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der unbestimmten Rechtsbegriffe im Zivilrecht, Arbeitsrecht und ähnlichen
Nebenbereichen der DDR-Justiz. Dabei sind ganz interessante Befunde zutage
getreten, beispielsweise, daß auf dem Gebiet der Mietrechtsprechung durchaus
unterschiedliche Maßstäbe angelegt worden sind, je nachdem, ob der Vermie-
ter eine staatliche Institution war; da ist man mit den Vermieterverpflichtungen
sehr großzügig – was etwa Renovierung und Instandhaltung der Häuser an-
geht – umgegangen, wohingegen bei privaten Vermietern wesentliche schärfe-
re Maßstäbe angelegt worden sind. Oder in der Arbeitsrechtsprechung, die ge-
nerell als arbeitnehmerfreundlich charakterisiert werden kann, wo jedoch eine
ganz plötzliche Wende eintrat, wenn es sich um politische oder sonst mißliebi-
ge Arbeitnehmer handelte. Das heißt also, im Grundsatz gab es eine paternali-
stische Justiz, solange der Betroffene bereit war, sich dem System zu fügen
und sich wie ein Untertan zu verhalten. Aber in dem Moment, wo er „auf-
muckte“, kam auch in diesen Nebenbereichen der diktatorische, politisch ge-
steuerte Charakter des Systems zum Vorschein. Mit der halbjustitiellen Tätig-
keit des Staatlichen Vertragsgerichts auf dem Gebiete des Wirtschaftsrechts
haben sich bisher auch nur recht wenige Arbeiten empirisch beschäftigt.
Schließlich liegt auch im politikwissenschaftlich recht interessanten Bereich
der gesellschaftlichen Gerichtsbarkeit, also der Tätigkeit der Konflikt- und
Schiedskommissionen, kaum empirisch untersuchtes und zutage gefördertes
Material vor, obwohl hier die Bewertung des Befundes mit einiger Spannung
zu erwarten sein würde, denn es ist nicht ausgemacht, ob diese gesellschaftli-
chen Gerichte in erster Linie der sozialen Bloßstellung von mißliebigen Bür-
gern im Betrieb und in ihrem engeren sozialen Umfeld dienten, wie wir das
aus der Sowjetunion von den Kameradengerichten wissen, oder ob sie der in-
formellen Befriedung von Bagatellkonflikten dienten, was in unserem
Schrifttum in bezug auf die DDR stärker betont wird. Das ist eine offene Fra-
ge, die erst aufgrund einer näheren Untersuchung des Gegenstandes selbst be-
antwortet werden kann.
Ein dritter Punkt betrifft die Quellenlage. Hier kann ich mich kurz fassen, weil
Herr Weber das weitgehend ausgeführt hat. Hier will ich nur auf eine zusätzli-
che und noch auszuwertende Quelle hinweisen, nämlich auf die seit 1990 lau-
fenden Gerichtsverfahren in der nun vereinigten Bundesrepublik Deutschland.
Dabei gibt es, zum Teil kommt das ansatzweise in den Arbeiten bereits zur
Sprache, die Kassations-, Rehabilitierungs- und Wiederaufnahmeverfahren. Es
gibt die Tätigkeit der Richterprüfungsausschüsse, wo eine ganze Menge Ein-
zelfallmaterial erarbeitet worden ist; und vor allem in den letzten zwei, drei
Jahren beschäftigten die bundesdeutsche Justiz die Rechtsbeugungsprozesse,
die nun gerade die politische Lenkung der Justiz zum Gegenstand haben.
Wenn ich eine Anregung aussprechen darf, so sollte man rechtzeitig das For-
schungsinteresse darauf lenken, daß dieses nun inzwischen in großer Zahl vor-
liegende Prozeßmaterial auch rechtzeitig erfaßt und der Forschung dienstbar
gemacht wird.
Ein vierter Punkt: Es fällt auf, daß in den neueren Forschungsarbeiten die in
den vorangegangenen Jahrzehnten erarbeiteten Ergebnisse der DDR-For-
schung nur sporadisch herangezogen werden. Das ist verständlich, aber wir
haben ja gehört, daß man auf diese Ergebnisse eigentlich ganz gut aufbauen
könnte. Ich sage das auch weniger deshalb, weil ich die Sache selbst kritisieren
wollte, daß die Erkenntnisse der DDR-Forschung vielleicht nicht hinlänglich
herangezogen werden, sondern zu dieser Bemerkung veranlaßt mich eigentlich
eine andere Fragestellung, nämlich daß im Lichte der neueren Erkenntnisse
vielleicht die früheren Ergebnisse der DDR-Forschung auch kritisch-analytisch
überprüft werden könnten. So könnte man vielleicht auch etwas fundierter auf
die ansonsten im politischen Raum umstrittene Frage eine Antwort finden, ob
die frühere DDR-Forschung im Rahmen der damals beschränkten Erkenntnis-
möglichkeiten sachgerechte Ergebnisse zutage gefördert hat oder ob sie selbst
politischem Druck und ideologischen Leitbildern gefolgt ist.
Mein letzter Punkt: Im Laufe der Zeit und im Ergebnis wissenschaftlicher Dis-
kussionen müßten aus dem erarbeiteten Material theoretische Schlußfolgerun-
gen gezogen werden. So könnte die gegenwärtig umstrittene Qualifizierung
der DDR als Unrechtsstaat einer Klärung zugeführt werden. Der Aspekt des
Systemvergleichs, in dem die Justiz eine wesentliche Rolle spielt, Gemein-
samkeiten und Unterschiede mit dem NS-Staat, Totalitarismus-Theorie – das
sind alles Fragestellungen, die auch mir gekommen sind und etwa ein Modell,
das unlängst wieder von Werkentin aufgebracht worden ist, das Fraenkelsche
Modell des Doppelstaates mit dem auf der einen Seite recht korrekt funktionie-
renden Normenstaat und auf der anderen Seite dem terroristischen Maßnah-
mestaat wäre auch ein Modell, das dann in die Diskussion mit einzubeziehen
wäre. Ich meine, daß dieses Modell des Doppelstaates eigentlich sehr viel
Plausibilität für sich hat. Wenn man den Normenstaat und insofern die unpoli-
tische Justiz der DDR im Alltag betrachtet, so gibt es einen Gesichtspunkt, der
einer näheren Untersuchung bedarf, nämlich wie unpolitische Sachen behan-
delt worden sind – ein Verkehrsunfall etwa, wenn darin ein SED-Funktionär
verwickelt war, oder eine Scheidungsangelegenheit eines hochgestellten Wür-
denträgers des DDR-Regimes. Und ich habe die Vermutung – es gibt auch aus
den Akten einige Hinweise –, daß in diesen personalbedingten Fällen auch an
sich völlig unpolitische Bereiche aus Eigennutz politisiert worden sind. Meine
Damen und Herren, das wäre das, was ich kurz zur Justiz zu berichten hätte.
Gesprächsleiter Prof. Dr. Peter Maser: Herr Kollege Brunner, schönen
Dank für diesen Blick durch die Lupe auf die DDR-Justiz. Wir hängen in der
Zeit schon etwas nach. Jetzt wirft unser Kollege Ilko-Sascha Kowalczuk einen
Lupenblick auf den Schwerpunkt „Opposition und Widerstand sowie Repres-
sion“. Bitte schön.
Ilko-Sascha Kowalczuk: Verehrte Anwesende, vor der Enquete-Kommission
über den Stand der Erforschung der DDR-Oppositions- und Widerstandsge-
schichte zu berichten, ist ein Wagnis in mindestens zweierlei Hinsicht. Einmal
hat sich die erste Enquete-Kommission selbst sehr verdient bei der Erhellung
dieses doch eher erfreulichen Kapitels der DDR-Geschichte gemacht. Zum an-
deren sitzen in dieser zweiten Enquete-Kommission, wie auch schon in der er-