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Wahlperiode 12, Band IV, Seiten 6 und 7
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Protokoll der 37. Sitzung

Ich freue mich, Sie bei dieser öffentlichen Anhörung über das Thema „Die
Umwandlung der Justiz in der SBZ und den Anfangsjahren der DDR“
begrüßen zu können.

Die Enquete-Kommission befaßt sich heute erstmals in einer öffentlichen
Anhörung mit dem Themenfeld „Recht, Justiz und Polizei im SED-Staat“.
Nach den „Machtstrukturen und Entscheidungsmechanismen“ und der „Rolle
und Bedeutung der Ideologie“ ist dies der dritte große Untersuchungsbereich.
Bei dieser Nennung wird bereits deutlich, wie eng die Komplexe miteinander
verflochten sind. Recht und Justiz waren nicht nur in der Auffassung der
westlichen Forschung, sondern auch nach dem verbindlichen Selbstverständnis
der Juristen und der Rechtswissenschaft in der DDR ein wichtiger Teil
dieser Machtstrukturen. In marxistisch-leninistischer Lesart war das Recht ein
Instrument im Klassenkampf, das die kollektiven Interessen der Arbeiterklasse
und die mit ihr verbündeten Schichten durchsetzen sollte. Rechtstheorie und
Rechtsanwendung waren der herrschenden Ideologie verpflichtet und fanden
in ihr ihren Ausgangspunkt.

Die DDR war kein gesetzloses Land. Doch ein Rechtsstaat war sie auch in
ihrem eigenen Selbstverständnis nicht. Diese Errungenschaft der Aufklärung
und des 19. Jahrhunderts galt den Machthabern in der DDR als Ausdruck
„bürgerlichen Denkens“ und unfähig, „wahre“ Gerechtigkeit herzustellen.
Stattdessen wurde die Parteilichkeit des Rechts und ihr Dienst für den Aufbau
des Sozialismus offen eingeräumt.

Es gibt ein Bündel von Fragen, denen wir uns aus unterschiedlicher Perspek-
tive nähern wollen.

Anzusprechen ist das Verhältnis von Bürger und Staat. Welche Empfindungen
bestanden in der Bevölkerung, der das Streiten gegen die Entscheidungen des
Staates als aussichtslos erscheinen mußte; der suggeriert wurde, daß sie sich
damit gegen die eigenen Interessen wandte? Wie ging man mit dem Gefühl der
Ohnmacht um? War es erträglicher sich mit dem scheinbar Unabänderlichen
abzufinden? Welche Erfahrungen machte der moderne „Michael Kohlhaas“,
der sich auf sein formelles Recht auch gegen den Staat berief?

Im Bereich der Rechtswissenschaft ist nach den ideologischen und politischen
Abhängigkeiten zu fragen. Es gilt, die unterschiedliche Bedeutung einzelner
Rechtsbereiche in den Blick zu nehmen. Nicht jede Rechtsentscheidung war
Unrecht, nur weil sie in der DDR gesprochen wurde.

Es ist zu fragen nach der Rolle derjenigen, die die Rechtswahrung zu
ihrem Beruf gemacht haben. Wie war die Justiz mit dem Staat verzahnt?
Welche Kriterien politischer Fügsamkeit mußte z. B. jemand erfüllen, der
Jura studieren wollte? Wer wurde zu Schöffen berufen? Welchem Berufsethos
fühlten sich die Juristen verpflichtet? Ich erinnere mich gut an die resignative
Äußerung von Lothar de Maizière, als er Jahre vor der Wende sagte: ’Ich

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Umwandlung der Justiz in den Anfangsjahren

habe Jura studiert, um dem Recht zum Durchbruch zu verhelfen. Doch dieser
Wunsch hat sich als Illusion erwiesen. Heute gehe ich diesem Beruf nach, um
das Schlimmste zu verhindern’.

Bei den meisten dieser Fragen wird man zwischen den verschiedenen Phasen
der Geschichte der DDR differenzieren müssen. Heute werden wir uns bei
dieser ersten Anhörung überwiegend mit der Umwandlung der Justiz zur Zeit
der sowjetischen Besatzung und in den frühen Jahren der DDR befassen.
Wir haben dazu verschiedene Experten eingeladen, die uns erläutern werden,
mit welchen politischen Zielsetzungen die Transformation des Rechtswesens
erfolgte. Die politische Funktion der Justiz bei der Herstellung einer neuen
gesellschaftlichen Ordnung forderte Karl Polak, einer der führenden Rechts-
theoretiker der DDR, mit Nachdruck. Es sei an der Zeit, so Polak 1946, „der
Göttin Justiz die Binden von den Augen zu nehmen und sie sehend zu machen
für die Tatsachen des gesellschaftlichen Lebens und die Entwicklungsgesetze
der Geschichte“.

Es wird u. a. zu klären sein, welcher Legitimationsmuster man sich bediente.
Wie wurde mit der Chance zum Neubeginn nach den Jahren der Korrumpie-
rung und Indienstnahme der Justiz im Nationalsozialismus umgegangen? Auf
welche Weise wurden unter der Tarnung der Entnazifizierung Machtpositio-
nen erobert? Wie entwickelte sich das Verhältnis von gesetztem Recht und
Rechtsanwendung?

In ihrer bisherigen Arbeit ist die Enquete-Kommission immer wieder auch
mit Fragen des Rechts in Berührung gekommen. Ich erinnere mich an die
Äußerung eines Zeitzeugen, der im Zusammenhang mit den Waldheim-
Prozessen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, weil er eine
westdeutsche Zeitung gelesen hatte.

In Vorträgen und Diskussion mit sachkundigen Menschen erhoffen wir uns
instruktive Antworten auf einige der genannten Fragen, die ein sensibles und
vielfach auch leidvolles Kapitel deutscher Geschichte berühren. Dabei ist uns
bewußt, daß wir keinesfalls dieses komplexe Thema mit drei Anhörungen
allein aufarbeiten können.

Ich bitte nun Frau Kollegin von Renesse, stellvertretende Vorsitzende der
Enquete-Kommission und gelernte Richterin, uns eine kurze Einführung zum
Thema zu geben.

Abg. Frau von Renesse (SPD): Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine
Damen und Herren.

Ich nehme kein Expertentum für mich in Anspruch. Ich bin zwar, wie
der Vorsitzende gesagt hat, Juristin, beschäftige mich aber erstmalig in der
Enquete-Kommission speziell mit DDR-Recht. Ich denke gleichwohl, daß es
nicht unwichtig ist, vom Hintergrund einer gelernten Wessi-Juristin her auf der
leeren Photoplatte zu sehen, was sich dort abzeichnet von der Wirklichkeit,