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Wahlperiode 12, Band III/1, Seiten 106 und 107
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Protokoll der 30. Sitzung

Rehistorisierung des Widerstandsbegriffs ein, doch blieb der kommunistische
Widerstand absolut zentral.

Verbunden mit dem a-historischen Bild des Widerstandes war ein a-
historisches Bild des Dritten Reiches, das nach wie vor als Herrschaft des
Monopolkapitals erklärt wurde, womit u. a. die Massenanhängerschaft der
NS-Bewegung und die nicht unbeträchtliche Zustimmung zur Politik Hitlers
während des Dritten Reiches und damit auch die Verwicklung größerer Teile
des deutschen Volkes, keineswegs nur der Eliten, in die verbrecherische Politik
Hitlers ausgeblendet wurde.

Die spezifische Interpretation des Dritten Reiches, des Widerstandes und der
DDR hatten unverkennbar für die Menschen in der DDR eine entlastende
Funktion und ermöglichten eine Verdrängung der eigenen Rolle im Dritten
Reich. Dadurch, daß sich die DDR zum antifaschistischen Staat stilisierte,
in dem die Konsequenzen aus dem Dritten Reich durch die Entmachtung
des Monopolkapitals gezogen waren, war man von Mitverantwortung und
Mithaftung für die NS-Politik frei. Das NS-Erbe wurde zum Problem der
Westdeutschen. Hitler war gleichsam ein Westdeutscher geworden.

IV. – Schon früh wurde in der DDR begonnen, nicht nur den Antifaschismus
zur integrativen Ideologie zu erheben, sondern einen regelrechten quasireli-
giösen antifaschistischen Staatskult zu entwickeln, in dessen Mittelpunkt die
Erinnerung an die antifaschistischen Kämpfer und ihre Opfer stand samt der
Verpflichtung, die diese den Lebenden auferlegten. Eine gewissen Nähe zum
Märtyrer-Kult ist nicht zu verkennen wie auch die Gedenkstättengestaltungen
unverkennbar bestimmte religiöse christlich-kirchliche Motive und Ausdrucks-
formen in säkularisierter Form aufgriffen. Züge einer politischen Religion sind
nicht zu übersehen.

Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Rolle des Antifaschismus in der
Erziehung, an die Jugendweihestunden, verpflichtende Namensgebungen und
Patenschaften, an die Feierstunden in den KZ-Gedenkstätten, die Kundgebun-
gen, Gelöbnisse dort usw. Charakteristika und Funktionsmechanismen dieses
Antifaschismus seien etwas näher beleuchtet.

Die „antifaschistischen“ politischen Ziele werden exemplarisch deutlich in den
vom Gesetzblatt der DDR vom 4. September 1961 veröffentlichten Statut der
Nationalen Mahn- und Gedenkstätten, das diesen die Aufgabe zuwies,

  1. "den Kampf der deutschen Arbeiterklasse und aller demokratischen
    Kräfte gegen die drohende faschistische Gefahr;
  2. die Rolle der KPD als der stärksten und führenden Kraft im Kampf
    gegen das verbrecherische Naziregime;
  3. den antifaschistischen Widerstand in den Jahren 1933 bis 1945 in
    Deutschland und in den europäischen Ländern;
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Antifaschismus und Rechtsradikalismus
  1. den SS-Terror im Lager und seine Methoden der Mißachtung des
    menschlichen Lebens;
  2. den gemeinsamen Kampf der europäischen Nationen, besonders den
    Kampf der sowjetischen Häftlinge, gegen den SS-Terror, die besondere
    Bedeutung der internationalen Solidarität in diesem Kampf und die
    Maßnahmen, die zur Befreiung des Lagers führten;
  3. den wiedererstandenen Faschismus und Militarismus in Westdeutsch-
    land;
  4. die historische Rolle der Deutschen Demokratischen Republik

darzustellen und zu erläutern“.

Die Instrumentalisierung der Vergangenheit wirkte sich auf die Wahrnehmung
bzw. Darstellung der Geschichte – in dem, was erinnert bzw. nicht erinnert
wurde – unmittelbar aus. So wurden die kommunistischen Opfer stark her-
vorgehoben, während man andere deutsche und ausländische Opfer-Gruppen
(Sozialdemokraten, Liberale, Konservative, Christen usw.) vernachlässigte.
Weitgehend ausgeblendet wurde auch der rassistische Hintergrund der NS-
Verfolgung, die Verfolgung der Juden, der Zigeuner, auch der Homosexuellen,
von sog. „Asozialen“ usw. Allerdings wurden die – im Westen lange Zeit weit-
gehend vergessenen – sowjetischen Kriegsgefangenen gewürdigt. Unzurei-
chend war auch die Auseinandersetzung mit den Tätern, den dahinterstehenden
Strukturen, vor allem auch mit der Gesellschaft und ihrem Verhalten gegenüber
der NS-Politik und ihrem Terror, sieht man von den stereotypen Hinweisen
auf die Verantwortung der Monopolkapitalisten und Industrieführer ab. Der
kommunistische Widerstand aber wurde in Ausstellungen, Architektur und
künstlerischer Gestaltung heroisiert und monumentalisiert, um Thälmann u. a.
ein ausgesprochener Kult inszeniert. – Die Kämpfer gegen den Faschismus
wurden zu großen Vorbildern erhoben und dabei idealisiert.

Fragt man nach der Wirkung dieses Antifaschismus, so wird man sagen
müssen, daß sie gewiß generationell, vielleicht auch regional unterschiedlich,
insgesamt gesehen bedeutend war. Insbesondere junge Leute wurden auf
diese Weise geradezu in eine Identifikation mit der kommunistischen Sache
hineingezwungen. Zwar galt die Identifikation den historischen Gestalten,
doch kam sie auch den Führungsgruppen von Partei und Staat zugute,
zumal diese ganz überwiegend durch Antifaschisten gebildet wurden. Die
politische Führung wurde auf diese Weise politisch-moralisch überhöht, der
Antifaschismus machte sie geradezu unangreifbar. Umgekehrt lähmte er die
Opposition, erschwerte prinzipielle Ablehnung des Systems, baute gleichsam
eine innere Sperre gegen oppositionelles Handeln auf. Auch blockierte er de
facto eine Auseinandersetzung mit dem Stalinismus.

Der Antifaschismus mit seiner emotionalen Bindekraft wurde zur Legitimation
sonst schwer zu rechtfertigender Handlungen und Tatbestände herangezogen.