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stitut 1956“ arbeiten wir derzeit an einem Projekt zum „Neuen Kurs“, mit dem
die sowjetische Führung 1953 zeitgleich in der DDR und Ungarn Korrekturen
der Politik der regierenden kommunistischen Parteien anordnete. Die von oben
gewollten Reformen führten in beiden Fällen zu Aufständen von unten gegen
die kommunistische Diktatur und demonstrierte der sowjetischen Führungs-
macht den engen Spielraum für reformerische Experimente in ihren „Bruder-
staaten“.
Die SED erhob den Anspruch, mit Hilfe ihres Machtmonopols die Entwick-
lung von Staat, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur zu planen, zu steuern und
zu kontrollieren. Dies galt auch für die SED-Politik gegenüber der evangeli-
schen Kirche. Im Zusammenhang mit dem Stolpe-Untersuchungsausschuß des
Landtages von Brandenburg führte der Forschungsverbund SED-Staat bereits
1992 den Nachweis, daß die zentrale Schaltstelle für die Kirchenpolitik in der
DDR weder im Staatssekretariat für Kirchenfragen noch beim MfS zu suchen
war, sie lag in den Händen der „Arbeitsgruppe Kirchenfragen“ im ZK der
SED. Hier sind auch die Verantwortlichen für die DDR-Kirchenpolitik zu su-
chen. Seit einigen Jahren befaßt sich eine Arbeitsgruppe des Forschungsver-
bundes mit der Untersuchung der Ausgrenzung von verfemter bildender Kunst
in der DDR, ein Projekt, das unter anderen zurückgeht auf die Akteneinsicht
von verfemten bildendenden Künstlern der DDR, das Projekt, das wir hoffen
im Jahre 1998 abschließen zu können wird zeigen, wie weit die Ansprüche der
SED Kultur und Kunst in den Dienst der Partei zu stellen, an dem künstleri-
schen Beharrungswillen von einzelnen immer wieder scheiterte. So daß also
von hier aus der Weg in die Opposition oder in die Ausreise in die Bundesre-
publik gegangen wurde. Auf der Leipziger Buchmesse im Frühjahr 1998 wird
der Autor Jürgen Serke – seine Bücher über die „verbrannten“ und „verbann-
ten“ Dichter haben in den siebziger Jahren in der Bundesrepublik Aufsehen
erregt – sein Werk über die vergessene DDR-Literatur vorstellen, das durch
ein Stipendium der Kultur-Stiftung der Deutschen Bank ermöglicht wurde und
in Zusammenarbeit mit dem Forschungsverbund entstand. Neu bewilligt wur-
de von der DFG gerade ein Forschungsprojekt über die Staatliche Kulturkom-
mission der DDR Anfang der fünfziger Jahre.
Ein weiteres Themenfeld unserer Arbeit bildete die SED-Westpolitik, mit der
die Partei im sowjetischen Auftrag zunächst versuchte, die Westbindung der
Bundesrepublik zu verhindern, um nach dem Grundlagenvertrag die bundes-
deutschen Parteien auf unterschiedliche Weise zu einer Existenzgarantie für
ihre diktatorische Herrschaft zu bringen. Zusammenfassend hat sich der poli-
tikgeschichtliche Ansatz zur Erforschung der SED-Diktatur als fruchtbar er-
weisen. Er vergegenwärtigt die Intentionen, Strukturen und Methoden der
Diktaturpartei und er ermöglicht es auch, ihre Grenzen und Niederlagen darzu-
stellen. Er ist auch unverzichtbar für die Erforschung von Opposition und Wi-
derstand in der DDR. Das hat Ilko-Sascha Kowalczuk eindrucksvoll gesagt.
Die Leistungen der Menschen, die dem totalitären Machtwillen der SED wi-
derstanden oder sich ihr entgegenstellten, lassen sich nur ermessen, wenn die
Diktatur selbst zum Gegenstand der Forschung wird, sie ist auch unerläßlich
für den Diktaturenvergleich im Jahrhundert der Weltkriege und totalitären Me-
ga-Regime.
Weder das Ende noch der Anfang der DDR erlauben eine isolierte Betrachtung
ihrer politischen Geschichte. Sie ist Teil der Geschichte von Deutschland in
der bipolaren Weltordnung nach Hitlers Krieg, in ihr geht es normativ um die
Systemauseinandersetzung zwischen Demokratie und Diktatur, weltpolitisch
um die Geschichte des sowjetischen Imperiums und seiner Deutschlandpolitik
im Kalten Krieg, und unverzichtbar für die demokratische Kultur der Deut-
schen ist die Erinnerung an Widerstand, Opposition und Resistenz gegen den
totalitären Machtanspruch der sowjetischen und deutschen Kommunisten nach
der Niederlage der hausgemachten Diktatur der Nationalsozialisten. Danke-
schön.
Gesprächsleiter Prof. Dr. Clemens Burrichter: Danke schön, Manfred Wil-
ke. Herr Kleßmann bitte.
Prof. Dr. Christoph Kleßmann: Vielen Dank, den Vorletzten beißen auch
schon die Hunde, nicht erst den Letzten, weil vieles hier schon gesagt worden
ist, was ich sonst auch sagen würde. In einer anderen Akzentuierung wird sich
einiges wiederholen.
Wir haben ein relativ allgemeines Thema: Chancen, Probleme und Perspekti-
ven. Ich will zu allen drei Punkten etwas sagen, aber nicht sehr konkret auf die
speziellen Projekte unseres Instituts eingehen, was sicherlich auch nicht der
Sinn der Sache wäre. Die Quellensituation scheint mir extrem günstig zu sein,
verglichen mit anderen Feldern der Zeitgeschichte. Darüber ist schon viel ge-
redet worden. Ich möchte nur noch einmal auf einen Punkt hinweisen, der häu-
fig vergessen wird. Die deutsche Teilung hat in Westdeutschland eine konti-
nuierliche publizistische und fachwissenschaftliche Beobachtung produziert,
auch Dokumentationen der Geschichte der DDR. Diese werden bisweilen, wie
mir scheint, vergessen oder nicht genügend gewürdigt. Da ist ein umfangrei-
ches Material an Quellen und Literatur entstanden, wenn man nur die frühen
Bände des SBZ-Archivs nimmt, die von Monat zu Monat dokumentieren. Das
ist auch heute noch außerordentlich wichtig. Also ich würde, um ein bißchen
zu provozieren, davor warnen, allzuviel Quellenfetischismus nur aus den Ar-
chiven zu betreiben. Daß ansonsten von verschiedenen neuen Institutionen,
nicht zuletzt von der Enquete-Kommission, viele neue Impulse auf die DDR-
Forschung ausgegangen sind, braucht man hier sicherlich nicht zu betonen. In-
sofern würde ich meinen, ist es keine Übertreibung zu behaupten, daß kein
Gebiet der Zeitgeschichte in kurzer Zeit so intensiv, so breit untersucht worden
ist, wie die DDR-Geschichte. Sie gehört neben und nach dem Nationalsozia-
lismus zum besterforschten Terrain der deutschen neueren Geschichte gehört.
Die großen Chancen, die das Quellenmaterial bietet und auch das große deut-
sche und internationale Interesse daran, rufen allerdings auch ein Problem her-
vor, das sich nach meiner Einschätzung bald herausstellen wird, nämlich einen
gewissen Überdruß. Darauf sollte man sich einstellen. Die Warnung vor einer
angeblichen Verdrängung der Geschichte der DDR-Diktatur und vor einem