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Wahlperiode 13, Band VIII/1, Seiten 206 und 207
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Protokoll der 38. Sitzung

Interessen und der deutschen politischen Strategien in dieser Situation, um die
Frage also, inwieweit die Deutschen sich im wesentlichen situativ verhalten
haben, oder inwieweit deutsche Politik tatsächlich gestaltet hat. Wir haben eine
Reihe von offenen Fragen, eine Reihe von Problemen, mit denen sich die deut-
sche und die internationale Politik auseinandersetzen mußten, genannt, die
Frage des Zeitrahmens, in dem die Vereinigung durchgeführt werden sollte,
die Frage der Bündniszugehörigkeit, die Frage der Oder-Neiße-Grenze, aber
eben doch auch die Frage des militärischen Gewichts des vereinigten
Deutschland. Dies sind Fragen, die bereits angeklungen sind, die wir jetzt zu
vertiefen haben.

Wir haben mit den Gesprächspartnern, die jetzt zu Wort kommen, unmittelbare
Mitakteure am Podium. Da ist einmal der damalige Chef des Bundeskanzler-
amtes, Herr Seiters; ich brauche ihn hier in diesem Kreis nicht vorzustellen.
Des weiteren der hier noch bekanntere damalige Außenminister der Deutschen
Demokratischen Republik, Markus Meckel, heute Obmann der SPD dieser En-
quete-Kommission. Des weiteren Herr Poppe, der nicht nur am Runden Tisch
gesessen hat, sondern auch in der Regierung Modrow zeitweilig Minister ohne
Geschäftsbereich gewesen ist. Und schließlich Herr Irmer, wenn ich das richtig
weiß, damals Mitglied im Auswärtigen Ausschuß und außenpolitischer Spre-
cher der F.D.P. Ich darf zunächst Herrn Seiters um seine Ausführungen bitten.

Rudolf Seiters, MdB: Meine Herren Vorsitzenden, meine Damen und Herren.
Es ist sicherlich etwas schwierig, am Ende eines solchen Sitzungstages, wo
wichtige Zeitzeugen und Wissenschaftler das Thema unter den verschiedenen
Aspekten ausgeleuchtet haben, nun noch einmal zu versuchen, aus der Sicht
der Bundesrepublik Deutschland zusammenzufassen. Das werden sicherlich
keine neuen Daten und Fakten sein, aber vielleicht interessiert ja doch die Ein-
schätzung, die jemand wie ich heute zu diesen Fragen hat.

Wenn man die Politik der Bundesrepublik Deutschland im Vereinigungspro-
zess unter dem Gesichtspunkt der Handlungsfreiräume – also unter einem we-
sentlichen außenpolitischen Gesichtspunkt – zu resümieren versucht, so ist es
hilfreich, sich zunächst noch einmal die Rahmenbedingungen und Hand-
lungsmöglichkeiten der Deutschlandpolitik in den Jahren zuvor zu vergegen-
wärtigen.

Das entscheidende Rahmendatum jeder Deutschlandpolitik seit 1949 war die
Dominanz der internationalen Beziehungen. Die Teilung Deutschlands als un-
mittelbare Folge und als geographisches Zentrum des Ost-West-Konfliktes be-
deutete, daß die Situation an der Trennlinie der beiden Blöcke, das Verhältnis
der beiden Teilstaaten zueinander und damit auch jede Veränderung dieser
Gegebenheiten unmittelbar das Ost-West-Verhältnis in Europa und insbeson-
dere die Interessen der beiden Großmächte berührte.

Das bedeutete keineswegs, daß es nicht auch eigenständige Gestaltungsmög-
lichkeit für die deutschen Akteure im Ost-West-Konflikt gab: Sie konnten –
mehr oder weniger – dazu beitragen, daß Spannungen sich verschärften oder
verringerten; sie konnten darauf einwirken, ob die Folgen der Teilung für die

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Handlungsspielräume im Vereinigungsprozeß

ringerten; sie konnten darauf einwirken, ob die Folgen der Teilung für die
Menschen einschneidender oder erträglicher waren – keine unwichtigen
Handlungsspielräume, wenn man etwa an die Gestaltung des innerdeutschen
Grenzregimes durch die DDR-Organe denkt.

Natürlich stellte sich die Frage nach Handlungsfreiräumen auf seiten des west-
lichen Bündnisses auf wesentlich andere Weise dar als im sowjetisch domi-
nierten Warschauer Pakt. Wir alle kennen den entscheidenden Unterschied –
dies hat auch in den Verhandlungen über den Abzug der sowjetischen Streit-
kräfte aus Mitteleuropa 1990 eine entscheidende Rolle gespielt: die Dominanz
der Sowjetunion und ihrer Satellitenregime über die Staaten Mittel- und Osteu-
ropas war eine erzwungene, die von den betroffenen Völkern abgelehnt und in
verschiedenen Aufstandsversuchen bekämpft wurde, während die westliche
Allianz unter Führung der USA und unter Mitwirkung der Bundesrepublik
Deutschland ein freiwilliges Bündnis ist, das auf gemeinsamen Werten und
Überzeugungen der beteiligten Völker beruht. Wenn also von „Handlungsfrei-
räumen“ die Rede ist, so muß man diesen grundlegenden Unterschied in bei-
den Bündnissystemen vor Augen haben. Richtig ist gleichwohl, daß jegliche
Deutschlandpolitik in ihren Grundzügen Teil und Funktion der Ost-West-
Beziehungen insgesamt war und von ihnen ihre Rahmenbedingungen und
Handlungsmöglichkeiten erhielt.

Seit der ersten Wende im Ost-West-Konflikt – der Doppelkrise um Berlin und
Kuba 1958/62 – war die Ostpolitik des westlichen Bündnisses von dem Inter-
esse geleitet, krisenhafte Zuspitzungen zu vermeiden und durch Konsultati-
onsmechanismen und Rüstungskontrolle einen Abbau der Ost-West-
Spannungen zu erreichen, auch um den Preis der einstweiligen Hinnahme der
Teilung Deutschlands und Europas.

Die Deutschlandpolitik der Bundesrepublik mußte sich diesen Gegebenheiten
anpassen und tat es in den bekannten Etappen vom späten Adenauer mit seinen
Modus-Vivendi-Angeboten an die UdSSR bei gleichzeitigen menschlichen
Erleichterungen für die DDR-Einwohner, über die Regierungen Erhard und
Kiesinger bis hin zur Deutschlandpolitik der sozialliberalen Koalition und
schließlich der Deutschlandpolitik der Regierung Kohl/Genscher.

Dabei erhielt dile Vertragspolitik mit den kommunistisch regierten östlichen
Nachbarstaaten und mit der DDR ihren jeweiligen politischen Stellenwert
durch die Gesamtkonzeption, in die sie eingebunden war. Man darf hier daher
nicht ohne weiteres geradlinige Kontinuitäten annehmen.

Das Dilemma dieser Politik bestand bis an die Schwelle der revolutionären Er-
eignisse von 1989/90 darin, daß die Bundesrepublik am Ziel der Überwindung
des Status quo, also der Verwirklichung der Selbstbestimmung der Deutschen,
festhalten mußte und wollte – bis in die 80er Jahre hinein im Einvernehmen
der demokratischen Kräfte –, daß es aber gleichzeitig bis 1989 keine realisti-
sche Chance gab, dieses Ziel tatsächlich zu erreichen. Vielmehr mußte die