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Wahlperiode 13, Band VI, Seiten 104 und 105
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Protokoll der 44. Sitzung

zeitgleich symbolisch der Bau an der Gedenkstätte Berliner Mauer in der Ber-
liner Bernauer Straße begonnen. An beiden Orten wurde gestern eindrucksvoll
an die jeweiligen Opfer erinnert; an beiden Orten wird künftig in Ausstellun-
gen über die jeweilige Geschichte aufgeklärt. Aber reicht die historisch-politi-
sche Aufklärung aus?

Meine Damen und Herren, „Man kann aber nicht wirklich gedenken, ohne
auch zu fühlen. Wir erinnern mit dem Kopf, aber wir gedenken mit dem Her-
zen“, dies hat uns Klaus von Dohnanyi am 27. Januar, dem Gedenktag für die
Opfer des Nationalsozialismus, dieses Jahr im Deutschen Bundestag mit auf
den Weg gegeben. Wir brauchen ein Fühlen, um die Schmerzen der Opfer und
ihrer Nachfahren zu verstehen. Wir brauchen aber auch ein Gefühl, um die
Haltung von Anstand und Zivilcourage zu verstehen, die Menschen widerste-
hen ließ. Joachim Gauck berichtet immer wieder über Beispiele von Anstand
und Zivilcourage einfacher Menschen, die sich in den Akten der Stasi finden
lassen.

Aufklärung und menschliche Haltung als Eckpunkte einer demokratischen
Erinnerungskultur, aber auch als Tugenden des demokratischen Zusammenle-
bens – darüber wollen wir heute vormittag mit Klaus von Dohnanyi und Joa-
chim Gauck nachdenken und diskutieren. Ich freue mich, daß sie beide heute
bei uns sind und begrüße sie auch für meine Kolleginnen und Kollegen der
Enquete-Kommission ganz herzlich.

Meine Damen und Herren, es ist ein dritter Redner vorgesehen, Herr Minister-
präsident Dr. Bernhard Vogel. Er kann leider noch nicht hier sein, weil die An-
schlüsse in Frankfurt nicht geklappt haben. Er wird aber im Laufe der nächsten
Stunde hier eintreffen, so daß ich Ihnen vorschlage, daß Herr Dr. Vogel nach
den beiden Herren, die jetzt hier bei uns sind, reden wird, und daß wir dann,
wie vorgesehen, die Diskussion nach den drei Referaten führen.

Meine Damen und Herren, wir können heute sicher nicht mehr einfach über
eine aktuelle Verdrängung von Geschichte sprechen. Diskussionen über Aus-
stellungen und Bücher über die NS-Zeit haben erst jüngst unser Land bewegt.
Zwei Kommissionen des Deutschen Bundestages befaßten und befassen sich
mit Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur – dies übri-
gens auch, weil die Parlamentarier der 12. Wahlperiode aus den großen Ver-
säumnissen der Aufarbeitung der NS-Diktatur die richtigen Schlüsse zogen
und weil die Bürgerrechtler aus der ehemaligen DDR im Deutschen Bundestag
dazu die wesentlichen Vorarbeiten geleistet hatten. Besonders ermutigend für
unser Thema ist das vielfältige Engagement von Menschen in Vereinen, Ge-
schichtswerkstätten und Gedenkstätten, die sich mit der sogenannten „kleine-
ren“ Aufarbeitung der Geschichte vor Ort beschäftigen. Die Politik sollte diese
Vielfalt als Reichtum anerkennen und entsprechend unterstützen und fördern,
wo immer möglich auch finanziell. Gerade die vielen „kleinen“ Initiativen und
Gedenkstätten machen Geschichte anschaulich und sind Zeichen eines leben-
den antitotalitären Konsenses. Hier sind die Kommunen, Länder und auch der
Bund in der Pflicht. Eines gilt es dabei zu bedenken: die Politik kann und darf

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Demokratische Erinnerungskultur

keine verbindlichen Vorgaben des Erinnerns geben. Gedenken und seine For-
men lassen sich ohnehin nicht verordnen. Wie verhängnisvoll dies sein kann,
hat uns die DDR lange genug vor Augen geführt. Einer Demokratie ist eine
solche Verordnung nicht würdig.

Meine Damen und Herren, ich bitte jetzt Herrn Dr. von Dohnanyi uns seine
Überlegungen vorzustellen und danach bitte ich dann Herrn Gauck aus seiner
Sicht an das Thema heranzugehen.

Dr. Klaus von Dohnanyi: Ich möchte beginnen mit der Feststellung, daß die
Erinnerung an die Herrschaft der Nationalsozialisten und Kommunisten und
das Gedenken ihrer Opfer uns vor sehr unterschiedliche Fragen stellt. Während
die Erinnerung an die totalitäre Herrschaft der SED eine Erinnerung an Gefan-
genschaft ist, bleiben in der Erinnerung an die Naziherrschaft die Worte Mord
und Völkermord das Bezeichnende, die bezeichnenden Worte. Während man
die Erinnerung an Gefangenschaft in Mauerstücken und Sprache faßbar ma-
chen kann, bleibt der Massenmord der Nazis in seiner Unermeßlichkeit in je-
dem Sinne dieses Wortes unfaßbar. Ich sage das zu Beginn, weil ich meine, so
sehr wir uns hier am 9. November mit unterschiedlichen Erinnerungen ver-
schiedener Zeitabschnitte der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert befas-
sen, so sehr müssen wir uns doch immer wieder klar sein, wie unterschiedlich
die beiden Systeme waren. Auch wenn beide natürlich totalitär waren, aber
man kann diesen Unterschied zwischen Gefangenschaft und Mord nach meiner
Meinung eben nicht gewissermaßen durch den Vergleich einebnen.

Zweitens, ich befasse mich hier in erster Linie mit dem Gedenken an die Opfer
des Nationalsozialismus. Ich denke, für Herrn Gauck spielt das auch eine Rol-
le, aber die anderen, die Jahrzehnte danach werden für ihn sicherlich mehr im
Vordergrund stehen. So hatte ich unsere Parität hier heute morgen verstanden.

Ein halbes Jahrhundert nach dem Ende der Schreckensherrschaft Deutschlands
über Europa ist die Erinnerung an die Jahre des Naziterrors nicht aus dem Ge-
dächtnis der Völker gewichen. Diese Erinnerung hält die Menschen der Welt
wach für die Gefahren erneuter Verbrechen gegen die Menschlichkeit, und die
Deutschen müssen ertragen, daß mit jedem neuen Vergehen in anderen Teilen
der Erde der Holocaust und die damaligen deutschen Verbrechen wieder ge-
nannt und erinnert werden. Das, meine Damen und Herren, bedeutet nicht, daß
die heutige deutsche Generation, also diejenigen, z. B. die hier sitzen, welchen
Alters auch immer, für Holocaust und die deutschen Verbrechen „schuldhaft“
in Anspruch genommen werden können. Und ich habe auch am 27. Januar die-
ses Jahres im Deutschen Bundestag sehr deutlich darauf hingewiesen, daß aus
meiner Sicht die Deutschen heute in jeder Beziehung gleichberechtigte Bürger
Europas sind, auch mit der Last der Geschichte, die wir tragen, die aber keine
deutsche Schuld für heutige Bürgerinnen und Bürger ist, sondern eine Verant-
wortung für die Erinnerung an das, was war.

Drittens, es besteht nach menschlichem Ermessen keine Gefahr, daß diese
warnende Erinnerung an die Verbrechen der Nazijahre in historischer Zeit, al-