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viele einzelne wichtige Fragen vergessen. Ich würde aber gerne noch auf
weitere Fragen zurückkommen.
(Beifall)
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Einen herzlichen Dank auch Dir noch
einmal, Wolfgang Templin. Ein Blick auf die Uhr sagt uns, daß wir unseren
Zeitplan trotz großzügig eingeplanter Mittagspause doch nicht ganz so werden
einhalten können, wie wir es ursprünglich gedacht haben.
Mein Vorschlag wäre, daß wir hier 14.30 Uhr weitermachen, also eine halbe
Stunde später als ursprünglich geplant. Wir müßten es trotzdem schaffen, weil
für die beiden nächsten Gesprächsrunden jeweils zwei Stunden eingeplant
gewesen sind. Das heißt, daß die Vorbereitungsrunde, um die Markus Meckel
gebeten hat, sich erst um 14.00 Uhr im Raum 181 trifft.
Die anwendenden Journalisten haben die Möglichkeit, uns heute abend zum
Stasi-Knast in Hohenschönhausen zu begleiten.
Ich wünsche Ihnen jetzt eine kurze Phase des Durchatmens. Wir freuen uns
über jeden, der nachher um 14.30 Uhr noch da ist, wieder da ist oder neu
dazugekommen ist.
(Unterbrechung der Sitzung: 13.40–14.40 Uhr)
Gesprächsleiter Markus Meckel (SPD): Wir wollen die Zeitzeugenanhörung
„Alltagserfahrungen aus vier Jahrzehnten DDR“ fortsetzen. Wir haben heute
vormittag sehr allgemein, aber auch sehr differenziert gehört, was dies
bedeutete, DDR-Erfahrung, die verschiedenen Repressionsmechanismen, die
verschiedenen Alltagerfahrungen. Es war ein buntes Bild, das sich zeigte,
wenn der einzelne befragt wird nach seinem persönlichen Schicksal. Wir haben
heute hier Zeitzeugen eingeladen, von denen die meisten in der Öffentlichkeit
nicht bekannt sind; denn das normale Schicksal ist – wie überall – zwar mit
konkreten Einzelnamen verbunden. Typisch wird es aber, wenn man sich die
vielen Einzelschicksale „kleiner Leute“ ansieht.
Ich denke, wir können Zusammenhänge deutlicher in den Blick bekommen,
wenn wir einzelne bitten zu reden. Dies soll in den nächsten zwei Stunden
geschehen. Wir haben zehn Personen eingeladen, zu uns zu reden. Aus
ganz unterschiedlichen Zeiten dieser 40 Jahre werden sie berichten, mit ganz
unterschiedlichen Dimensionen dessen, was ihr Leben geprägt hat.
Ich habe die schwierige Aufgabe, mit einer so großen Zahl von Zeugen
innerhalb von zwei Stunden abschließen zu müssen. Das heißt, daß wir
natürlich nicht fertig werden können. Ich bitte schon jetzt zu entschuldigen,
wenn ich an der einen oder anderen Stelle möglicherweise straffend in das
Gespräch eingreifen muß, damit nach einer ersten Runde die Möglichkeit
besteht, aus dem Plenum und aus der Kommission heraus noch einige Fragen
zu stellen. Außer den hier vorn Sitzenden haben sich in der Pause einige
gemeldet, die selbst keine Fragen stellen, sondern ein eigenes Schicksal
darstellen wollen, das in der Reihe dessen, was hier vorgetragen wird, so
nicht vorkommt. Wir wollen versuchen, das auch noch mit aufzunehmen.
Wir wollen beginnen mit Herrn Karl Nali. Herr Nali ist Sorbe, war Lehrer
in Bautzen und mit Berufsverbot belegt. Ich möchte die Reihe derer, die hier
vorn sitzen, weiter vorstellen:
Herr Ralf Hirsch, den meisten als Bürgerrechtler bekannt; Frau Silvia Man-
goldt, Psychologin im Kinderheim in Erfurt; Herr Hartmut Neuke war Hoch-
schullehrer an der Universität Leipzig; Herr Eberhard Wendel hat sechs Jahre
in Brandenburg gesessen; Herr Ronald Dembicki hat mancherlei Repressionen
erlitten wegen seines Ausreiseantrages; Herr Götz Gringmuth-Dallmer mußte
als Jugendlicher wegen seiner Überzeugung manches durchmachen; Herr
Klaus Pfleumer war privater Verleger in der DDR, womit ein entsprechendes
Schicksal verbunden war. Wir warten noch auf Lutz Rathenow, der zugesagt
hat, aber bisher noch nicht unter uns ist. Wir beginnen mit Herrn Nali.
Karl Nali: Sehr geehrte Damen und Herren! Ich gebe der Freude Ausdruck,
daß mir endlich die Gelegenheit geboten wird, vor einem kompetenten
Gremium mein bisheriges Schicksal darlegen zu können, das ich während
zweier Diktaturen durchstehen mußte.
Zum besseren Verständnis ist es erforderlich, einige Sätze über die Erlebnisse
als junger Mensch im Elternhaus in der braunen Zeit zu sagen, das mein
späteres Leben entscheidend prägte. Als Sohn sorbischer Eltern geboren,
wuchs ich in dieser christlichen Sprach- und Lebensgemeinschaft auf. Schon
als Dreizehnjähriger, 1933, lernte ich die Grausamkeiten der braunen Schergen
kennen. Unser Haus wurde durchwühlt. Die Eltern als Gegner der Nazi-Partei
bekannt, erfuhren in Gegenwart der Kinder eine Erniedrigung und Diskrimi-
nierung. Der Vater verlor seine Arbeit und wurde als Buchdrucker, später
als Streckenarbeiter bei der Reichsbahn – als Schwerkriegsbeschädigter! –
eingesetzt und so schicksalhaft 1945 beim Einmarsch der Russen, daheim auf
Befreiung wartend, erschossen.
Schon Ende Mai 1945 aus dem Lazarett entlassen, kehrte ich aus dem Krieg
zurück. Politisch nicht belastet, da kein Mitglied irgendeiner faschistischen
Organisation, wurde ich sofort als Neulehrer an einer Schule im Kreis Bautzen
eingesetzt, die ich dann als Leiter dieser Institution aufbaute. In den ersten
Jahren genoß ich politisch relativ viele Freiheiten, da man mich als Sohn eines
Antifaschisten eingestuft hatte.
Doch sehr bald änderte sich die Lage grundlegend, als die SED als Partei
den Totalitätsanspruch auf allen Gebieten, besonders aber im Bildungswesen,
geltend machte. Kritische Stimmen wurden als „reaktionäre Machenschaften
des Klassenfeindes“ abgestempelt und grundlos abgeurteilt und verdammt.
So breiteten sich Angst und Schrecken, aber auch Heuchlertum, Liebedienerei,
Diffamierung und Denunziation aus. Die Masse Mensch wurde mit den Jahren