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Wir haben, glaube ich, auch feststellen können, daß es wehtun kann,
Erinnerungen zuzuhören, und daß vor allen Dingen Erinnern wehtun kann.
Immer dann, wenn soziale und politische Bezüge zu heute hergestellt worden
sind, ist aber auch deutlich geworden, daß offensichtlich auch Teilen wehtut.
Wenn die zwei Tage gestern und heute mit dazu beitragen könnten, daß wir
es schaffen, noch mehr Verständnis, mehr Sensibilität aufzubringen, uns in
die Schuhe derer, die damals gelitten haben, zu stellen und dann noch
überzeugender als bisher zu teilen, dann wäre – so glaube ich – viel erreicht.
Mancher wird vielleicht sagen: Ihr habt euch hier auf den Weg gemacht,
um den Alltag in der Deutschen Demokratischen Republik zu hinterfragen,
vorzustellen. – Ich glaube, daß uns das gelungen ist, wenn auch sicherlich
nicht in 16 Millionen Facetten. Aber ich möchte jedem, der hier gewesen ist,
noch einmal deutlich sagen: Es waren Tausende, viele Tausende, von denen
in diesen zwei Tagen geredet worden ist. Und ich glaube, auch darin sind wir
uns einig: Ein einziger noch wäre zuviel!
Lassen Sie mich für die Enquete-Kommission noch einmal sagen: Es
wird diesen Brief geben, einen Brief an die zuständigen Ausschüsse des
Deutschen Bundestages mit der dringenden Forderung um Beschleunigung
und Nacharbeit. Ich gehe davon aus, daß die Enquete-Kommission unter den
politischen Persönlichkeiten unseres Landes um Unterstützung werben und
bitten wird. So verstehe ich auch das Hiersein der Präsidentin des Deutschen
Bundestages.
Ein sehr persönlicher Satz zum Schluß. Für mich ist in den letzten beiden
Tagen durch die Formulierung vieles auf den Punkt gebracht worden: Die
DDR war der permanente Anschlag auf die Würde des Menschen.
Ich bitte Sie, sehr verehrte Frau Präsidentin, zu uns zu sprechen.
Bundestagspräsidentin Frau Prof. Dr. Rita Süssmuth: Herr Vorsitzender!
Lieber Herr Eppelmann! Mitglieder der Enquete-Kommission! Meine Damen
und Herren! Wenn ich hier am Ende der Veranstaltung kurz das Wort ergreife,
dann möchte ich die Motive kurz benennen.
Das erste, was mir wichtig ist, ist, denen zu danken, die diese Veranstaltung
durchgeführt haben, und vor allem denjenigen, die hier gesprochen haben.
Denn ich glaube – ich sage das aus der Situation meiner Person, die
Vergleichbares nicht erfahren hat –, es ist wahnsinnig schwierig, das, was man
erfahren hat, dann auch noch öffentlich erinnernd in Sprache umzusetzen, das,
was zum Allerpersönlichsten und doch zugleich zu dem gehört, was man durch
Staat, die Mitmenschen mit ihren unterschiedlichen Funktionen und auch ganz
persönlich erfahren hat. Wir wissen auch aus Dokumenten nach 1945, was das
dem einzelnen abverlangt.
Und dennoch: Nach dem, was ich heute morgen gelesen habe, was mir
Herr Eppelmann vom gestrigen Tage berichtet hat, ist neben der großen
Anstrengung, dem Stammeln, den Tränen – von denen ich sagen muß: Gut,
daß es noch die Fähigkeit zum Trauern gibt! – auch deutlich geworden, wie
schwierig es ist, Alltag einzuschätzen, wie unterschiedlich er für die einzelnen
war, auch wenn Sie gerade noch einmal die überwölbende Überschrift
„Anschlag auf die Würde des Menschen“ genannt haben.
Es ist vom SED-System und -Regime gesprochen worden. Für mich ist ganz
wichtig, daß wir etwas mitnehmen: Es genügt nicht, wenn so etwas im
Grundgesetz steht – es muß gelebt und praktiziert werden.
Das zweite, das gestern und heute deutlich geworden ist, ist, wie es den
Gruppen ergangen ist, die als politisch Andersdenkende eigentlich im Sinne
dessen, was auch in der Verfassung der früheren DDR stand, leben wollten,
denken und handeln wollten, welche Unterdrückung und welche Repression
sie erfahren haben, nicht nur als Intellektuelle, als alltägliche Bürger aus
den Gruppen, ob es nun Verweigerer des Wehrdienstes in den Gruppen
„Frieden und Menschenrechte“ waren, ob es diejenigen waren, die wegen
ihrer christlichen Überzeugung ausgegrenzt waren, die von Ausbildung,
Studium und Beruf ausgegrenzt wurden. Ich denke, die Palette ist breit,
und „Repression“ ist ein viel zu sanfter Ausdruck für das, was an tiefsten
Verletzungen bis hin zu Zerstörungen erfolgt ist.
Ich habe nicht persönlich folgen können, möchte aber einiges sagen, was
mich gegenwärtig beschwert und was offenbar auch der gestrige Tag noch
einmal zum Ausdruck gebracht hat. Das ist die Aufforderung an mich und
an uns: Vermeiden wir wenigstens einen Teil der Fehler, die wir nach
1945 unter ganz anderen Bedingungen begangen haben. Ich erinnere an
die Auseinandersetzungen, die zunächst durch die Alliierten durchgeführt
wurden. Im Rahmen meiner kurzen Ausführungen will ich darauf jetzt nicht
eingehen.
Da möchte ich drei Punkte besonders herausheben. Ich weiß nicht, inwieweit
das auch Gegenstand Ihres Briefes ist.
Mich bedrückt besonders nachhaltig – und hier können wir uns auch als Parla-
mentarier nicht zufriedengeben –, daß die Benachteiligten und Unterdrückten
von gestern wiederum auch die Benachteiligten und Ausgegrenzten von heute
sind. So können wir Unrecht nicht wiedergutmachen!
(Beifall)
Ich glaube, das ist das, was ich am häufigsten erfahre, nicht nur hier, sondern
auch wenn ich Ihnen an anderen Orten begegne. Und ich verstehe auch
diejenigen, die uns wegen des Unrechtsbereinigungsgesetzes sehr kritisch
angehen. Ich glaube, wir alle wissen, daß trotz der Schwierigkeiten in
unseren Finanzkassen darüber noch nicht das letzte Wort gesprochen sein
kann. Ich gebe mich jedenfalls nicht damit zufrieden und weiß, daß viele
Parlamentarier das auch nicht tun. Sie alle wissen, wieviel Ungereimtes