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Wahlperiode 13, Band VIII/1, Seiten 176 und 177
176
Protokoll der 38. Sitzung

Zusammenfassend möchte ich noch einmal sagen: Ich glaube, wenn man die
polnische Rolle im Vereinigungsprozess in größerem Zeitrahmen betrachtet,
sieht man, daß es nicht nur objektiv einen Zusammenhang gab zwischen der
polnischen Entwicklung und der deutschen Entwicklung, sondern daß es in
Polen ein großes Potential an Sympathie für die deutsche Einheit gab. Leider
ist das Bild dann in den Wochen und Monaten nach dem November 1989
überschattet worden von den Mißverständnissen zwischen Polen und
Deutschland in der Grenzfrage, in der Frage, die in der Geschichte verwurzelt
war. In den Fragen der Zukunft gab es auch schon damals in Polen und
Deutschland einen weitgehenden Konsens. Wenn man heute in Polen fragt, ob
die Menschen glauben, daß Polen durch die Vereinigung Deutschlands eher
gewonnen oder eher verloren hat, dann werden Sie eine große Mehrheit be-
kommen für die Auffassung, Polen habe durch die Vereinigung Deutschlands
gewonnen. Das ist heute die in Polen vorherrschende Einstellung. Ich glaube,
daß wir mit einer solchen Entwicklung im großen und ganzen doch zufrieden
sein können. Vieles hat sich inzwischen sehr beruhigt, viele Ängste sind in-
zwischen auch weitgehend abgebaut worden. Ich bin gefragt worden, wie die-
ses vereinigte Deutschland heute von Polen betrachtet wird. Ich gebe Ihnen ein
Beispiel: Mit Deutschland wird etwa 30 Prozent des polnischen Außenhandels
abgewickelt. Das ist eine, wenn Sie so wollen, in den klassischen Kategorien
enorme Abhängigkeit. Aber ich höre keinen Schrei des Entsetzens. Ich höre in
Polen Stimmen der Unruhe darüber, daß dieser deutsche Markt sich schließen
könnte, daß der Zugang zu diesem deutschen Markt erschwert werden könne,
das ist heute die Sorge. Ich glaube, daß wir es mit einer Tendenz zu tun haben,
die weitgehend positiv ist. Mir ist lieber eine Tendenz von Nüchternheit zu
mehr Optimismus und zu mehr Vertrauen als das Gegenteil. Vielen Dank.

(Beifall)

Gesprächsleiter Prof. Dr. Dr. h.c. Hans-Adolf Jacobsen: Herr Reiter, herz-
lichen Dank für Ihren Beitrag. Ich glaube, es war für uns eine sehr wichtige
Vertiefung einiger Aspekte, die Dieter Bingen vorgetragen hat. Zunächst
möchte ich das Wort dem Herrn Vorsitzenden geben. Bitte schön.

Vorsitzender Siegfried Vergin: Meine Damen und Herren, ich habe jetzt die
große Freude, einen zweiten Gast vorzustellen. Es ist Herr Botschafter Korn-
blum, der nur wenige Wochen, nachdem er hier in Deutschland offiziell Posten
genommen hat, bei uns ist. Er ist natürlich kein Unbekannter in Deutschland,
und wir wissen, wie Sie beteiligt waren an dem Prozeß, über den wir hier heute
sprechen. Herzlich willkommen.

(Beifall)

Im Rahmen unserer Enquete-Kommission, die sich ja, wie eben auch von
Herrn Botschafter Reiter gesagt, darum bemüht, dazu beizutragen, daß es zu
keiner Geschichtsklitterung kommt, darf ich Sie also gleich bitten, zu uns zu
sprechen. Es bleibt dabei, ich habe Herrn Botschafter Kornblum noch einmal
gefragt, 15:00 Uhr ist Deadline.

177
Handlungsspielräume im Vereinigungsprozeß

Botschafter John C. Kornblum: Herzlichen Dank Herr Vorsitzender. Es
freut mich sehr, gerade in diesen Tagen hier zu sein, um, wie Sie sagen, die
Geschichte etwas eingehender zu diskutieren. Ich war in den Jahren vor der
Wende zuerst in Berlin, als amerikanischer Gesandter, wo ich die Entwicklung
sehr direkt, sehr hautnah betrachten konnte. In den Jahren 1989/90/91 war ich
der stellvertretende Botschafter der Vereinigten Staaten bei der NATO. Da ha-
be ich auch den Prozeß sehr direkt beobachten können. Wenn ich jetzt zurück-
blicke, scheint alles ein bißchen klarer und logischer gewesen zu sein, als es
einem damals erschien. Um mich für heute vorzubereiten, habe ich ein bißchen
in verschiedenen Memoiren gelesen. Wie man weiß, gibt es da verschiedene
Versionen zu lesen. Doch es zeigt sich, im Nachhinein betrachtet, eine gewisse
Vorhersehbarkeit des ganzen Prozesses, die damals noch nicht so klar war.
Deshalb ist es sehr interessant und wichtig, verschiedene Gesichtspunkte jetzt
zu diskutieren. Ich werde hier nicht versuchen, die Geschichte Revue passieren
zu lassen, sondern habe drei Punkte ausgewählt, von denen ich glaube, daß sie
sehr wichtig sind für den Prozeß, aber auch für die amerikanische Haltung die-
sem Prozeß gegenüber.

Erstens: Wir haben schon gesehen, auch in den Bemerkungen von Herrn Rei-
ter, daß die deutsche Wiedervereinigung Teil eines größeren Prozesses war,
der, wie er richtig sagte, in diesem Fall nicht in Deutschland angefangen hat,
sondern in anderen Teilen Europas, der aber im Endeffekt auch viel weitere
Implikationen gehabt hat als die Wiedervereinigung Deutschlands, siehe insbe-
sondere das Ende der Sowjetunion.

Zweitens: Es ist, glaube ich, doch wichtig, die allgemeine Haltung der USA
diesem Prozeß gegenüber darzulegen, weil sie vielleicht auch die jetzige und
zukünftige Politik der USA verständlich macht, die natürlich auch weiterhin
sehr wichtig sind für die Entwicklungen in Europa.

Drittens: Ich möchte ein paar Überlegungen anstellen über die strukturellen
Entwicklungen, die damals von Bedeutung waren und noch heute von Bedeu-
tung sind.

Zum ersten Punkt brauche ich mich nur sehr kurz zu fassen. Die Änderungen
in der DDR, die schon weiter zurück in den 80er Jahren lagen, waren Teil des
allgemeinen Niedergangs des Totalitarismus und Kommunismus in Europa,
damit meine ich Solidarność. Ich war auch in Berlin, nebenbei gesagt, Anfang
der 80er Jahre, als Solidarność hochkam, und ich glaube, das hat eine sehr
wichtige Rolle gespielt. Aber die wirtschaftliche Schwäche dieses Systems, der
mangelnde soziale Konsens und, wie wir jetzt im Nachhinein sehen, die Ent-
wicklung des freien Informationsstromes, die Entwicklungen im Medienbe-
reich haben doch auch eine Rolle gespielt. Immerhin waren wir zu Beginn der
80er Jahre an einen Punkt gelangt, wo die Teilung Europas und das kommuni-
stisch/sozialistische System in Europa zunehmend unter Druck gerieten. In ei-
nigen Memoiren von DDR-Persönlichkeiten erfährt man, daß Anfang der 80er
Jahre einige wußten, daß die DDR sich mindestens wirtschaftlich nicht werde
halten können. Das war ein historischer Prozeß.