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Ein anderes Opfer der MERKER-Affäre war Hans MÄHLE, dessen richtiger
Name Heinrich August Ludwig MAHLMANN lautete. Er wurde 1911 in Ham-
burg geboren und war im Dritten Reich Bezirksleiter des kommunistischen
Jugendverbandes im Ruhrgebiet. Später emigrierte er in die Sowjetunion und
wurde dort leitender Mitarbeiter des Nationalkomitees „Freies Deutschland“.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1945 war er Intendant des Berli-
ner Rundfunks und 1947 Generalintendant der SBZ-Sender. 1951 mußte er
diese Funktion und seine Mitgliedschaft im SED-Parteivorstand aufgeben und
sich mit der Funktion eines Werbeleiters der Konsumgenossenschaften im
Kreis Schwerin zufriedengeben. 1954 stieg er dann zum Chefredakteur des
SED-Bezirksorgans „Schweriner Volkszeitung“ auf und wurde 1959 in seiner
späteren Funktion als Chefredakteur der damals in Berlin (West) erschienenen
SEW-Zeitung „Die Wahrheit“ Mitglied der SED-Bezirksleitung Berlin.
Als nach Stalins Tod im Frühjahr 1953 die Sowjetunion die ersten Schritte zur
Abkehr vom Stalinismus unternahm, drängte eine Gruppe in der SED unter
Führung der vom KGB-Chef Lawrentij BERIJA unterstützten Spitzenfunktio-
näre ZAISSER und HERRNSTADT auf eine Änderung der Parteilinie und die
Ablösung ULBRICHTs. ULBRICHT nutzte den Aufstand des 17. Juni 1953,
der ihn eigentlich stürzen sollte, um seine Position zu stärken. Nun fürch-
tete die Sowjetunion Experimente.80 Die Politbüro-Mitglieder Franz DAH-
LEM, ZK-Sekretär, und Wilhelm ZAISSER, Minister für Staatssicherheit,
die Politbüro-Kandidaten Rudolf HERRNSTADT, Chefredakteur des SED-
Zentralorgans „Neues Deutschland“, Hans JENDRETZKY, Erster Sekretär
der SED-Bezirksleitung Berlin und Elli SCHMIDT, die erste Vorsitzende
des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands, sowie die ZK-Mitglieder
Max FECHNER, Justizminister, und Anton ACKERMANN, Staatssekretär
im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, verloren ihre Partei- und
staatlichen Funktionen. FECHNER wurde als „Feind des Staates und der
Partei“ verhaftet, weil er die Arbeiter für nicht strafbar erklärte, die zu Beginn
des Aufstandes am 17. Juni 1953 ihr verfassungsmäßig garantiertes Streikrecht
ausgeübt haben.81 ACKERMANN, dessen richtiger Name Eugen HANISCH
war, DAHLEM, JENDRETZKY und Elli SCHMIDT erhielten 1954 eine
strenge Parteirüge. FECHNER und HERRNSTADT wurden sogar 1953 bzw.
1954 aus der SED ausgeschlossen.
Im Zuge der Entstalinisierung wurden 1956 FECHNER amnestiert und aus
der Haft entlassen sowie JENDRETZKY, ACKERMANN, Elli SCHMIDT
und DAHLEM rehabilitiert. ACKERMANN stieg 1958 zum Stellvertretenden
Vorsitzender der Staatlichen Plankommission auf, JENDRETZKY 1960 zum
Minister und Leiter der Zentralen Kommission für staatliche Kontrolle und
- WEBER 1971: 17. FRICKE 1984: 105–112.
- FRICKE 1984: 99.
DAHLEM 1967 zum Stellvertretenden Minister für Hoch- und Fachschul-
wesen. DAHLEM und JENDRETZKY wurden sogar 1957 wieder in das
ZK als Mitglieder aufgenommen. Nicht rehabilitiert wurden dagegen ZAIS-
SER und HERRNSTADT. ZAISSER wurde Mitarbeiter im SED-offiziellen
Dietz-Verlag und später des ZK-Institut für Marxismus-Leninismus in Berlin.
HERRNSTADT wurde in der Merseburger Zweigstelle des Deutschen Zen-
tralarchivs beschäftigt.
Nach der geheimen Anti-Stalin-Rede CHRUSCHTSCHOWs 1956 und den
darauf folgenden Sturz des stalinistischen Parteichefs Boleslaw BEIRUT in
Polen sowie nach dem im selben Jahr von den Sowjettruppen niedergeschla-
genen Ungarn-Aufstand kam es 1957 auch zu Auseinandersetzungen in der
SED-Führungsspitze. Eine Gruppe von SED-Spitzenfunktionären wollte 1957
Reformen durchführen und eine Annäherung der DDR an die Bundesrepublik
Deutschland erreichen.82 Die anschließende Säuberungswelle erfaßte 1958 die
Politbüro-Mitglieder Karl SCHIRDEWAN, ZK-Sekretär und Kandidat für die
Nachfolge ULBRICHTs83, wegen „Fraktionstätigkeit“, die in der SED streng
verboten war, und Fred OELSSNER, Stellvertretender Regierungschef, wegen
Kritik an der Wirtschaftspolitik ULBRICHTs, sowie das ZK-Mitglied Ernst
WOLLWEBER, Minister für Staatssicherheit, wegen „Fraktionstätigkeit“ und
Opposition gegen ULBRICHT.
Nach Karl Wilhelm FRICKE gab es zwischen der ZAISSER/HERRNSTADT-
Fraktion nicht nur Gemeinsamkeiten in der Zielsetzung, sondern auch in dem
Umstand, daß sich wiederum der Chef der Staatssicherheit ZAISSER und
sein Nachfolger im Amt WOLLWEBER der parteiinternen Opposition an-
geschlossen.84 Beide Oppositionsfraktionen wollten eine langsamere Gangart
beim Aufbau des Sozialismus und keine Vertiefung der Spaltung gegenüber der
Bundesrepublik Deutschland. Beide hatten sich vorher in Moskau abgesichert,
aber das nützte ihnen nicht viel, weil entweder – wie im Fall BERIJA –
der Rückversicherer selbst gestürzt wurde oder – wie im Fall CHRUSCHT-
SCHOW – der Rückversicherer selbst nur mühsam politische Fraktionskämpfe
zu überstehen hatte und keine politischen Risiken eingehen wollte. SCHIR-
DEWAN und WOLLWEBER wurden mit einer strengen Parteirüge bestraft.
SCHIRDEWAN übte 1959 Selbstkritik und widerrief seine Abweichungen.
Von 1958 bis 1965 war er Leiter der Staatlichen Archivverwaltung der DDR
in Potsdam. 1990 wurde er in den PDS-Beirat der Alten aufgenommen.
OELSSNER war bis zu seinem Tode 1969 als Direktor des Instituts für
Wirtschaftswissenschaften der Akademie der Wissenschaften der DDR tätig.
Die Kritiker von ULBRICHTs Wirtschaftspolitik endeten mit Selbstmord:
1957 Gerhart ZILLER, ZK-Mitglied und ZK-Sekretär für Wirtschaft, sowie
- WEBER 1971: 20.
- FRICKE 1984: 116.
- FRICKE 1984: 115.