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Wahlperiode 12, Band II/1, Seiten 196 und 197
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Protokoll der 20. Sitzung

Edeltraut Pohl: Ich will erst noch einmal auf die Schule zurückkommen.
Irgendwann hatte ich dann die Probleme mit der Schule satt, und durch
Vermittlung wurde ich dann kirchlicher Mitarbeiter, habe dann in der Sama-
ritergemeinde zu arbeiten angefangen, hatte dort eigentlich ein aufregendes
Leben in den letzten Jahren, aber auszuhalten hatten es eigentlich unsere
Kinder.

Als wir für unsere jüngste Tochter den Antrag stellten, zum Abitur zu kommen
– ich muß sagen, sie hat die zehnte Klasse mit dem Prädikat „Sehr gut“
gemacht –, gab es nach der Ablehnung ein Gespräch im Magistrat. Es
war schon die zweite Ablehnung gewesen. Dort hat man uns gesagt, ein
solches Kind lohne sich nicht auszubilden. – Wir haben also den Platz nicht
bekommen. 1990 hätte sie dann noch einmal einen Antrag stellen können,
weil sie gerade 1990 aus der Schule gekommen ist. Aber da konnte sie sich
nicht mehr vorstellen, –

(unter Weinen)

Ich kann nicht mehr.

Gesprächsleiter Martin-Michael Passauer: Das gehört auch zu unserer
öffentlichen Anhörung. Ich danke Ihnen, daß Sie trotzdem von dem erzählen,
was Sie bewegt und beschäftigt.

(Beifall)

Vielleicht haben Sie nachher noch einmal Kraft, weiter zu erzählen. Dann
nehme ich Sie dazwischen.

Jetzt haben sich einige aus unserer Kommission gemeldet, aber auch einer
vorher mit einem kleinen Zettelchen. Ich darf Sie doch bitten, wenn Sie
sich jetzt im Plenum äußern, sich stärker den Fragen zuzuwenden: Wie
hat das in mir gewirkt? Was hat das in mir ausgelöst? Was trage ich
heute davon? – Es geht also darum, wenn es irgend geht, nicht noch neue
Erlebnisberichte hinzufügen, weil wir ein bißchen darüber hinauskommen
und mehr zu der Frage kommen wollen: Was hat das in mir bewirkt? Ist
diese Geschichte zu Ende, oder geht es weiter? Wirkt sie immer noch?
Wie können wir eigentlich mit dem Schaden, mit den Verletzungen, mit
den Unterdrückungsmechanismen, die in uns gewirkt haben, leben? – Einige
Antworten haben wir ja schon bekommen.

Ich wäre dankbar, wenn Sie sich stärker zu diesen Fragen äußern, statt noch
einmal neue Erlebnisse hinzuzufügen. Wenn einer oder eine sagt: Ich muß das
aber hier öffentlich noch loswerden!, hat der- oder diejenige natürlich das
Recht, das auch zu sagen, aber das Gespräch soll eigentlich ein wenig in eine
andere Richtung gehen.

Gestatten Sie, meine Damen und Herren von der Enquete-Kommission, wenn
ich erst einmal noch ein paar Leute aus dem Plenum vorlasse und dann Sie,
die Sie sich schon vorher gemeldet haben, danach drannehme? – Dann müßte

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SED-Diktatur – Unterdrückungsmechanismen/Alltag

ich jetzt fairerweise erst Herrn Roland Bude aufrufen. Würden sich bitte all
diejenigen freundlicherweise noch einmal melden, die jetzt noch Interesse
daran haben, sich zu äußern? – Drei. Danke sehr.

Herr Bude: Ich möchte einiges zum Thema Aufarbeitung, Rehabilitierung und
Wiedergutmachung bemerken. Wir haben heute hier Erlebnisberichte gehört
und bewundern den Verleger aus Zittau, der mit sächsischer Helligkeit und
Schwejkschem Humor seine schreckliche Berufs- und Existenzentwicklung
ertragen hat. Wir haben aber auch hier nicht nur den Aufschrei der gequälten
Kreatur gehört, wir haben mehrere Male das Schluchzen der gequälten Kreatur
gehört, und auch ich gehöre zu denen, denen es die Kehle zuschnürt, wenn
ich so etwas höre. Wie hat das in uns weitergewirkt?

Ich war fünfeinhalb Jahre in Workuta im Gulag. Wie hat das weiter gewirkt?
Ich gehöre zu den glücklichen Menschen, die eine befriedigende berufliche
Entwicklung in Westdeutschland erlebt haben, und es hatte sich das gesetzt,
was Schreckliches war. Man hat immer wieder mit Trauer und Bestürzung
erlebt, wenn man vorgehalten bekam, wenn man das schreckliche Erlebnis und
eine gewisse Verachtung des SED-Regime äußerte: Mach dich doch endlich
von der Stacheldrahtbrille frei. Mach dich doch frei von dem Feindbild. – Mir
hat das weh getan, wenn mir das gesagt wurde.

Mir hat erst recht weh getan, wenn Günter Gaus nach seiner Eigenschaft
und Funktion als ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der
DDR einmal gesagt hat: Wenn er diese Antikommunisten sehe, dann würde
er mit Entsetzen dem Tag entgegensehen, da die einmal in ganz Deutschland
die Macht haben. – Vielleicht nimmt er zur Kenntnis, wie Herr Honecker
behandelt wird, und vielleicht nimmt er zur Kenntnis, was einige hier erlebt
und mitgeteilt haben.

(Lebhafter Beifall)

Es ist die Sache mit dem roten Teppich – das wird ja Helmut Kohl vorgeworfen
– angesprochen worden. Ich erinnere mich noch sehr gut, wie der Vorsitzende
der CDU/CSU-Fraktion Dr. Dregger angegriffen, verhöhnt wurde, als er sagte:
Die Welt geht weiter, auch wenn Herr Honecker nicht in die Bundesrepublik
kommt. – Auch an das sollten sich einige erinnern. Ich sage das, weil
hier in der Diskussion zu Recht geäußert worden ist: Die Aufarbeitung der
Vergangenheit ist eine gesamtdeutsche Aufgabe, und auch viele, die nach 1945
nie unter der Diktatur leben mußten, die immer nur im Westen waren, müssen
einiges dazulernen und in sich gehen.

Ich frage mich auch: Wie bringt jemand wie Herr Heuer die Stirn auf,
anläßlich der letzten Diskussion um das erste Unrechtsbereinigungsgesetz
das DDR-Regime mit Formallegalisierung und -legitimierung zu verteidigen?
Wie bringt der noch die Stirn auf, in das frei gewählt Haus des Deutschen
Bundestages zu gehen? Das frage ich mich. Seine Existenz dort ist für uns
ehemalige politische Häftlinge eine einzige Verhöhnung.