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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 114 und 115
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Protokoll der 20. Sitzung

man da nicht sogar immer wieder etwas stolz auf das sein, was man sich unter
so vielen Schwierigkeiten aufgebaut hatte und in zähem Bemühen ständig zu
sichern und weiter auszubauen versuchte?

Was wußte man in der DDR von denjenigen, die nun tatsächlich ihre Erfah-
rungen mit den politischen, geistigen und psychosozialen Unterdrückungsme-
chanismen der SED-Diktatur gemacht hatten? Ich denke an die politischen
Gefangenen, die Wehrdienstverweigerer und Bausoldaten, die in Studium und
Beruf wegen mangelnden sozialistischen Bewußtseins Zurückgesetzten, die
jungen Leute, die sich in verschiedenen Gruppen mit Leidenschaft für Men-
schenrechte, Frieden und Bewahrung der Schöpfung einsetzten und deshalb
nur allzuoft in Konflikte mit der sozialistischen Gesellschaft gerieten. Ich
denke an die Menschen, die es in der DDR nicht mehr aushielten und als
Ausreiser das Land verließen oder verlassen wollten oder sollten, und an die
Christen, die sich oft an den Rand gedrängt fühlten und andererseits dann
auch wieder häufig in belastender Weise in Anspruch genommen wurden.

Wurden solche Menschen mit ihren Schicksalen und Überzeugungen nicht
eben doch weithin als sonderbare Heilige angesehen, die gewiß immer wieder
auch insgeheim Respekt erfuhren, die dann aber immer auch wieder etwas
Komisches an sich hatten in ihrem Beharren auf Standpunkten, die in der
DDR-Wirklichkeit einfach nicht durchsetzbar zu sein schienen? Der Blick
zurück hat hier gewiß manche Dimensionen verschoben. Die jetzt oft genannte
DDR-Nostalgie hat viele Gesichter. Da wird die eigene Widerständigkeit in
der Erinnerung ebenso überhöht, wie auch das eigene Versagen, die eigene
Schuld verkleinert wird. Das Wissen um den Aus- und Untergang der DDR
läßt vieles in einem anderen Licht erscheinen, und solches Licht färbt das
Erinnern um, und das nicht ein für allemal, sondern immer wieder neu.

Die Kerzen des Herbstes 1989 gaben ein anderes Licht als die Neonreklamen,
die beim ersten Besuch über die Grenzen hinweg die massenhafte Verschwiste-
rung illuminierten. Wieder anders färbte sich die Erinnerung, als in den immer
mehr überalterten und unrentablen Betrieben der ehemaligen DDR die Lichter
ausgingen und sich in manchen Regionen eine graue Düsternis verbreitete, die
sogar das Vergangene allmählich wieder in ein freundlicheres Licht rückte.

Erinnerung ist immer etwas sehr Persönliches. Sie hat immer etwas zu tun
mit der eigenen Vergangenheit, Gegenwart und schließlich auch mit der
Perspektive, mit der der einzelne in die, in seine Zukunft schaut. Erinnerung
als Aufarbeitung einer Geschichte durch ein ganzes Volk, das selbst Subjekt
und Objekt dieser Geschichte war und ist, hat es mit millionenfacher eigener
Erinnerung zu tun. Die Zeitgeschichtler wissen um die Schwierigkeiten, die
der Umgang mit einer Geschichte bereitet, die noch qualmt.

Der vielstimmige Chor der Zeitzeugen, zu dem auch diejenigen gehören, die
jetzt verbittert und resigniert schweigen, macht es besonders schwierig, dieser
noch qualmenden Geschichte zu begegnen. Da hat jede Stimme, so leise oder

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SED-Diktatur – Unterdrückungsmechanismen/Alltag

so schrill sie auch klingen mag, ihr eigenes Recht, denn sie spricht vom
eigenen Leben und der Art und Weise, wie man damit fertig wurde im Alltag,
der ja nun eben auch in der DDR der Normalfall war.

Wenn es bei dieser Anhörung heute und morgen gelingt, ein Stück der
Vielstimmigkeit des Chores der Zeitzeugen hörbar zu machen, wenn es
gelingt, so aufeinander zu hören, daß dem anderen das Recht auf seine eigene
Geschichte und das Reden darüber zugestanden wird; wenn es gelingt, auch
einer breiteren, weiteren Öffentlichkeit davon etwas deutlich zu machen, wie
Geschichte und die Folgen der SED-Diktatur in Deutschland aufzuarbeiten
sind, dann wird diese Anhörung ihr Ziel erreichen.

Ich gehe davon aus, daß Sie alle den inhaltlichen Ablauf, wie wir uns das für
heute und morgen vorgestellt haben, vor sich liegen haben. Darum brauche
ich Ihnen eigentlich nicht zu sagen, daß wir zunächst bis zur Pause um 13.00
Uhr zwei Vorträge hören werden. Wir haben für ihre Bereitschaft, dies zu tun,
Herrn Ehrhart Neubert und Herrn Wolfgang Templin zu danken.

(Beifall)

Danach wollen wir in ein Gespräch, in eine Diskussion über das Gehörte
eintreten, und nach der Mittagspause werden Befragungen, Gespräche mit
Zeitzeugen folgen. Ich bin von Markus Meckel gebeten worden, diejenigen, die
bei der Zeitzeugenbefragung ab 14.00 Uhr dabei sind, zu bitten, schon 13.30
Uhr im Raum 181 zusammenzukommen, weil Markus als Gesprächsleiter die
Sache gern mit ihnen etwas vorbesprechen möchte. An sie also die herzliche
Einladung, sich schon 13.30 Uhr zu versammeln.

Ich sage für alle im Blick auf die freundliche Hilfe des Stenographen, der zu
unser aller Bewunderung hier in der Mitte sitzt: Jeder, der nachher etwas sagt,
möge bitte unbedingt seinen Namen vorher sagen, weil es sonst ungeheuer
schwer wird, aus der Mitschrift etwas Vernünftiges zu machen. Bitte, nicht
vergessen!

Dem ersten nehme ich das ab; er muß seinen eigenen Namen nicht sagen:
Ehrhart Neubert, ich bitte Dich, sage uns etwas zum Thema „Zwischen
Anpassung und Verweigerung – der einzelne im realen Sozialismus“.

Ehrhart Neubert: Verehrter Herr Vorsitzender, lieber Rainer! Meine Damen
und Herren! Rainer Eppelmann hat kürzlich eine Aussage über die Bevölke-
rung der ehemaligen DDR getroffen, indem er sie in mehrere, fünf, Kategorien
eingeteilt hat. Danach hätte es auf der einen Seite eine kleine Gruppe von
Widerständlern und intensiven, aktiven Verweigerern gegeben, auf der anderen
Seite die berühmte „Nomenklatura“, und dazwischen eine große Mehrheit, die
bald so, bald so optiert hat. Das war eine mutige Äußerung, und die Reaktionen
in der Presse und auch von bestimmten Politikern ließen nicht lange auf
sich warten; denn eine solche Katalogisierung aus dem Munde von Rainer
Eppelmann ist zugleich ein Urteil, das die meisten ehemaligen DDR-Bürger