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Wahlperiode 13, Band VIII/1, Seiten 232 und 233
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Protokoll der 38. Sitzung

ten, und danach auch einiges mehr an Akzeptanz für die deutsche Einheit
durch große Mehrheiten, oder noch größere Mehrheiten, wie immer Sie wol-
len, erreichen können.

(Beifall)

Gesprächsleiter Prof. Dr. Bernd Faulenbach: Es folgt Herr Irmer. Wenn wir
wenigsten noch etwas diskutieren wollen, Herr Irmer, dann wäre ich, jedenfalls
als Diskussionsleiter, sehr froh, wenn Sie die Länge von Herrn Poppe etwas
unterschreiten könnten.

Ulrich Irmer, MdB: Sie meinten die Länge seiner Ausführungen. Dem letzten
schneiden die Diskussionsleiter immer gern die Redezeit ab. Aber ich will hier
sehr diszipliniert sein. Wenn man die Frage nach den Handlungsspielräumen
insbesondere deutscher Politik stellt, dann muß man sagen, daß die deutsche
Politik die Handlungsspielräume, die es dann tatsächlich gab, in der Vergan-
genheit geschaffen hatte. Voraussetzungen für die Vereinigung, conditiones
sine quibus non, waren die folgenden:

  1. Die Westintegration
  2. Die Ostpolitik, das heißt die Vertragspolitik
  3. Die Tatsache, daß diese beiden Politiken, so sehr ursprünglich bekämpft
    von bestimmten innenpolitischen Kräften, später zum Gemeingut der Au-
    ßenpolitik wurden. Die Westintegration wurde von der SPD später voll
    übernommen. Die Vertragspolitik, insbesondere der KSZE-Prozeß, wurde
    von der CDU/CSU, die ursprünglich ja sehr skeptisch und ablehnend gewe-
    sen war, auch zu ihrer eigenen Politik in der Zeit nach 1982 gemacht. Ganz
    wesentlich ist, daß dieses beides auf breiter Grundlage in Deutschland ge-
    schehen konnte.

Ich stimme zu, wenn Herr Seiters sagt, daß eine wesentliche Voraussetzung für
die Vereinigung auch gewesen ist, daß der zweite Teil des NATO-Doppelbe-
schlusses durchgesetzt wurde. Ich will das jetzt nicht im einzelnen begründen.
Ich behaupte zweierlei. Erstens, hätte auch nur einer unserer Nachbarn, ich
will von den Vier Mächten gar nicht reden, aber einer unserer Nachbarn, die
insbesondere Opfer der Hitler-Aggression gewesen waren, der Einheit wider-
sprochen, wäre es dazu nicht gekommen. Ich erwähne jetzt mal die Niederlan-
de oder Dänemark oder Polen. Hätten sie widersprochen, hätte es die Einheit
nicht gegeben. Zweite Behauptung: Hätte die Bevölkerung in der DDR und
hätten die gewählten Vertreter der DDR nach dem März 1990 die Vereinigung
nicht gewollt, wäre es dazu auch nicht gekommen. Ich will das an zwei kurzen
Anekdoten klar machen. Als die F.D.P.-Bundestagsfraktion in der zweiten
Oktoberhälfte 1989 in Dresden ihre Fraktionssitzung hatte, traten wir in einer
Kirche auf, wo wir eingeladen waren; es ging um die gefälschten Kommunal-
wahlen vom März. Dort stand Uwe Ronneburger auf und sagte: Liebe Kir-
chengemeinde, meine Damen und Herren, und dann nach einer Pause, liebe
Landsleute. Es ging praktisch ein Erschrecken durch diesen Kirchenraum, man

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Handlungsspielräume im Vereinigungsprozeß

wollte das eigentlich gar nicht hören. Nachher wurde es akzeptiert. Aber die
Frage der Einheit stand erst ganz ganz hinten auf dem Programm, nach der
Frage der Demokratisierung. Zweitens, ich kann hier aus eigener Erfahrung
glücklicherweise berichten, ich bin Mitglied der Parlamentarischen Ver-
sammlungen von Europarat und WEU und Mitglied der Interparlamentari-
schen Union. Wir haben in diesen Gremien, als die Mauer gefallen war, per-
manent unseren Kollegen aus den anderen Ländern erklären müssen, Herr
Schorlemer weiß das, er nickt: Was macht denn ihr Deutschen jetzt? Sie hatten
Angst vor der Perspektive deutsche Einheit. Sie sagten, wir sind ja riesenfroh,
daß jetzt die Mauer gefallen ist, daß die Leute ihre Freiheit bekommen, aber
mit der deutschen Einheit, da trauen wir uns nicht ran. Und ich sage noch et-
was, ich behaupte das einmal: Der Beitrag deutscher Bundestagsabgeordneten,
die in internationalen Gremien tätig waren, ist nicht zu unterschätzen. Das ist
ein Aspekt, der hier sicher noch nicht zur Sprache gekommen ist. Wir haben
um Vertrauen geworben, über die Jahre Vertrauen gebildet. Wenn ich in mei-
ner europäischen liberalen Fraktion im Europarat auftrat, mußte ich jedesmal
Rechenschaft ablegen. Was macht ihr jetzt, was ist Neues passiert, was habt ihr
vor? Und wenn ich dann gesagt habe, wir wollen keine Großmacht werden,
wir wollen die deutsche Einheit nicht dazu benutzen oder nicht dazu, uns aus
den internationalen Gremien herauszulösen, wir kennen unsere Verantwortung,
wenn ihr jetzt damit einig seid, ist das ein Vertrauensvorschuß, als den wir das
auch betrachten, dann haben sie gesagt: Ja, diese Leute kennen wir seit vielen
Jahren. Die haben eigentlich immer ehrlich mit uns geredet, warum sollen wir
das denen nun nicht glauben? Ich bin der Überzeugung, daß dies über diese
Gremien hinweg einen Einfluß auch in die anderen Parlamente der europäi-
schen Länder gehabt hat und daß dies die Rahmenbedingungen auch mit ge-
schaffen hat. Ein Punkt, das will ich nicht verschweigen, der zu Irritationen
geführt hat, war die späte Bereitschaft der Bundesrepublik Deutschland, sich in
der Frage der Oder-Neiße endgültig zu erklären. Das muß man der Objektivität
halber feststellen, es gab ja auch Meinungsverschiedenheiten darüber. Aber es
ist völlig klar, daß dieses eine Rolle gespielt hat.

Die Dauerwirkung auch des KSZE-Prozesses hat einen unmittelbaren Einfluß
auf den Vereinigungsprozess und die Rahmenbedingungen gehabt. Ich erinne-
re daran, daß ungefähr seit Mitte 1988 ständig Konferenzen zu dem Thema
„gemeinsames Haus Europa“ stattgefunden haben, insbesondere in den Län-
dern des damaligen Ostblocks. Wir sind da, Schorlemer weiß es auch von Un-
garn, regelmäßig aufgetreten. Ich war in der ersten Jahreshälfte 1989 fast öfter
in der Tschechoslowakei, in Ungarn und Polen als hier zu Hause, weil wir
ständig gebeten wurden, mit den Leuten zu diskutieren: Wie ist das mit den
Erfahrungen der Demokratie? Der Umbruch in Ungarn unter der Übergangsre-
gierung Nemeth, Pozsgay, Leute, die damals eine Rolle gespielt haben, war
erheblich. Die Ungarn konnten sich dann, als sie die Grenze nach Österreich
aufgemacht haben, eine Verletzung der bilateralen Verpflichtung gegenüber
der DDR leisten, weil sie sich auf das KSZE-Schlußdokument der Wiener Fol-
gekonferenz berufen konnten. Und das war ganz entscheidend, weil sie hier