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4.5. Motive für die Mitgliedschaft
Die Massenorganisationen waren integraler Bestandteil des alltäglichen Le-
bens in der DDR. Sich für eine Mitgliedschaft zu entscheiden, war deshalb
nahezu eine Selbstverständlichkeit und meist keine bewußte politische Ent-
scheidung. Ausschlaggebend war in vielen Fällen die „Monopolfunktion“ der
jeweiligen Organisationen für bestimmte Betätigungen oder soziale Leistun-
gen: So wurde man als Berufstätiger Mitglied im FDGB, dem alleinigen Trä-
ger des Sozialversicherungssystems (Urlaubsbetreuung; Zuschuß bei längerer
Krankheit und bei Geburt des Kindes; Bewilligung von Kuren; Stellungnahme
bei Antrag auf Invalidität; Sterbegeld, Notwendigkeit einer Empfehlung beim
Bau eines Eigenheimes oder Bungalows). Auch der Nachweis eines gewissen
gesellschaftlichen Engagements, der von der SED als Loyalitätsbeweis immer
wieder gefordert wurde, konnte durch eine – oft nur formale – Mitgliedschaft,
z. B. in der „Gesellschaft für deutsch-sowjetischen Freundschaft“ (DSF), rela-
tiv leicht erbracht werden. Die hohen Beitragsrückstände einzelner Mitglieder
und „Eintrittswellen“ infolge gezielter Werbekampagnen lassen vermuten,
daß es insgesamt sehr viel mehr politisch unmotivierte oder rein formale als
politisch engagierte Eintritte gab.
Dagegen war der Eintritt in eine Blockpartei in der Regel ein überlegter
bzw. zweckorientierter Schritt, mit dem der einzelne eine bewußte politische
Entscheidung traf und sich von anderen deutlich absetzte. Nicht zuletzt deshalb
können auch die persönlichen Motive und Beweggründe für den Eintritt in eine
bestimmte Blockpartei als Grundlage für Aussagen zum politischen Selbstver-
ständnis dieser Parteien und ihrer Haltung zum SED-Regime herangezogen
werden. Durch die Mitgliedschaft in einer Blockpartei konnte man auf lokaler
Ebene gewisse eigene – wenn auch oft nur geringfügige – Akzente setzen und
die Schutzfunktion der Blockparteien als „politische Nischen“ nutzen [→ Ex-
pertisen Richter II, Papke]. Der überwiegende Teil der Mitglieder von CDU
und LDPD entwickelte in vieler Hinsicht routinierte Ausweichmechanismen
gegenüber den permanenten ideologischen Indoktrinationsversuchen. Insofern
darf der formelle Nachweis von Staatsloyalität durch den Beitritt zu einer
Blockpartei nicht undifferenziert mit einem Nachweis wirklicher Loyalität zum
System des „real existierenden Sozialismus“ gleichgesetzt werden.
Vielmehr kann man zu Recht von Systemdistanz bei vielen Mitgliedern in den
Blockparteien sprechen. Wichtige Gründe für den Parteibeitritt waren z. B.
bei Handwerkern und Gewerbetreibenden der Austausch mit Gleichgesinnten
sowie praktische Lebens- und Berufshilfe vor Ort; mancherorts setzte die
Erteilung einer Gewerbeerlaubnis die Mitgliedschaft in einer Blockpartei
(vor allem der LDPD) voraus. Die Blockparteien fungierten somit als
eine Art Meinungsforum und berufliche Interessenvertretung bei konkreten
Einzelproblemen. Ausschlaggebend war für viele Mitglieder, daß sie durch
ihren Eintritt das von der SED für bestimmte berufliche Ziele geforderte
politische Engagement nachweisen konnten, ohne der SED selbst beitreten zu
müssen. Der Aufstieg in politische Spitzenämter und hohe Leitungspositionen
in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft war ihnen damit allerdings meist
verwehrt. Zudem sind Mitglieder von Blockparteien in der Regel von einer
Beschäftigung in sicherheitsempfindlichen Bereichen (z. B. Offiziersränge in
der NVA; Tätigkeit bei der SDAG Wismut) ausgeschlossen gewesen. Auch
eine Mitgliedschaft in den Betriebskampfgruppen war bis in die späten
achtziger Jahren nicht möglich.
4.6. Die Frage der politischen Verantwortung
Nach ihrer Gleichschaltung dienten Blockparteien und Massenorganisationen
der SED zur Absicherung ihres Herrschaftssystems. Als „Transmissionsrie-
men“ instrumentalisiert, sollten sie die Politik der SED über ein weitverzweig-
tes Organisationsgeflecht in sämtliche Bereiche der Gesellschaft hineintragen
und umsetzen. Auch wenn ihnen dies im Sinne einer ideologischen Erziehung
der Bevölkerung zur Konformität mit der SED-Politik offensichtlich nicht
gelang [→ Suckut, Protokoll Nr. 22], fungierten sie als Hilfsinstrumente,
mit denen die SED das politische System der DDR beherrschen und sich
Informationen über die tatsächliche politische Stimmungslage der Bevölkerung
verschaffen konnte.
Bei der Bewertung der Blockparteien müssen ihre völlig unterschiedlichen
Funktionen für die SED, für die Funktionäre der Blockparteien und für
die Mitglieder Berücksichtigung finden. Mit der Übernahme von Funktionen
in Teil- und Randbereichen der Gesellschaft trugen sie zweifellos zu einer
gewissen Stabilisierung des politischen Systems der DDR bei. Indessen kann
aufgrund aufgezeigter Faktoren nur bedingt von Verantwortung und Teilhabe
am Regime gesprochen werden.
Bemerkenswert bleibt, daß ein gesamtdeutscher Bezug in der Mitgliedschaft
der beiden vormals bürgerlichen Parteien CDU und LDPD nie ganz erloschen
ist. In der Politik der beiden Blockparteien hatte er allerdings eine geringe
und zudem unterschiedliche Bedeutung. Die CDU in der Bundesrepublik
Deutschland lehnte Kontakte zur Block-CDU ab, um eine Aufwertung der
SED-abhängigen Parteiführung zu vermeiden; sie sah in der Exil-CDU die
legitime Vertreterin der christlichen Demokraten der DDR. Demgegenüber gab
es in der FDP seit 1956 kontinuierliches Interesse an Gesprächen mit Vertretern
der LDPD – zum einen, um den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen,
zum anderen in der Hoffnung, auf diesem Wege politische Anregungen in
die SED hineintragen zu können. Dieses Interesse konnte die LDPD aber über
einige kurzfristige Aufmerksamkeitserfolge hinaus systembedingt nur begrenzt
nutzen. In der friedlichen Revolution von 1989/90 trat die in den vorherigen