DDR als Pfarrer, Mitglied einer SED-Kreisleitung, Industriearbeiter,
Hochschulangehöriger, Bausoldat, MfS-Mitarbeiter, Ausreiser oder oppositio-
neller Künstler gelebt habe. Die Vielfältigkeit dieser Rahmenbedingungen ent-
spricht der Vielfalt unserer Erinnerung. Diese darf heute in der Rückschau
nicht eingeebnet werden, wenn wir verstehen wollen, wie im Prozeß der deut-
schen Einheit Menschen mit den unterschiedlichsten Alltagserfahrungen und
Voraussetzungen mitwirkten. Es macht übrigens auch einen Unterschied, ob
ich nach dem Sturz der SED-Diktatur in den Vorruhestand gehen mußte, einen
eigenen Betrieb gründen konnte, wegen MfS-Verwicklungen entlassen wurde,
arbeitslos bin oder eine politische Karriere beginnen konnte. Das gehört zu-

9
Selbstbehauptung und Anpassung

mindest zum Teil auch noch mit in den Komplex der Alltagserfahrungen hin-
ein, – nach dem Motto: „Das Sein bestimmt das Bewußtsein“.

Die zuständige Berichterstattergruppe in der Enquete-Kommission hat mit dem
für diese Anhörung aufgestellten Programm versucht, der spannungsvollen
Vielfalt unserer Erinnerungen und Prägungen gerecht zu werden. In einer gan-
zen Anzahl von Beiträgen wird eine systematisierende Betrachtungsweise im
Vordergrund stehen. Diese ist auch schon in der Titelformulierung dieser Ver-
anstaltung enthalten, wenn da der „Alltag in der DDR“ als ein Leben zwischen
„Selbstbehauptung und Anpassung“ beschrieben wird. Hier muß gewiß noch
genauer nachgefragt werden, ob das wirklich die Pole waren, zwischen denen
der Alltag in der DDR erlebt wurde. Vielleicht gab es für viele ganz andere
Elemente, die ihr DDR-Alltagsleben durchgängig bestimmten. Manche kriti-
sche Anfrage wird sich auch an die Gleichsetzung der DDR mit einer Mangel-
gesellschaft richten. War der Mangel wirklich das, was das alltägliche Leben
im ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden bestimmte? Ich
könnte mir Menschen vorstellen, die sagen: Das hat uns überhaupt nicht inter-
essiert. Oder: Wir hatten nie Mangel, wir hatten wichtigere Dinge im Kopf. Ich
bin gespannt darauf, ob es uns gelingt, zumindestens in einigen Punkten soweit
zueinander zu finden, daß wir sagen können: Ja, das war tatsächlich der Alltag
in der DDR, so haben wir es erlebt, selbst wenn es in den Details meines kon-
kreten Lebens auch noch sehr viel mehr und ganz anderes gegeben hat.

Damit wir hier nicht vollständig der Expertenmeinung ausgeliefert bleiben ist
uns die Abendveranstaltung des heutigen Tages besonders wichtig. Da wollen
wir Sie, die sie als Gäste an dieser Anhörung teilnehmen, einladen, uns von
Ihrem Leben zu erzählen. Sie haben dann schon einen gewissen Eindruck da-
von, was hier über den „Alltag in der DDR“ gesagt worden ist und können und
sollten nun Ihre eigenen Erfahrungen einbringen, sollten widersprechen und
ergänzen, wo immer Sie das für nötig halten. Erst in diesem Erzählen erkennen
wir uns gegenseitig genauer und erfahren voneinander. Das aber ist notwendig,
wenn wir im Prozeß der deutschen Einheit vorankommen wollen. Ich muß et-
was von dem Menschen wissen, mit dem ich zusammenarbeiten und zusam-
menleben will. Weiß ich nichts von ihm oder zuwenig, gibt es nur Mißver-
ständnisse, Enttäuschungen oder Hilfe an der falschen Stelle.

Wenn Sie sich das Programm dieser zwei Tage in Eisenhüttenstadt ansehen,
werden Sie rasch Themen benennen können, die hier nicht vorkommen. Gewiß
fehlt hier zum Beispiel ein Beitrag zum Alltag der Frauen in der DDR, die die
Mehrfachbelastung von Familie, Beruf und gesellschaftlichem Engagement zu
tragen hatten. Wir haben auf dieses Thema aber verzichtet, weil die Enquete-
Kommission demnächst eine eigene Anhörung zur Situation der Frauen in der
DDR durchführen wird. Bei anderen Themen, die hier fehlen, kann ich Sie nur
nochmals auf den Erzählabend verweisen. Bringen Sie dort das Ihrer Meinung
nach fehlende Thema zur Sprache, markieren Sie Lücken und ergänzen Sie un-
sere Auswahl.