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Wahlperiode 12, Band III/1, Seiten 96 und 97
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Protokoll der 30. Sitzung

der Enquete-Kommission, als Wissenschaftler, Zeitzeugen und interessierte
Zuhörer zum Gelingen dieser Veranstaltung beitragen wollen und werden.

Die Themenstellung für den heutigen Tag bringt scheinbar Feuer und Wasser
zusammen. „Antifaschismus“ – das war doch eine jener Losungen, die „Sozial-
demokraten, parteilose Arbeiter, Bauern, Intellektuelle, Christen verschiedener
Konfessionen und bürgerliche Kräfte“ zusammenzubinden vermochte mit der
„revolutionären Vorhut der Arbeiterklasse“, der SED, die die „Hegemonie“ im
gesellschaftlichen Leben der DDR beanspruchte.

Ich habe hier sehr bewußt die Formulierungen aus dem DDR-offiziösen
„Wörterbuch der Geschichte“ gebraucht. Und ich füge hinzu, daß solche
Aussagen durchaus auch Widerhall in breiten Schichten der Bevölkerung
fanden. Antifaschisten wollten wir alle sein, hatten wir doch schon als Schüler
durch Besuche in KZ-Gedenkstätten, durch eindrucksvolle Filme und Romane,
vor allem aber auch durch persönliche Begegnungen mit antifaschistischen
Widerstandskämpfern zumindest eine Ahnung davon vermittelt bekommen,
welche Lebenserfahrung hinter jener Formel stand, die wir auswendig lernten:
„Faschismus, das ist die offene Diktatur der reaktionärsten, am meisten
chauvinistischen und imperialistischen Kreise des Finanzkapitals.“ Wenn sich
die SED-Diktatur in einem Punkt mit den von ihr beherrschten Menschen einig
wissen durfte, dann war es dieser: Niemals wieder Faschismus und niemals
wieder Faschisten in Deutschland!

Noch in der Zeit nach der Wende beschworen höchst achtenswerte Vertreter der
Bürgerbewegung, die die SED-Diktatoren zum Abdanken gezwungen hatten,
den Antifaschismus als Kern jener DDR-Vergangenheit, den es durch alle
Umbrüche hindurch zu erhalten gelte. Diese Menschen hatten noch nicht
erkennen können, in welcher skrupelloser Weise die SED-Machthaber auch das
Ideal des Antifaschismus nur noch als Alibi der eigenen autoritären Herrschaft
einsetzten und mißbrauchten.

Und gerade deswegen, weil hier soviel ehrlicher Glaube und ernsthaftes
Bemühen im Spiel war, war dann das ungläubige Entsetzen so besonders groß:
Auch hier also hatten uns unsere Regierenden betrogen und manipuliert! Und
diese Erkenntnis wirkte um so schmerzlicher, als ja gar nicht so wenige der
Betrüger und Manipulierer selbst „Opfer des Faschismus“ gewesen waren.

Wie es so oft geschieht, haben nicht unbedingt die intellektuellen Schichten
als erste ihre Schlußfolgerungen aus diesem Massenbetrug gezogen. Vielmehr
waren es solche Jugendliche, die auf der Suche nach neuen und glaubwür-
digeren Idealen waren: War es der Verrat der SED-Diktatoren am Ideal des
Antifaschismus, der in der DDR eine rechtsradikale Szene, deren Umfang
und Gefährlichkeit wir in jüngster Zeit bitter erfahren mußten, erregte?
Ein nachdenklicher Beobachter der deutschen Entwicklung hat das auf die
schrecklich einprägsame Formel gebracht: „Der reale Sozialismus war eine
Brutstätte ultrakonservativer und faschistischer Gesinnung.“ (E. Neubert) Oder

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Antifaschismus und Rechtsradikalismus

anders ausgedrückt: Der Rechtsradikalismus, der heute das Bild der neuen
Bundesrepublik Deutschland vor der Weltöffentlichkeit zu verdunkeln droht,
ist in Teilen auch eine „Folge der SED-Diktatur in Deutschland.“ Das zu
begreifen, fällt wahrscheinlich schwer, widerspricht es doch scheinbar unserer
ostdeutschen Lebenserfahrung. Aber gerade deshalb nimmt die heutige An-
hörung auch eine zentrale Stelle in der Arbeit unserer Enquete-Kommission
ein.

Ich möchte uns allen wünschen, daß wir auch diesen Teil unserer Arbeit,
die uns vom Deutschen Bundestag aufgetragen worden ist, mit Energie und
Präzision leisten. Daß es dazu auch eines unerschrockenen Herzens und
Verstandes bedarf, gerade weil wir so erschrocken sind, werden wir am
heutigen Tag wohl immer wieder spüren.

Ich möchte zunächst unsere beiden Kollegen, Frau Prof. Dr. Roswitha
Wisniewski und Herrn Dr. Faulenbach bitten, uns in die thematischen
Schwerpunkte unseres heutigen Unternehmens einzuführen. Bitte, Frau Prof.
Wisniewski.

Abg. Frau Prof. Dr. Wisniewski (CDU/CSU): In der heutigen Vortragssit-
zung der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der
SED-Diktatur“ sollen zwei Themenbereiche behandelt werden, die auf den
ersten Blick wenig, bei näherem Hinschauen aber viel miteinander zu tun
haben.

Das Wort „Faschismus“ hat bekanntlich in nicht-marxistischem und marxi-
stischem Verständnis unterschiedliche Bedeutung. So wird in einem nicht-
marxistischen Lexikon „Faschismus“ definiert als „Bezeichnung für extrem
nationalistische, nach dem Führerprinzip organisierte antiliberale und antimar-
xistische Herrschaftssysteme“ (Meyers Enzyklopädisches Lexikon). Dagegen
wird „Faschismus“ im marxistisch geprägten, für die DDR maßgeblichen
Philophischen Wörterbuch von Georg Klaus und Manfred Buhr eingeengt
definiert als Bezeichnung für eine kapitalistische Diktatur, die sich dem
Heilsweg in den Kommunismus entgegen zu stellen versucht: „Der Faschismus
ist die Reaktion der imperialistischen Bourgeoisie auf die Veränderungen
des Kräfteverhältnisses seit dem Beginn der allgemeinen Krise des Kapi-
talismus, seit dem Sieg der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution, die
den weltweiten Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus einleitete.“
Im verkürzten DDR-Sprachgebrauch war Faschismus – allen Einsichten der
Geschichtswissenschaft zum Trotz – die „höchstentwickelte Form des Mono-
polkapitalismus“.

Zu Recht wird daher von Günter Fippel der „echte Antifaschismus“ als vielfäl-
tige politische Bewegung gegen den Faschismus in Europa unterschieden vom
„unechten Antifaschismus“ des Marxismus-Leninismus („Der Mißbrauch des
Faschismus-Begriffs in der SBZ/DDR“. In: Deutschland-Archiv 10 (1992),
S. 1055–1065).