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wie vor „Politische Verfolgung im realen Sozialismus“ ist. Aber auch das
gehört natürlich dazu. – Das Wort hat Gerd Poppe.
Abg. Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich will auf das eingehen, was
Herr Fricke vorhin sagte, als er die Frage nach Kontinuität und Wandel in der
politischen Verfolgung stellte.
Ich habe hier zwei Sätze gehört, die ich sehr interessant fand. Ersten, daß Herr
Schmutzler sagte, wie sie versucht haben, ohne eine direkte erkennbare
Provokation gegenüber dem Staat zu agieren, sich aber andererseits selbst
nicht zu verraten, keine Zugeständnisse zu machen.
Der andere Satz, den ich hervorheben möchte, ist der, den Ulrich Schacht
gleich zu Anfang sagte: Ich bin kein Opfer des Systems, weil ich immer ein
Gegner des Systems war. Das halte ich für eine ganz wichtige Äußerung, weil
sie die Handlungen, die den abgesteckten Rahmen verlassen, aufzeigt.
Die Schilderung der Rahmenbedingungen, wie sie heute von Professor Schul-
ler vorgenommen wurde, finde ich außerordentlich zutreffend. Da liegt viel-
leicht auch die Kontinuität, die hier angefragt war. Diese Rahmenbedingungen
galten allerdings 40 Jahre lang, ohne daß der Anspruch der SED-Führung
sich in irgendeiner Weise geändert hätte, ohne daß diese Undurchschaubarkeit
aufgegeben worden wäre und ohne daß man aufgehört hätte, auf die Angst
der Leute zu setzen, sich öffentlich zu äußern.
Der Wandel ist nun allerdings tatsächlich an die äußeren Bedingungen
gebunden, an eine politische Entwicklung, die eben in den achtziger Jahren
anderes möglich machte als in den Sechzigern. Das betrifft – sehr richtig –
einmal die Differenzierung, mit der man kirchliches Handeln bewerten muß,
aber es betrifft vor allem die Tatsache, daß Leute, vielleicht einmal von ihren
kleinen Gesprächszirkeln ausgehend, schließlich zu einem oppositionellen
Handeln fanden. Diese Entwicklungsmöglichkeit war tatsächlich sehr von den
äußeren Bedingungen abhängig.
Ich finde nun ganz wichtig zu sagen, wie es überhaupt möglich wurde,
von einem Opfer zu einem in den achtziger Jahren aktiv handelnden
Oppositionellen zu werden. Das gelang dadurch, daß man den abgesteckten
Rahmen ganz bewußt verließ.
Wir haben in den achtziger Jahren ständig eine Diskussion über Legalität oder
Legitimität gehabt und haben uns dann gesagt: In einer Diktatur kann man
nicht in dem sogenannten legalen Rahmen handeln, sondern man muß ihn
ganz bewußt verlassen. Wenn man ihn nicht verläßt, ist man verloren. Dann
wird man selektiert, irgendwo in eine Schublade gesteckt, dann kommt der
ganze Repressionsmechanismus, und dann ist es vorbei.
Der Wandel in dieser Entwicklung war erst zu dem Zeitpunkt möglich, als
sich die Leute zusammenfanden, die eben gesagt haben: Wir verlassen diesen
Rahmen ganz bewußt. Das hat es natürlich in der DDR relativ spät gegeben.
In Osteuropa – in Polen, in der Tschechoslowakei usw. – gab es das sehr viel
eher, z. B. durch das tatsächliche, bewußte Herstellen einer Teilöffentlichkeit.
Das geschah nicht nur in kirchlichen Räumen, sondern wurde beispielsweise
durch illegale Publikationen versucht.
Also das Verlassen dieses eingeschlossenen Viertels zugunsten einer Öffent-
lichkeit – Öffentlichkeit als Prinzip. Ich will damit vor allem sagen: Es gab
diese Handlungsmöglichkeiten, es gab dadurch auch die Möglichkeit, diese
Angst zu verlieren. Man hat in dem Moment, da man handelnde Person wurde
und gesagt hat, man sei kein Opfer, die Chance gehabt, die Angst zu verlieren
und sich mit anderen, die das ähnlich gesehen haben, zusammenzuschließen
und dadurch tatsächlich in einem stärkeren Maße zur Veränderung beizutragen,
was ja dann schließlich auch 1989 zu einer gewissen Rolle dieser Opposition
geführt hat. In dieser Entwicklung liegt der Wandel. Das, was vom Rahmen
her abgesteckt war und so sein sollte, war also keineswegs unveränderlich.
Es war für den einzelnen oder für Gruppen keineswegs so, daß sie sich darin
aufhalten mußten.
Das ist mir an den beiden Tagen ein bißchen zuwenig vorgekommen. Ich habe
manchmal eine etwas fatalistische Stimmung herausgehört: Weil es eben nicht
erlaubt war, haben wir uns immer in so einer Grauzone bewegen müssen, und
in dem Moment, wo wir dort öffentlich erkennbar wurden, war es auch schon
um uns geschehen, dann unterlagen wir der Repression. – Ich denke, diesen
Vorgang hätte man sich deutlicher und früher bewußt machen müssen, dann
hätte es vielleicht auch größere Chancen gegeben. Es war also nicht so, daß wir
nur wie das Kaninchen auf die Schlange starren und uns mit den gegebenen
Rahmenbedingungen abfinden mußten. (Beifall)
Gesprächsleiter Karl Wilhelm Fricke: Vielen Dank, Herr Poppe. Sie sehen,
der Zwischenbeifall zeigt, welche wichtigen Gedanken Sie hier entwickelt
haben.
Bei der Bewertung der Opposition in den 80er muß man natürlich sehen,
daß die sozialdemokratische und die bürgerliche Opposition in den späten 40er
und frühen 50er Jahren schon einmal mit brutalem Terror zerschlagen worden
war und daß danach zunächst einmal eine Phase der Hoffnung aufkeimte,
in der Opposition in der DDR – ich sage es einmal etwas flapsig – nicht
angesagt war. Sie hat sich dann nach dem Bau der Mauer wieder neu formiert,
beginnend – Herr Seidel ist sozusagen ein lebender Zeuge dafür – mit dem
Phänomen Fluchthilfe.
Aber ich möchte hier nicht selber reden. Ich möchte jetzt der Dame das Wort
erteilen, die sich dort hinten gemeldet hat.
Hildegard Jeske: Mein Name ist Hildegard Jeske. Ich komme aus einem
bürgerlichen Elternhaus und bin mit Haussuchungen und all diesen Finessen
aufgewachsen, die in den 50er Jahren auf der Tagesordnung standen.