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Wahlperiode 13, Band V, Seiten 12 und 13
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Protokoll der 32. Sitzung

nen der ehemaligen DDR, höherer Wohnkomfort in den Wohnkomplexen eins
bis drei, geringere Wartezeiten auf Wohnraum können ebenfalls festgehalten
werden. Auf der anderen Seite steht die Abkehr von den anfänglichen Ansprü-
chen von Architektur und Stadtstruktur, die Vernachlässigung der Ortsteile
Schönfließ und Fürstenberg an der Oder, mit dem Ergebnis des zunehmenden
Verfalls von Gebäuden. Aber auch die technische Lücke im ehemaligen Eisen-
hüttenkombinat Ost, der heutigen EKO-Stahl GmbH, die erst in diesem Jahr
durch die Inbetriebnahme des neu gebauten Warmwalzwerks geschlossen
wird, ist ein Kennzeichen für diese Stadt und für ihre Entwicklung. Die ver-
schiedenen Facetten, die ich nur kurz angerissen habe, kennzeichnen auch hier
in dieser Stadt die Bandbreite der Probleme und Widersprüche der ehemaligen
DDR, die auch die Kommunalpolitik noch 1997 immer wieder auffordert, Lö-
sungen im wirtschaftlichen, infrastrukturellen aber auch im sozialen und kultu-
rellen Bereich zu finden. Vor allem bitte ich auch an dieser Stelle das Land
und auch den Bund, nicht locker zu lassen bei der Entwicklung der Infrastruk-
tur dieser Grenzregion. Es ist für uns in dieser Region in der ehemaligen DDR
besonders wichtig, daß wir eine schnelle vernünftige infrastrukturelle Anbin-
dung auch an den Ostraum Polens bekommen.

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Anwesende! Ich wünsche der
Enquete-Kommission des deutschen Bundestages im Rahmen ihrer Anhörung
einen angenehmen Aufenthalt in Eisenhüttenstadt. Ich wünschen Ihnen viele
neue, bisher unbekannte Eindrücke von dieser Stadt, vor allem wünsche ich
Ihnen aber auch interessante Vorträge zur weiteren Aufarbeitung von Ge-
schichte, Folgen und aktuellen Nachwirkungen der SED-Diktatur. Vielen
Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank, Herr Bürgermeister
Werner, für Ihr freundliches Wort des Willkommens und der Information über
Geschichte und Gegenwart der Stadt Eisenhüttenstadt. Wir wollen nun auch
das tun, was Sie uns noch einmal geraten haben. Wir wollen uns mit dem
Thema befassen und uns an das heranwagen, was wir uns vorgenommen ha-
ben. Es wird im Verlaufe des heutigen und morgigen Tages eine Fülle von sehr
differenzierten und persönlichen Einschätzungen geben, aus dem Leben eines
jeden von uns. Wir wollen uns zunächst aber ein Stück einstimmen und ein-
führen lassen. Wir haben uns dafür eine halbe Stunde Zeit genommen und
zwei Kommissionsmitglieder gebeten, dies zu übernehmen. Es beginnt unter
der Überschrift: „Alltag in der Diktatur“ Herr Professor Faulenbach. Danach
spricht Herr Professor Maser zu „Erscheinungsformen des Mangels in der
DDR“. Zunächst aber Herr Professor Faulenbach bitte.

Prof. Dr. Bernd Faulenbach: Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren!
Ich glaube, es ist bereits deutlich geworden, daß wir mit dieser Anhörung ver-
suchen, Aspekte des Alltagslebens der großen Mehrheit der Bevölkerung der
DDR in den Blick zu nehmen, wobei es uns nicht zuletzt um die Erfassung von
Prägungen durch diesen Alltag geht, die im vereinigten Deutschland nachwir-
ken.

13
Selbstbehauptung und Anpassung

Ich sehe aber gerade, daß Herr Minister Reiche soeben eingetroffen ist und
denke, daß er an meiner Stelle jetzt zu Ihnen sprechen sollte. Ich setze dann
gleich noch einmal an.

Minister Steffen Reiche, MdL: Herr Vorsitzender, sehr geehrte Damen und
Herren! Willkommen im brandenburgischen Eisenhüttenstadt. Für eine solche
Tagung, denke ich, wird man wenig geeignete Orte finden, aus zwei Gründen:
Wie im Brennspiegel ist in dieser ehemals sozialistischen Modellstadt kon-
zentriert zusammengefaßt, wie in einer Art Siedebehälter kann man hier einen
Extrakt dessen vorfinden, was DDR sein wollte, und was sie dann eben nur
geworden war. Diese Stadt ist in Brandenburg, und das hat zur Folge, daß hier
vorsichtiger umgebaut worden ist als in anderen Orten. Nicht nur daß die tau-
sendste Wohnung saniert worden ist, das wäre auch in anderen Ländern so
passiert. Wir haben hier in Brandenburg bewußt versucht, Bewahrenswertes zu
bewahren, nicht nur im Denkmalschutz, sondern quer durch den Alltag, nicht
nur im Dokumentationszentrum, sondern auch im richtigen Leben. Wir haben
schon 1990 gesagt: Da kommen wir her, da wollen wir hin und das bringen wir
mit. Und das Erstaunliche ist, für andere noch mehr als für uns, daß sich man-
ches gar nicht als Ballast erwies, sondern als hilfreich. Wer tiefer aus der Pro-
vinz und weiter von Berlin weg hierher kam, hat das Neue oft genauso unkri-
tisch übernommen, wie er sich auf das damals Vierzigjährige voll und ganz
eingelassen hatte. Und das sind, denke ich, zwei gute Gründe, daß Sie hierher
gekommen sind, um beides zu untersuchen: den Alltag zwischen Selbstbe-
hauptung und Anpassung und die Überwindung der Folgen der SED-Diktatur
im Prozeß der deutschen Einheit.

Die Mangelgesellschaft zu reflektieren, nachdem man sieben Jahre Erfahrung
in der Überflußgesellschaft gesammelt hat denke ich, ist ein schwieriges Ver-
fahren. Denn damals, ohne den Überfluß, ohne die Erfahrung von sieben Jah-
ren vereintem Deutschland, haben wir natürlich den Mangel ganz anders er-
lebt. Aber allgegenwärtig war er ein Grundmerkmal dieser Gesellschaft. Und
das Einzige, was wirklich und zuverlässig im Überfluß da war, war der Man-
gel. Denn er wurde kontinuierlich neu erzeugt. Eine witzige Analyse, die mir
noch in guter Erinnerung ist, beschreibt das treffend: Was wird, wenn die Wü-
ste sozialistisch wird? Der Sand wird knapp! Das bringt, denke ich, die Sache
auf den Punkt. Die Art und Weise, mit Überfluß umzugehen oder zumindest
Notwendiges in ausreichendem Umfang zu produzieren, erzeugt mit großer
Sicherheit an anderer Stelle oder in einem anderen Bereich Mangel. Will man
den Alltag in der Mangelgesellschaft heute analysieren, muß man sorgfältig
differenzieren zwischen der damaligen, sozusagen natürlichen, unvoreinge-
nommenen Mangelerfahrung und der heutigen Vorstellung von Mangel, die
immer mit der Empörung gemischt ist, die sofort hinzukommt, wenn man den
Mangel einmal nicht mehr als vertrautes Lebensgefühl hat. Man muß sehr
sorgsam differenzieren, denn wer auch nur wenige Tage, vielleicht nur einen
Tag den Westen erlebt hatte, der kam gleich in eine riesige Distanz. Er lebte
von da an in einem Spagat, denn er hatte erlebt, was möglich ist, wenn Men-
schen sich selbst organisieren können. Bis dahin war Mangel das Vertraute,