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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 154 und 155
154
Protokoll der 20. Sitzung

Meine Besoldung erfolgte als Unterstufenlehrer, wobei ich nur in den fünften
bis achten Klassen unterrichtete, nämlich Physik und Mathematik, und einen
dreieinhalbjährigen Weiterbildungskurs im Fach Mathematik aufzuweisen
habe und mit dem Prädikat „gut“ abschloß.

Es wäre noch vieles zu sagen. Ich bekomme gerade einen Zettel gereicht:
„Das soll mal genügen.“ Nur frage ich mich manchmal, wie ein Mensch – ich
bin 72 – das all die Jahrzehnte durchstehen konnte. Viele Jahre habe ich auf
die Westpolitiker gehört, die mir sagten: Ausharren, gebt diesen Beruf nicht
den Funktionären preis! Aber meine Devise war – ich bin ein strenggläubiger
Christ, ich habe Lavater, den Philosophen, als Leitmotiv gewählt –: „Erwarte
von den Menschen wenig oder nichts, aber alles von Gott, der nie näher ist,
als wenn er am entferntesten scheint.“

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall)

Gesprächsleiter Markus Meckel (SPD): Ganz herzlichen Dank, Herr Nali.
Es tut mir leid, daß ich Sie an die Zeit erinnern mußte. Es ist sehr schwierig,
Zeitzeugen, die natürlich aus ihren Herzen und Erlebnissen heraus lange reden
könnten, dann immer wieder an einen engen Zeitrahmen erinnern zu müssen.
Herr Wendel, Sie bitte als nächster.

Eberhard Wendel: Ich möchte es kurz machen, insbesondere was mein
Schicksal betrifft. Darüber soll man nicht viele Worte machen. Ich bin
Bundesbürger, Braunschweiger, habe dort mein Abitur gemacht, habe in West-
Berlin studiert, habe beim Rias-Jugendfunk mitgearbeitet und bin aus Versehen
am Potsdamer Platz am falschen S-Bahnausgang ausgestiegen, und schon war
ich bei der Staatssicherheit. Nach Untersuchungshaft bei Staatssicherheit und
NKWD wurde ich insgesamt zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt und habe
die Zeit in Brandenburg abgesessen.

Das ist mein Schicksal. Ich möchte es dabei bewenden lassen. Ich möchte
nur noch sagen: Seit November 1989 kennen wir uns, Herr Ullmann und
ich, vom Runden Tisch in Niederschönhausen. Ich habe in der Volkskammer
mitgearbeitet.

Lassen Sie mich aber noch hier Bemerkungen machen, Herr Meckel, zu
dem, was heute vormittag gesagt wurde. Wie geht es einem Häftling, der
30 Jahre über seine Leidenszeit nichts sagen durfte? Das ist etwas, was bis
jetzt noch nicht gesagt wurde. Ich muß Ihnen sagen: Wenn ich nicht eine
so gute Ehefrau gehabt hätte – das ist nicht übertrieben –, hätte ich die Zeit
damals im November, als sich die Mauer öffnete und wir auf die Straße gingen,
nicht überstanden. Den Infarkt habe ich erst ein Jahr später bekommen. Diese
30 Jahre Verdrängung machten dann einer schmerzlich lauten Hafterinnerung
Platz, die dann noch verstärkt wurde durch das Bewußtsein, daß die Einheit
des Vaterlandes in Sicht ist.

155
SED-Diktatur – Unterdrückungsmechanismen/Alltag

Das sind Erlebnisse, die ich nur in dürre Worte kleiden kann, und ich möchte
Ihnen, meine Damen und Herren, nur sagen, daß es etwas Erhebendes ist,
wenn man als Häftling das noch erleben darf.

Hier komme ich zu einem zweiten Punkt, der heute noch schon besprochen
wurde. Das ist die Frage des Motivs eines Bürgers des untergegangenen Staates
DDR – Gott habe sie selig – dafür, daß es nicht nur Anpassung, sondern daß es
auch viel Verhalten gab, das aus reiner Todesangst resultierte. Wer wie ich
viele Jahre im Zuchthaus gesessen hat und wem die linke Niere zerschlagen
wurde in Untersuchungshaft, der hat Todesangst. Der hat Todesangst, wenn er
ahnt, daß die Staatssicherheit ihn beobachtet. Ich bin dann noch sieben Jahre
lang observiert worden. Diese Todesangst ist dann der ständige Begleiter. Die
Angst, die über einem ist, ist übermächtig und diktiert ein innerliches – ich bin
kein Psychologe, ich muß es einmal so nennen – Zittern immer dann, wenn
man die Macht spürt. Zum Beispiel, wenn mich der Parteisekretär, der genau
wußte, wer ich war, nur schief oder starr ansah, bekam ich schon Angst. Wenn
man sein eigenes soziales Umfeld aufbauen will, eine Familie also, wird es
noch schwerer, weil es dann nicht nur dich selbst betrifft, denn die Hitlersche
Sippenhaft gab es ja in der kommunistischen Diktatur ebenfalls, so daß man
auch Angst haben mußte um die eigene Frau, um die eigenen Kinder.

Eine ganz wichtige Bemerkung zu dieser Motivation. In dem Schulungsma-
terial der Hochschule der Staatssicherheit in Potsdam-Eiche wurde die Furcht
beim „Faktor Mensch“ theoretisch zum Ansatz gebracht, um die Menschen
zu steuern. Die Furcht war also gewollte Stasi-Strategie.

Eine zweite Bemerkung. Man muß sich natürlich überlegen, daß der DDR-
Bürger, dessen Motivation eben durch diese Faktoren bestimmt war, auch ein
weiteres hatte: die alte Bundesrepublik. Das, was er im Rundfunk hörte und
was ihm über das Fernsehgerät in die Wohnung kam, war seine Verbindung,
seine Brücke. So reputierlich die alte Bundesrepublik mit der Altherrenriege
in der Politbürokratie umging, so schlug die Stimmung im Wohnzimmer des
einzelnen ein. Ich sage Ihnen das ganz offen. Es hat bei uns jedenfalls keiner
verstanden, daß einem Herrn Honecker ein roter Teppich ausgelegt wurde.

(Beifall)

Ich habe mit Tränen vor dem Fernsehgerät gesessen und mich gefragt, wieso
das eigentlich passieren konnte. Das gehört auch dazu, wenn wir über die
Geschichte der DDR sprechen: Dann müssen wir auch die Geschichte der
Altbundesrepublik mit einbeziehen.

(Beifall)

Sonst wird das Bild nicht vollständig, verehrter Herr Vorsitzender.

(Vorsitzender Rainer Eppelmann: Das wissen wir!)

Deswegen meine ich, daß die Reputation, die sich die alte Bundesrepublik