schließen

Fehler melden / Feedback

Angezeigte SeitenWahlperiode 13, Band VIII/1, Seiten 132 und 133 (wp13b8_1_0137)
betrifft 1)
Fehlerart 1)Seiten-Überschrift falsch
Seiten-Nummer falsch
Seiten-Nummer-Position falsch (rechts/links)
falsches Bild / Bild fehlt
Seite wird nicht angezeigt
Fehler im Text
Formatierung falsch
nicht aufgeführter Fehler / nur Feedback
Ihr Name
Erklärung/Feedback 1)
(nur erforderlich, falls
nicht aufgeführter
Fehler
oder nur Feed­back)
Ihre E-Mail-Adresse 2)
1)  erforderlich
2) für Rückfragen, empfohlen
   
Wahlperiode 13, Band VIII/1, Seiten 132 und 133
132
Protokoll der 38. Sitzung

Vor allem aber nutzte die deutsche Politik ihre Möglichkeiten, um Gorba-
tschow die Zustimmung zu erleichtern. Einmal drängte sie im Juli 1990, vor
dem zweiten Treffen des Kanzlers mit dem Generalsekretär, sowohl auf dem
Gipfeltreffen der Atlantischen Allianz in London als auch auf dem Weltwirt-
schaftsgipfel in Houston die Verbündeten zu unmißverständlichen Signalen an
die Adresse Moskaus; im einen Fall bestanden diese in der Erklärung, „nie-
mals und unter keinen Umständen als erste Gewalt anwenden“ zu wollen, das
ist ein Zitat aus der Londoner Erklärung des NATO-Gipfels; im anderen in der
Zusage großzügiger wirtschaftlicher Unterstützung.

Dann aber sicherte die Bundesrepublik der wirtschaftlich am Boden liegenden
Sowjetunion einseitig entsprechende Unterstützung zu, beginnend mit der Zu-
sage einer Lebensmittelhilfe in Höhe von 220 Millionen D-Mark, über die Er-
stattung nicht mehr durchgeführter Sowjetexporte in die DDR oder die Bürg-
schaft für einen Fünf-Milliarden-Kredit bis hin zur Finanzierung des sowjeti-
schen Truppenabzugs vom Territorium der ehemaligen DDR, für den Bonn
über vier Jahre mehr als 12 Milliarden D-Mark zur Verfügung stellte.

Schließlich wurde am 9. November 1990, dem Jahrestag der Maueröffnung,
am Rhein jener „Vertrag über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusam-
menarbeit“ unterzeichnet, dessen Artikel 3, Absatz 3 die bemerkenswerte
Formulierung enthält, die ich, wenn Sie erlauben, zitieren möchte – es bleibt
erstaunlich, daß eine Bundesregierung einen solchen Vertrag, der sehr stark an
andere deutsch-russische und deutsch-sowjetische Verträge seit dem 19. Jahr-
hundert erinnert, mit dieser Formulierung abgeschlossen hat: „Sollte eine der
beiden Seiten zum Gegenstand eines Angriffs werden, so wird die andere Seite
dem Angreifer keine militärische Hilfe oder sonstigen Beistand leisten und alle
Maßnahmen ergreifen, um den Konflikt beizulegen.“

Die Zeit erlaubt es nicht, darauf einzugehen, wie dieser Vertrag in der Traditi-
on des zuletzt von Bismarck abgeschlossenen deutsch-russischen Rückversi-
cherungsvertrags von 1887 steht. Ich will nur folgendes bemerken: Daß sich
die Sowjetunion während der Dämmerstunden des Kalten Krieges vom verei-
nigten und wieder souveränen Deutschland ausdrücklich zusichern ließ, im
Falle eines künftigen Konflikts nicht auf der Seite des Gegners zu stehen,
spricht für sich.

So kam in der Vereinigungsphase auf sowjetischer Seite, aber keineswegs nur
dort, noch einmal jene tiefsitzende Angst vor Deutschland zum Vorschein,
welche die 1941 gegründete „Anti-Hitler-Koalition“ fast ein halbes Jahrhun-
dert lang zusammengehalten und zu dem Kompromiß gebracht hatte, die deut-
sche Frage nicht endgültig zu lösen, sondern ohne Friedensvertrag im Zustand
der Teilung einzufrieren. Daß sich ohne den Ausfall eines ihrer Mitglieder an
diesem Zustand auf absehbare Zeit etwas geändert hätte, muß als höchst un-
wahrscheinlich gelten. Mithin ist zu bilanzieren:

Erstens: Daß sich im Winter 1989/90 gänzlich unerwartet ein Handlungsspiel-
raum in der deutschen Frage auftat, war das unmittelbare Resultat des Zusam-

133
Handlungsspielräume im Vereinigungsprozeß

menbruchs der Sowjetunion und ihres Imperiums, also einer revolutionären
Umwälzung der internationalen Rahmenbedingungen, und nicht, wie es der
Mythos sagt, in erster Linie das Ergebnis deutschen Wollens: So wichtig die
„friedliche Revolution“ in der DDR als Signal für die Weltöffentlichkeit gewe-
sen ist, so wenig hätten die Montagsdemonstrationen gegen die Armeen einer
intakten Sowjetunion ausrichten können.

Zweitens: Im richtigen Augenblick erkannt zu haben, daß sich die Rahmenbe-
dingungen der deutschen Einheit änderten, daß es deshalb, erstmals seit Ende
des Zweiten Weltkrieges, so etwas wie einen deutschen Handlungsspielraum
gab und daß dieser ebenso zügig wie umsichtig genutzt werden mußte, war die
herausragende Leistung der deutschen Politik zwischen dem 9. November
1989 und dem 15. März 1991, dem Tag des Inkrafttretens des „Zwei-plus-
Vier“-Vertrages.

Drittens und letztens: Ohne die feste Einbindung der Bundesrepublik
Deutschland insbesondere in die westlichen Gemeinschaften, an deren Not-
wendigkeit es seit den Tagen Konrad Adenauers keinen Zweifel gab, und ohne
die Bereitschaft, den Status quo im geteilten Deutschland als Ergebnis des
Zweiten Weltkrieges förmlich anzuerkennen, die mit dem Namen Willy
Brandts verbunden bleibt, hätte sich wohl auch während des Zusammenbruchs
der alten Weltordnung kaum ein Handlungsspielraum für die deutsche Politik
eröffnet. So gesehen hatte die deutsche Außenpolitik der Jahre 1949 bis 1989
die Voraussetzung geschaffen, das Provisorium des Kalten Krieges in einen
Akteur der neuen Weltordnung zu überführen. Ob die Deutschen an der
Schwelle zum 21. Jahrhundert bereit sind, die damit verbundene Verantwor-
tung zu übernehmen, wird sich zeigen. Ich danke Ihnen.

(Beifall)

Gesprächsleiter Prof. Dr. Manfred Wilke: Herr Schöllgen, seien Sie auch
von mir herzlich bedankt dafür, daß Sie angesichts unseres gedrängten Pro-
gramms exakt in den Ihnen zugebilligten 30 Minuten geblieben sind. Ich wer-
de jetzt eine erste Rederunde zulassen und Ihnen dann auch die Möglichkeit
geben, auf die Fragen zu antworten, und dann werden die 45 Minuten auch
vorbei sein, die wir zur Diskussion haben. Ich möchte in der Reihenfolge zu-
nächst aufrufen Herrn Jacobsen, Herrn Hiller und Herrn Poppe, danach Herrn
Hilsberg und Herrn Gutzeit sowie Bernd Faulenbach und Herrn Maser. Ich
bitte, wegen der Zeit sich zu beschränken auf ein bis maximal zwei Fragen.

Sv. Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Adolf Jacobsen: Lieber Herr Schöllgen, zunächst
herzlichen Dank für Ihren vorzüglichen Überblick über die internationalen
Rahmenbedingungen seit 1949. Wie von dem Herrn Vorsitzenden schon ange-
deutet, können wir darüber im einzelnen nicht diskutieren. Ich habe eigentlich
nur zwei Punkte, wobei der erste wahrscheinlich unstrittig ist. Ich glaube, daß
man bei den internationalen Rahmenbedingungen ohne den Aspekt „Wett-
kampf der Systeme“ manches nicht versteht. Aber „Wettkampf der Systeme“
im Schatten der Atomwaffen, hier also die große internationale Rivalität um