schließen

Fehler melden / Feedback

Angezeigte SeitenWahlperiode 13, Band VI, Seiten 134 und 135 (wp13b6_0138)
betrifft 1)
Fehlerart 1)Seiten-Überschrift falsch
Seiten-Nummer falsch
Seiten-Nummer-Position falsch (rechts/links)
falsches Bild / Bild fehlt
Seite wird nicht angezeigt
Fehler im Text
Formatierung falsch
nicht aufgeführter Fehler / nur Feedback
Ihr Name
Erklärung/Feedback 1)
(nur erforderlich, falls
nicht aufgeführter
Fehler
oder nur Feed­back)
Ihre E-Mail-Adresse 2)
1)  erforderlich
2) für Rückfragen, empfohlen
   
Wahlperiode 13, Band VI, Seiten 134 und 135
134
Protokoll der 44. Sitzung

sind, die die politische Kultur in unserer Gesellschaft gestalten. Nie wieder
Krieg, nie wieder Diktatur, nie wieder Totalitarismus bedeutet, sich nicht dem
Engagement für die heutige Ordnung zu entziehen, sondern es bedeutet Ver-
antwortung übernehmen. Wir haben die Pflicht zu erinnern, dem Vergessen zu
wehren mit den Zeichen, die uns zur Verfügung stehen und nicht das unwich-
tigste Motiv, das vergessen zu wäre, rührt aus der Erfahrung dieses Jahrhun-
derts, das zu Ende geht, daß man den Anfängen wehren muß, wenn man eine
gute Ordnung behalten will. Herzlichen Dank.

[Beifall]

Vorsitzender Siegfried Vergin: Herr Ministerpräsident Vogel, herzlichen
Dank für Ihren in viele Richtungen gehenden Vortrag und Ihre Vorschläge, die
Sie uns zur weiteren Debatte gegeben haben. Die Diskussion, die wie verein-
bart jetzt beginnt, wird von unserem Kollegen Hartmut Koschyk geleitet. Zeit-
lich können wir bis 13.15 Uhr gehen, so daß wir fast eine Dreiviertelstunde
haben. Ich übergebe jetzt das Wort an Herrn Koschyk.

Gesprächsleiter Abg. Hartmut Koschyk: Herzlichen Dank Herr Vergin, ich
möchte gleich die erste Runde aufrufen und würde vorschlagen, daß zunächst
Herr Gauck antwortet, weil ja aus der vorigen Runde, noch einige Fragen an
ihn mit gestellt worden sind. Für die erste Runde rufe ich auf: Herr Poppe,
Herr Professor Maser, Herr Meckel, Herr Professor Faulenbach und Herr Pro-
fessor Weber.

Abg. Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich kann sehr vielem von
dem, was Sie alle hier gesagt haben, zustimmen. Ich möchte aber noch einmal
die Frage der Vergleichbarkeit aufwerfen, die vorhin schon kurz angerissen
wurde. Mir hat sich der Vergleich zwischen den beiden Diktaturen immer aus
mehreren Gründen aufgedrängt. Einmal weil der sogenannte Antifaschismus
als Legitimationsgrundlage des SED-Regimes immer wieder vorgeholt und
betont wurde. Das System mußte sich an diesem Anspruch messen lassen und
infolgedessen drängte sich mir dieser Vergleich immer auf, auch aus biogra-
phischen Gründen. Die Frage, die Joachim Gauck seinen Eltern gestellt hat,
habe ich auch meinen Eltern gestellt, aber ich habe sie auch deswegen gestellt,
weil in meiner Schule und auf den Schulheften und überall das Bild von Stalin
viele Jahre lang zu sehen war, und so habe ich auch die Frage nach Hitler ge-
stellt. Ich kann direkt aus den Erfahrungen in meiner Kindheit ableiten, warum
wir diese Dinge auch zusammen gedacht haben. Deshalb empfinde ich
manchmal die Betonung der Unterschiedlichkeit als etwas übertrieben. Ich
glaube, Gedenkstätten sollten wie alle Versuche der Aufarbeitung, egal ob ju-
stitiell oder parlamentarisch, ein Ziel haben: das ist das Ziel oder das ist die
Aufgabe zu sagen „Nie wieder!“ Man sollte jede Gedenkstätte und jedes Do-
kumentationszentrum auch daran messen, inwieweit sie einer solchen Fest-
stellung des ’Nie-wieder’ gerecht werden, das ist auch eine Aufgabe im Blick
auf künftige Generationen. Dazu gehört aber auch – wie vorhin schon von
Herrn Faulenbach gesagt – die Erinnerung an die demokratischen Traditionen,
an den Widerstand. Diese Aufgabe darf nicht verschwinden hinter der Dar-

135
Demokratische Erinnerungskultur

stellung der Verbrechen, und man kann die Darstellung der Demokratiebewe-
gung und des Widerstandes auch dazu nutzen, auf die aktuelle politische Pro-
blematik hinzuweisen.

Das ist ja nicht nur die Gegenwart der Vergangenheit, wie Sie vorhin zitiert
haben, sondern es gibt auch den Begriff der Zukunft der Vergangenheit. Dies
haben wir natürlich weiter zu beachten und das ist auch eine Aufgabe von ei-
ner europäischen und globalen Dimension. Es wird immer wieder nach der
Rolle Deutschlands gefragt: Wie wird sie denn aussehen, die Rolle des wie-
dervereinigten Deutschlands? Und ich glaube, daß von daher gerade auch einer
Gedenkstättenkultur eine erhebliche Rolle zukommt, insofern sie dann tat-
sächlich an diese europäische globale Aufgabe anknüpfen kann. Deshalb muß
schon tatsächlich das Demokratiethema in den Vordergrund gestellt sein.

Ein anderer Punkt, den ich noch erwähnen will: Die individuelle Darstellung
ist gerade das Geheimnis am Holocaust-Museum in Washington. Joachim
Gauck, – ich habe das nicht zufällig gesehen – durch diesen Raum mit den
Fotos müssen alle. Alle anderen Punkte kann man auswählen, da kann man
hingehen, den Computer anschalten oder Bilder betrachten, Texte lesen, aber
durch den Raum gehen alle. Das ist durchaus konzeptionell so gedacht und ich
meine, daß dieser Versuch so geglückt ist, weil es gelungen ist, die individu-
ellen Schicksale darzustellen, und es sollte auch unsere Aufgabe sein, die Ver-
stärkung der Solidarität mit den Opfern und die individuellen Schicksale an
solchen Gedenkstätten sichtbar zu machen.

Um noch auf einen letzten Punkt zu kommen, die Stiftungsfrage, die vorhin
von Herrn Gauck angesprochen wurde. Hier sollten ebenfalls die authentischen
Erfahrungen der unmittelbar beteiligten Zeitzeugen im Vordergrund stehen.
Ich bin skeptisch, wenn gesagt wird, man müsse so viel wie möglich unter die-
ses Dach bringen, von Salzgitter bis Bautzen. Ich befürchte, daß die Intention,
die wir mit dieser Stiftung verknüpft haben, nämlich die Unterstützung der in-
dividuellen Möglichkeiten der Zeitzeugen in den kleinen Aufarbeitungsinitia-
tiven und in den Opferverbänden, zurückgedrängt würde zugunsten von gro-
ßen und massiven Einrichtungen, die dann letztlich sowohl inhaltlich als auch
finanziell ein Übergewicht erhielten.

Gesprächsleiter Abg. Hartmut Koschyk: Herzlichen Dank Herr Poppe, Herr
Kollege Meckel.

Abg. Markus Meckel (SPD): Ja, vielen Dank, ich möchte anknüpfen an die
Formulierung von Herrn Gauck mit dem Generationenvertrag, wenn es um die
Frage der Aufarbeitung geht und auch der Verantwortung, die wir in diesen
beiden Diktaturen und den Opfern gegenüber haben. Ich möchte an dieser
Stelle doch aber daran erinnern – und auch das ist von Joachim Gauck deutlich
gesagt worden –, daß die Opfer bis heute diejenigen sind, für welche offen-
sichtlich immer noch ungeheure Defizite bei der Rehabilitierung bestehen. Ich
denke an Opfer des Nationalsozialismus, bei denen wir noch nach 50 Jahren
bis heute vieles nicht bewältigt haben. Auch die deutsch-tschechische Situation