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Wahlperiode 13, Band VIII/1, Seiten 260 und 261
260
Protokoll der 38. Sitzung

tion in die Weltwirtschaft, zur Mitgliedschaft in den G-7 dienen. Aber auch
weitere realpolitische Motive mögen eine gewisse Rolle gespielt haben: nach
Erläuterungen von Falin hoffte Gorbatschow seinerzeit, durch die Vollmit-
gliedschaft Deutschlands in der NATO dem alten sowjetischen Ziel doch näher
zu kommen, die westliche Allianz letztlich zu zerstören.38 Ein Berater im Um-
kreis Gorbatschows deutet auch die damals gehegte Illusion einer „Achse
Moskau-Berlin“ an, über die „unterschwellig“ schon in Gesprächen zwischen
Kohl und Gorbatschow die Rede gewesen sei.39 Fragt man abschließend nach
der übergreifenden Rationalität der sowjetischen Zugeständnisse, so dürfte klar
sein, daß sich angesichts der Verschiebung der Balance of Power, des Abstiegs
der ehemaligen Supermacht, der schweren Wirtschaftskrise, der zunehmenden
nationalen Konflikte, des Zusammenbruchs der DDR und der kommunisti-
schen Herrschaft in Osteuropa sowie der galoppierenden Schwindsucht der Pe-
restrojka, Gorbatschow nahezu unvermeidlich auf Kooperation mit einem er-
starkten, vereinten Deutschland setzen mußte. Die Erkenntnis einer der UdSSR
und Rußland wohlgesonnenen deutschen Bevölkerung und die Abschwächung
antideutscher Ressentiments bei den Nationen der Sowjetunion erleichterten
ihm die persönliche Entscheidung. Das von Brandt und Schmidt, Scheel und
Genscher nach 1969 angehäufte Kapital des Moskauer Vertrages von 1970
hatte sich akkumuliert. Dazu hatte nicht zuletzt auch die deutsche Wirtschaft
beigetragen. Seit Ende 1988 bildete sich ein persönliches Vertrauensverhältnis
zwischen den obersten Repräsentanten von UdSSR und BRD heraus, welches
angesichts der Entscheidungsmacht des sowjetischen Präsidenten zu einem der
tragenden Pfeiler im Prozeß der Vereinigung Deutschlands wurde.

 

  1. Parteivorstand/Archiv: Einige Gedanken Falins zum Prozess der deutschen Vereinigung vom 15.9.1990, S. 1.
  2. Èernjaev, op. cit., S. 25.
261
Handlungsspielräume im Vereinigungsprozeß

Anlage 2

Dieter Bingen

Die Politik Polens und anderer ostmitteleuropäischer
Staaten im deutschen Vereinigungsprozeß 1989/90

Schriftliche Vorlage

Die drei ostmitteleuropäischen Staaten Polen, die Tschechoslowakei und Un-
garn haben auf unterschiedliche und individuell ganz charakteristische Weise
den Prozeß der Vereinigung der beiden deutschen Staaten in den Umbruchmo-
naten 1989/90 beeinflußt. Bei der Betrachtung und Analyse der Vorgänge, die
zur Vollendung der staatlichen Einheit Deutschlands am 3. Oktober 1990
führten, sind grob zwei Phase voneinander zu trennen: eine erste Phase bis
zum 9. November 1989, in der ein innerer Gärungsprozess in der DDR mit in-
ternationalen Auswirkungen (Massenflucht) die europäische Umwelt in Atem
hielt, und eine zweite Phase, die unmittelbar nach dem Mauerfall die deutsche
Einheit auf die Tagesordnung der Politik setzte.

Mit Blick auf diese zwei Phasen kann der Beitrag der Akteure „Polen“1,
„Tschechoslowakei“ und „Ungarn“ gewichtet werden. Ungarn hat seit Mai
1989, seit September 1989 haben Ungarn und die Tschechoslowakei durch ihre
Initiative bzw. durch ihre Reaktionen dazu beigetragen, daß im November
1989 die Mauer fiel. Sie waren durch konkrete politische Entscheidungen in
den Frühjahrs- und Frühherbstmonaten 1989 Mitverursacher der Beschleuni-
gung des inneren Zusammenbruchs des Honecker-Regimes.

Bis zum November 1989 war Polens Beitrag zur Entwicklung in der DDR im
Sinne operativer Außenpolitik eher peripher, da es im außenpolitischen Ent-
scheidungsverhalten weniger als Budapest und Prag herausgefordert wurde.
Freilich war der Beitrag Polens in einem weiteren Sinne außerordentlich und
entscheidend: Ohne die Solidarność-Bewegung seit 1980 und die von ihr aus-
gelöste Kettenreaktion im sowjetischen Block, v.a. ihren Einfluß auf die so-
wjetische Politik in den achtziger Jahren, hätte im Sommer 1989 nicht die von
Gorbatschow konzedierte Wahlfreiheit für Polen, d. h. die Wahl eines nicht-
kommunistischen Regierungschefs, angestanden. In Polen wurde die Macht-
frage zuerst gestellt, die zuletzt und am dramatischsten sowohl für die Sowjet-
union wie für ihren deutschen Vorposten beantwortet werden mußte. Durch die
neue innenpolitische Lage in Polen wurde die strategische Position der DDR
im Warschauer Pakt unterminiert. Die in Polen zuerst gestellten Fragen und

 

  1. Bei den eingerückten Textpassagen in dem vorliegenden Manuskript handelt es sich – soweit nicht anders belegt – um Erläuterungen zur Interessenlage der Bundesregierung bei Polen betreffenden Fragen im deutschen Einigungsprozess, die meinem im Januar 1998 erscheinenden Buch: Die Polenpolitik der Bonner Republik von Adenauer bis Kohl (1949-1991), Baden-Baden: Nomos Verlag 1998 (poln. Version: Polityka Republiki Bońskiej wobec Polski. Od Adenauera do Kohla. 1949-1991, Kraków: Wyd. Kwadrat 1997), entnommen sind.