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Wahlperiode 13, Band V, Seiten 60 und 61
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Protokoll der 32. Sitzung

betrachten sind. Wenn man das einmal unter diesem Gesichtspunkt durchrech-
net, dann ist es vielleicht so wie bei einer geschlossenen religiösen Erziehung.
Man endet entweder als Kardinal oder aber als Ketzer auf dem Scheiterhaufen.
Oder man sortiert sich in die schweigende Mehrheit ein, in der man sich dann
in unterschiedlichen Graden von Zustimmung, Anpassung oder vorsichtiger
Ablehnung bewegt. Da sind Glaube, offene Ablehnung oder ein mehr oder
weniger unentschiedenes sich Anpassen als Folge einer solchen Erziehung
immer möglich.

Stephan Hilsberg hat nach der Auswirkung des Mangels gefragt, unter den alle
in gleicher Weise gestellt waren, und damit die Frage verbunden, wie es sich
auswirkte, daß die Verantwortung für solchen Mangel von niemandem über-
nommen werden mußte. Ich würde meinen, die Mangelgesellschaft hat natür-
lich auch Teile der persönlichen Verantwortung oder der persönlichen Lei-
stung außer Kraft gesetzt. Ich will es an einem Beispiel deutlich machen: In
Halle gab es am Markt einen halbstaatlichen Möbelbetrieb, der ganz ordentli-
che Möbel aus ordentlichem Holz herstellte. Wir wurden allesamt, die wir in
derselben Altersgruppe waren, Kunden dieser einen Firma. Damit wurde die
Frage unseres persönlichen Geschmacks zurückgedrängt auf das Problem,
welches Bild wir dann noch zwischen die überall gleichen Möbel hängen.
Aber keiner hätte den anderen gefragt: „Warum stellst du dir diese Möbel und
nicht andere in deine Wohnung?“ Und das kann man natürlich auch auf ganz
andere Felder der persönlichen Existenz übertragen bis hin zu der Frage: „Was
machst du beruflich? Warum machst du nichts anders?“ Auch hier konnte man
natürlich leicht auf die Mangelgesellschaft verweisen und sagen: „Ich wäre ja
gerne dieses oder jenes geworden, aber unter den Bedingungen, unter denen
ich hier lebe, konnte oder kann ich das nicht werden.“ Insofern ist auch das
eine Auswirkung der Mangelgesellschaft, daß die persönliche Verantwortung
in den Hintergrund trat.

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank, Herr Professor. Herr
Ludwig, ich erteile Ihnen das Wort.

Andreas Ludwig: Ja, zur Frage der Erziehung und ihrer Auswirkung hatte ich
schon etwas gesagt. Ich möchte deswegen auch noch mal zum Mangel kom-
men, zur Frage von Herrn Hilsberg, und darauf hinweisen, daß man sehr stark
differenzieren muß. Auf die Frage hin, welche Funktion hatte der Einzelne in
der DDR-Gesellschaft: Jemand, der auf Grund seiner beruflichen Position kei-
ne Möglichkeiten hatte, den Mangel zu ändern oder Einfluß zu nehmen, hat
sich natürlich eher als Betroffener gefühlt. Jemand ab dem mittleren Manage-
ment in Betrieben oder Handelsorganisationen hat natürlich sehr wohl auch
versucht, den Mangel aktiv anders zu verteilen, Dinge heranzuschaffen usw.
Ich denke, da muß man sehr genau hinsehen. Die Frage ist, ob die Mangelge-
sellschaft sozusagen grundsätzlich eine Mangelgesellschaft der Produktion ist
oder eine der Verteilung, eine Frage, die wir sicherlich jetzt hier nicht noch
einmal anschneiden sollten.

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Selbstbehauptung und Anpassung

Zum zweiten die Frage der Generationen: Inwieweit waren die einzelnen Men-
schen in die DDR-Ökonomie und in die DDR-Politik involviert auf Grund ih-
rer beruflichen Laufbahn? Inwieweit wollten sie Verantwortung übernehmen,
Funktion tragen oder inwieweit hatten sie sich bereits innerlich von dieser
DDR verabschiedet? Das gilt vielleicht gerade für die jüngere Generation der
zweiten Hälfte der 80er Jahre. Daß der Mangel sozusagen ein Abwarten war
und nicht mehr diese extreme, auch politisch aufgeladene Bedeutung hatte für
jemand, der zum Beispiel in der Aufbaugeneration in der DDR tätig war. Die
Frage nach den Flüchtlingen ist für mich eine Frage, die im Augenblick sehr
wichtig ist, nämlich die Frage nach der Position des Einzelnen im Osten und
im Westen zu der offenen Gesellschaft. Ich bin der Auffassung, daß Leute, die
aus der DDR weggegangen sind oder ausgereist sind, möglicherweise ein völ-
lig anderes Verhältnis haben, wenn sie jetzt wieder in die DDR zurückkehren
in die jetzt neuen Bundesländer, vielleicht ganz andere Fragen stellen, ganz
andere Dinge dabei spüren als jemand, der hier entweder aufgewachsen ist,
oder jemand, der die DDR eigentlich von der Transitstrecke her kennt. Ich
denke, das wäre noch einmal eine Aktualisierung.

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank, Herr Ludwig. Wir ma-
chen genau um 14.00 Uhr weiter. Ich bitte allerdings um Pünktlichkeit.

(Pause)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Schön, daß ich Sie wieder hier begrüßen
darf. Ich finde es gut, daß auch weiterhin nicht nur Mitglieder der Enquete-
Kommission und dazu geladene sachkundige Referenten hier unter uns sind,
sondern daß es Menschen gibt, die das Anliegen, das uns hier zwei Tage zu-
sammenführt, interessiert. Ihnen möchte ich in ganz besonderer Weise noch
einmal ein herzliches Dankeschön für Ihr Interesse und Ihr Zuhören sagen.
Aber nun genug der Vorrede, wir wollen in die nächste Runde einsteigen. Es
geht um Beispiele des Umgangs mit dem alltäglichen Mangel, und wie ausge-
wiesen wird Herr Professor Maser die Moderation übernehmen. Bitte, Herr
Professor.

Gesprächsleiter Prof. Dr. Peter Maser: Ich darf Ihnen in der Reihenfolge
wie es in der Tagesordnung ausgedruckt ist die Teilnehmer an dieser Runde
vorstellen. Da ist zunächst Herr Uwe Bartsch zu nennen. Herr Uwe Bartsch,
geboren 1954 in Berlin-Lichtenberg, hat zunächst eine Ausbildung als Elek-
troinstallateur durchlaufen, ist dann in der Zeit zwischen 1975 und 1981 im
Abendstudium zum Ingenieur für Elektroenergieanlagen geworden, hat von
1971 bis 1981 im väterlichen Handwerksbetrieb gearbeitet, 1981 folgte eine
Unternehmensgründung in Ost-Berlin, seit 1994 ist Herr Bartsch Mitglied des
Landtages von Brandenburg und dort Vorsitzender des Ausschusses für Wirt-
schaft, Mittelstand und Technologie. Zu Frau Dr. Ina Merkel, geboren 1957,
ist zu vermelden, daß Sie zunächst von 1976 bis 1978 Volontärin in der Kul-
turabteilung der „Jungen Welt“ gewesen ist, anschließend Kulturwissenschaft,
Ästhetik und Theaterwissenschaft an der Humboldt-Universität studiert hat,
1983 Diplom, 1986 Promotion mit einer Dissertation zu einem kulturwissen-