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Wahlperiode 13, Band VI, Seiten 10 und 11
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Protokoll der 22. Sitzung

ben über die nationalsozialistischen Konzentrationslager berichten. Auch an
die politische Verfolgung in der SBZ und frühen DDR können sich nur noch
wenige Menschen selbst erinnern. Hier liegt die große Aufgabe einer künftigen
Gedenkstättenkonzeption: Wie kann die Erinnerung an das Leid der Inhaftier-
ten, an die Geschichte der Lager für die Nachgeborenen bewahrt werden? Da-
zu möchten wir heute Betroffene selbst anhören. Menschen, die in den Lagern
der Nazis und denen der Sowjets saßen. Viele der heute hier Anwesenden ken-
nen den Ort Buchenwald aus anderen Zeiten. Manchen wird es nicht leicht
fallen, hier zu sitzen. Ihnen allen gilt mein besonderer Dank und Gruß, auch im
Namen der Kommission.

Meine Damen und Herren, je größer der zeitliche Abstand zu dem menschen-
verachtenden und menschenzerstörenden Geschehen wird, desto ungenauer ist
unsere Erinnerung. Daher können Gedenkstätten nur dann wirklich erinnern,
wenn sie genau und umfassend informieren über das Geschehen am Ort. For-
schen sowie Dokumentieren und Gedenken sind Zweierlei. Aber die Voraus-
setzung für Gedenken ist das genaue Wissen, eben die Wahrhaftigkeit. Zu die-
ser Wahrhaftigkeit gehört die Geschichte der authentischen Orte und gehören
einige Orte mit all ihrer Widersprüchlichkeit in Form einer doppelten Vergan-
genheit. Diese Geschichte ist unbequem und deshalb sind es auch die Gedenk-
stätten. Sie sind keine Museen, in denen die Geschichte abgelegt wird. Sie
müssen mitten in der Gesellschaft stehen, weil sie uns an die enorme Verletz-
lichkeit von Demokratie und Freiheit erinnern, aber auch an die Fähigkeit zu
Zivilcourage und Widerstand. Die Erinnerung und Mahnung daran ist für eine
Demokratie unerläßlich.

Unsere Verfassung gibt uns in Artikel 5 Absatz 3 auf: „Kunst und Wissen-
schaft, Forschung und Lehre sind frei.“ Das bedeutet nach meiner Auffassung
auch, die Unabhängigkeit der Gedenkstätten zu akzeptieren. Im übrigen erin-
nere ich daran, wie drastisch uns die DDR vor Augen geführt hat, was es heißt,
ein Geschichts- und Gedenkstättenbild von oben zu verordnen. Verpflichtet
sind wir in der Demokratie dem Andenken der Opfer und der Wahrhaftigkeit,
nicht aber Parteibüchern und Ideologien. Vor allem aber zählt der Respekt vor
den Opfern. Eines ist dabei für mich bedeutend: Die Opfer können nicht zu-
sammengezählt werden, dies verbietet die Achtung vor ihrer Menschenwürde.
So hatte jeder Mensch in Buchenwald seine eigene Lebensgeschichte, die im-
mer als Ganzes gesehen werden muß. Die Geschichte der aus Auschwitz de-
portierten Juden, Sinti und Roma, die im sogenannten Kleinen Lager hier in
Buchenwald starben, die Geschichte der Opfer des Nationalsozialismus ist eine
andere Geschichte als die der Toten des Speziallagers! Und beide gehören
doch zur Geschichte des einen Ortes Buchenwald. Beim Umgang mit dieser
doppelten Vergangenheit haben wir in der Enquete-Kommission eine Leitlinie,
die auch unsere Anhörung begleiten sollte, ja, ich meine muß. Und ich bitte
Sie an dieser Stelle schon sehr eindringlich darum, gerade auch dazu Stellung
zu nehmen. Bei den Sachverständigen ist dies meine Bitte, die Leitlinie lautet:
„Die NS-Verbrechen dürfen nicht durch die Auseinandersetzung mit dem Ge-
schehen der Nachkriegszeit relativiert werden. Das Unrecht der Nachkriegszeit

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Gedenkstättenarbeit für Nachgeborene

darf aber nicht mit dem Hinweis auf die NS-Verbrechen bagatellisiert wer-
den.“

Wir möchten heute Stimmen Betroffener hören. Eine umfassende Gedenkstät-
tenkonzeption des Bundes wird nur dann überzeugen, wenn sie auch vor den
Opfern der NS-Diktatur in Deutschland, Polen, Israel und vielen anderen Län-
dern Bestand hat. Sie muß ebenso Bestand haben vor den Opfern des Stalinis-
mus. Dies wird nicht leicht sein. Aber wir müssen uns dieser schwierigen Auf-
gabe stellen, die deutsche Geschichte läßt uns nämlich keine andere Wahl. Wir
– und alle kommenden Generationen – müssen mit ihr leben, so wie sie ist.

Ich darf nun Sie, Herr Minister, bitten, zu uns zu sprechen.

[Beifall]

Minister Dr. Gerd Schuchardt: Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr ge-
ehrte Abgeordnete des Deutschen Bundestages, des Thüringer Landtages, sehr
geehrter Herr Durand, sehr geehrter Herr Ducoloné, sehr geehrter Herr Finn,
meine sehr geehrten Damen und Herren. Es ist mir eine besondere Ehre, Sie im
Namen der Thüringer Landesregierung in der Gedenkstätte Buchenwald be-
grüßen zu dürfen. Und der Thüringer Ministerpräsident Bernhard Vogel hat
mich ausdrücklich gebeten, Sie auch stellvertretend in seinem Namen zu be-
grüßen.

Ich verbinde mit Ihrem Besuch die Hoffnung auf weitere wertvolle Impulse
zur Förderung unserer Gedenkstättenarbeit, der ich mich als zuständiger
Fachminister und Vorsitzender der Stiftung Buchenwald und Mittelbau-Dora
besonders verpflichtet fühle. Buchenwald ist zu DDR-Zeiten ein Vorzeigeort
gewesen im System des verordneten Antifaschismus. Deshalb war für viele,
die hierher kamen, der Besuch der Gedenkstätte ein verordneter Besuch. Man-
chem mögen Zweifel gekommen sein wegen der allzugroßen Schwarz-Weiß-
Zeichnung der Geschichte. Viele aber werden diesen Ort mit Betroffenheit
wieder verlassen haben. Denn eines war und ist jenseits aller Vereinnahmung
durch das Regime und unabhängig von historischer Verzeichnung unumstößli-
che Wahrheit: Hier haben Menschen unterschiedlicher Herkunft und unter-
schiedlichster politischer Bekenntnisse gelitten. An diesem Ort sind Zehntau-
sende als Opfer eines unmenschlichen Systems gestorben. Es wird immer eine
unserer vornehmsten Pflichten sein, die Toten des Konzentrationslagers zu eh-
ren und mit Mitgefühl und Hochachtung all derer zu gedenken, die im Wider-
stand gegen das nationalsozialistische Regime oder als dessen hilflose Opfer
die Schrecken Buchenwalds erlebten. Doch gerade das Gedenken an die Opfer
macht uns auch die Gestaltung und Erhaltung des Lernortes Buchenwald zur
Pflicht. In der Verantwortung um die Zukunft mußte – und muß – die Ge-
schichte des Konzentrationslagers Buchenwald bis zum Jahre 1945 in wichti-
gen Teilen neu geschrieben werden. Denn nur im Verzicht auf jegliche Willkür
im Umgang mit historischen Fakten und Daten werden sich die zukünftigen
Aufgaben einer Lern- und Gedenkstätte, einer Lern- und Begegnungsstätte
bewältigen lassen. Die Gedenkstätte Buchenwald hat dem durch die Neueröff-