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Wahlperiode 13, Band VIII/1, Seiten 124 und 125
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Protokoll der 38. Sitzung

mir, sollten wir diese Einsicht, gerade weil sie so banal ist und uns alle eben
nicht mit Ruhm bekleckert, nicht verdrängen.

Ich habe nun schon zweimal Passagen aus dem Abschlußbericht unserer Vor-
gängerkommission zitiert. Sie hat sich ausgiebig mit der Deutschlandpolitik,
hauptsächlich der Bundesregierungen zwischen 1949 und 1989, befaßt. Für das
heutige Thema ist das Fazit nicht unerheblich, das sie im Hinblick auf den Ei-
nigungsprozess zog: „Im Einigungsprozess wirkten auf staats- und völker-
rechtlicher Ebene zwei Grundentscheidungen aus vier Jahrzehnten Deutsch-
landpolitik zusammen: die mit den Westmächten auf der Basis des Deutsch-
landvertrages gemeinsame Verpflichtung auf das Ziel der ’Wiedervereinigung
in Frieden und Freiheit’ und die nach dem Grundlagenvertrag verankerte deut-
sche Zweistaatlichkeit. Das ersparte einerseits Deutschland Friedensvertrags-
verhandlungen und sicherte ihm die Unterstützung der Westmächte für die
Ausübung seines Rechts auf innere und äußere Selbstbestimmung; andererseits
erlaubte es der Sowjetunion eine würdewahrende Verabschiedung der DDR
und gewährte den Deutschen in der DDR bei Ausübung ihres Rechts auf na-
tionale Selbstbestimmung in Verbindung mit Artikel 23 Grundgesetz über den
Einigungsvertrag Schutz vor westdeutscher Majorisierung.“

Lange Sätze und schwierige Gedanken. Doch der Sinn ist einfach: Konrad
Adenauer und Willy Brandt haben je auf ihre Weise die wesentlichen Beiträge
zur Deutschlandpolitik der alten Bundesrepublik geleistet. Auf ihnen konnte
der Einigungsprozess aufbauen, nachdem das Volk in der DDR sich seine
Souveränität erobert hatte. Die Vereinigung vollzog sich in Frieden und Frei-
heit und mit dem Einverständnis unserer Nachbarn. Soviel Verdienste sich ein-
zelne dabei auch erworben haben, Glück war auch dabei.

Meine Damen und Herren, ich darf jetzt dem ersten Referenten des heutigen
Tages das Wort erteilen. Herr Professor Dr. Gregor Schöllgen vom Histori-
schen Institut der Universität Erlangen spricht zu dem Thema: Die Internatio-
nalen Rahmenbedingungen der deutschen Einheit und ihre Auswirkungen auf
die Handlungsspielräume beider deutschen Staaten in der Vereinigungsphase.
Die anschließende Diskussion wird das sachverständige Mitglied unserer
Kommission, der inzwischen eingetroffene Herr Professor Dr. Manfred Wilke,
moderieren. Zunächst bitte ich Sie, Herr Professor Schöllgen, um Ihren Bei-
trag.

Prof. Dr. Gregor Schöllgen: Vielen Dank Herr Vorsitzender. Meine Damen
und Herren, ich danke für die ehrenvolle Einladung, diese neue Runde der En-
quete-Kommission eröffnen zu dürfen und beginne in Abwandlung einer be-
kannten deutschen Spruchweisheit mit der Erkenntnis, daß Mythen lange Bei-
ne haben. Einige überleben sogar tiefgreifende Zäsuren wie den weltpoliti-
schen Umbruch der ausgehenden 80er und beginnenden 90er Jahre: Hartnäckig
hält sich das Gerücht, die deutsche Einheit sei zwischen dem Ende des Zweiten
Weltkrieges und dem Fall der Mauer ein Thema der internationalen Politik
gewesen. Das war sie nicht.

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Handlungsspielräume im Vereinigungsprozeß

Bis 1989 gab es in Sachen deutsche Einheit keinen Handlungsspielraum, weil
es für eine Wiedervereinigung Deutschlands keine internationalen Rahmenbe-
dingungen gab. Solche existierten lediglich für die Teilung; sie bestanden im
stillschweigenden Einvernehmen der Sieger des Zweiten Weltkrieges, die
deutsche Frage nicht zu lösen, sie vielmehr auf dem seit 1945/49 gegebenen
Niveau einzufrieren und also die Wiederherstellung der deutschen Einheit
nicht nur nicht anzustreben, sondern gerade zu verhindern. Unter diesen Um-
ständen hatten die beiden deutschen Staaten bis 1989 keine Wahl, als den Sta-
tus quo hinzunehmen und sich in ihm einzurichten. Den Kollaps der Rahmen-
bedingungen erkannt und den sich unerwartet öffnenden Handlungsspielraum
genutzt zu haben, ist die bleibende Leistung der deutschen Politik in den Jah-
ren 1989/90.

Ich möchte Ihnen diese These in drei Schritten plausibel machen, indem ich
zunächst die internationalen Rahmenbedingungen seit Ende des Zweiten Welt-
krieges kurz erläutere, dann, zweitens, vor diesem Hintergrund den deutschen
Handlungsspielraum ausleuchte, um schließlich, drittens, die Gunst der Stunde
in den Jahren 1989/90 in Augenschein zu nehmen.

I. Die internationalen Rahmenbedingungen

Der Schlüssel zum Verständnis der internationalen Rahmenbedingungen der
deutschen Einheit ist im Zweiten Weltkrieg, genauer gesagt: im deutschen
Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 zu suchen. Dieser und vor al-
lem das, was ihm folgte – die deutsche Kriegführung sowie der rassenideologi-
sche Vernichtungskrieg, insbesondere gegen das europäische Judentum –,
brachten zustande, was bis dahin als undenkbar zu gelten hatte: ein gemeinsa-
mes Vorgehen der Sowjetunion, Großbritanniens und seit dem Dezember auch
der Vereinigten Staaten von Amerika gegen das Deutsche Reich.

Die Bezeichnung dieser unnatürlichen Allianz, in die 1945 auch Frankreich
förmlich aufgenommen wurde, als „Anti-Hitler-Koalition“ hat ihren Grund:
Die gemeinsame Gegnerschaft gegen Hitler-Deutschland bildete so etwas wie
den kleinsten, wenn nicht den einzigen gemeinsamen Nenner, auf den sich ihre
Mitglieder verständigen konnten. Alles andere war heftig umstritten; und
schon an der Frage, wie man einem deutschen Wiederaufstieg begegnen wolle,
schieden sich die Geister. Also wurde die deutsche Frage nicht beantwortet,
sondern auf Eis gelegt. Solange der Friedensvertrag ausstand, sicherte dieser
Kompromiß denen, die ihn trugen, ein Mitspracherecht in der deutschen und
damit in der wichtigsten europäischen Frage. Immerhin sollte dieser alliierte
Kompromiß fast ein halbes Jahrhundert lang halten und nicht unmaßgeblich
zur Stabilität der internationalen Ordnung während des Kalten Krieges beitra-
gen.

In erster Linie war diese Ordnung eine sowjetische. Ihr Kern, die Westver-
schiebung Polens und die Zweiteilung des verbliebenen Deutschland, war die
Reaktion auf das, was sich zwischen 1941 und 1945 auf sowjetischem Boden