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Wahlperiode 12, Band III/1, Seiten 120 und 121
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Protokoll der 30. Sitzung

verbracht und am 13.10.1956 entlassen. Er ging in den Westen, wurde
Assistenzarzt und starb durch einen Autounfall.

Hinweis:

Obiges Informationsblatt ist Bestandteil einer 1961 begonnenen Kartei,
welche gegenwärtig 27.364 Stalinismus-Opfer umfaßt, unter ihnen 3.112
Juden und 3.721 Bürger der SBZ/DDR. Der letzten Gruppe gehören auch
210 Personen an, die – wie G. Wradzidlo – Opfer des Nationalsozialismus
waren und Opfer des Stalinismus wurden.

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herr Dr. Fippel recht herzlichen Dank für
Ihre jahrelange Arbeit und ich möchte Ihnen danken, auch wenn es mir schwer
fällt, für Ihre Informationen zum Terror und für Ihre Auflistung des Grauens.
Ich glaube, das gehört zu dem Thema einfach mit dazu. Ich bitte jetzt Herrn
Prof. Dr. Manfred Wilke aus Berlin, uns zum Thema „Der instrumentelle
Antifaschismus der SED und die Legitimation der DDR“, seine Gedanken und
Informationen mitzuteilen. Ich bitte um die abgesprochene kurze Fassung.

Prof. Dr. Manfred Wilke:

These I

Der Antifaschismus war die glaubwürdigste Legitimation der DDR als
deutscher Teilstaat; dies zeigte sich am Ende der SED-Diktatur im
Herbst 1989: Die Versuche der Bürgerbewegung und der DDR-Intelligenz,
nach dem Fall der Mauer ihren Staat als reformierte, sozialistische
Alternative zur Bundesrepublik Deutschland zu behaupten, erfolgten mit
dem Rückgriff auf die antifaschistischen Ideale.

Antifaschismus, Frieden und Sozialismus waren die zentralen Leitbilder, mit
denen die SED ihre diktatorische Herrschaft legitimierte. Bei aller Kritik an
den Zuständen in der DDR: der Widerstand gegen den Nationalsozialismus
verschaffte selbst Männern wie Walter Ulbricht und Erich Honecker weit über
die Anhängerschaft der SED hinaus Autorität und Respekt.

Am 4. November 1989 versammelten sich Hunderttausende auf dem Berli-
ner Alexanderplatz, um die Reform der SED-Herrschaft einzufordern. Erich
Honecker war als SED-Generalsekretär bereits gestürzt. Der Schriftsteller
Christoph Hein würdigte auf dieser größten Massenkundgebung der Demo-
kratiebewegung in der ehemaligen DDR die antifaschistischen Verdienste des
gestürzten Diktators: „Dieser Mann hatte einen Traum, und er war bereit, für
diesen Traum ins Zuchthaus zu gehen. Dann bekam er die Chance, den Traum
zu verwirklichen. Es war keine gute Chance, denn der besiegte Faschismus
und der übermächtige Stalinismus waren dabei Geburtshelfer. Es entstand eine
Gesellschaft, die wenig mit Sozialismus zu tun hatte.“14

 

  1. Initiativgruppe 4.11.1989 (Hg.): Dokumentation zur Ausstellung der „Initiativgruppe 4.11.1989“ im Museum für deutsche Geschichte, Berlin-Ost und im Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland in Bonn, Bonn 1990, S. 56
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Antifaschismus und Rechtsradikalismus

Am 9. November 1989 überwanden die Berliner in einem ausgelassenen
Wiedersehensfest den „antifaschistischen Schutzwall“, der seit dem 13. August
1961 die Teilung der Stadt betonierte. Das war die Wende in der „deutschen
Revolution“ des Herbstes 1989; es ging nicht mehr um die Demokratisierung
der DDR, sondern um die deutsche Einheit. Noch im November änderten sich
auf den Montagsdemonstrationen in den großen Städten der ehemaligen DDR
die Losungen; aus dem selbstbewußten „Wir sind das Volk!“ wurde: „Wir sind
ein Volk!“

Die Bundesrepublik Deutschland wurde wieder zum Kernstaat für ein wieder-
vereinigtes demokratisches Deutschland. Bundeskanzler Helmut Kohl stellte
am 28. November 1989 im Bundestag sein Zehn-Punkte-Programm zur deut-
schen Einheit vor.

Mit einem Appell „Für unser Land“, dessen Endredaktion Christa Wolf be-
sorgte, traten Künstler, Wissenschaftler, evangelische Pfarrer und Bürgerrecht-
ler für die Eigenständigkeit der DDR als „sozialistische Alternative zur Bun-
desrepublik“ ein. Wörtlich heißt es: „Noch können wir uns besinnen auf die
antifaschistischen und humanistischen Ideale, von denen wir einst ausgegangen
sind.“15 Der Versuch von Wortführern der DDR-Intelligenz im Herbst 1989,
die Existenz ihres Staats mit dem Rückgriff auf die antifaschistischen Ideale zu
behaupten, zeigt, wie tief der verordnete Antifaschismus im Selbstverständnis
vieler Deutscher in der ehemaligen DDR verwurzelt war.

Aber das Leitbild „Antifaschismus“ war ambivalent. In Kunst und Literatur
verwoben sich künstlerische Auseinandersetzungen mit der nationalsozialisti-
schen Diktatur und ihren Verbrechern mit dem instrumentellen Antifaschismus
der SED. Das literarische Werk Christa Wolfs, aber auch Hermann Kants, wird
von einer antifaschistischen Grundhaltung bestimmt, die für sie der Ausgangs-
punkt ihrer sozialistischen „Parteilichkeit“ war. Der Antifaschismus erlaubte
es ihnen auch, systemimmanent Widerspruch zu bestimmten Entscheidungen
der Partei zu äußern. Das tat z. B. Christa Wolf auf dem 11. Plenum des
ZK der SED im Jahre 1965. Damals rechnete die Parteiführung mit dem
Revisionismus in Kunst und Literatur ab und verbot z. B. zwölf Filme des

 

  1. Für unser Land, in: Zeno und Sabine Zimmerling: Neue Chronik DDR, 3. Folge, 24.11.1989, Berlin (Ost) 1990, S. 15 f. Der Aufruf „Für unser Land“ fand auch in der Bundesrepublik Resonanz. Zu den intellektuellen Voraussetzungen der sozialliberalen Deutschlandpolitik gehörte in den sechziger Jahren die Rückbe- sinnung auf den Begriff „Kulturnation“, sie wurde zur letzten gesamtdeutschen Klammer erklärt. Aus dieser Perspektive wurde die Wiedervereinigung und die Herstellung eines deutschen Nationalstaates als unrealistisch bewertet und als Ausweg die Wiedergewinnung der Freiheit für die Deutschen in der DDR als Fernziel angeboten. Ein prominenter Wortführer dieser Konzeption war der Schriftsteller Günter Grass, der 1989/90 auch als Gegner der Wiedervereinigung öffentlich Position bezog. Vgl. Helmuth Kiesel: Die Intellektuellen und die deutsche Einheit, in: Die politische Meinung, 36. Jg. Heft 264, 11/1993, S. 49 ff., Wolfgang Bergsdorf: Literatur und Politik in Deutschland. Zur Traditionalität und Aktualität eines Dauerkonflikts, Bonn/Berlin 1992.