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Wahlperiode 12, Band IV, Seiten 10 und 11
10
Protokoll der 37. Sitzung

Die Geschichtsphilosophie des Marxismus bot Erklärungsmuster für alle Ge-
schichte, einschließlich der gerade erlebten Katastrophe. Sie half den Geschei-
terten, Anker zu werfen in einem Begriff von objektiver Gerechtigkeit. Sie
blieb den Irrtümern des Naturrechts ebenso fern wie der Geschichts- und Rea-
litätslosigkeit deutscher Rechtsphilosophen, die einmal in der menschlichen
Ratio, einmal im organisch gewachsenen Volkswissen, einmal im autoritär
wohlmeinenden Staat, lange Zeit in überhaupt nichts einen Bezugspunkt für
inhaltliche Rechtsgestaltung gesehen hatte.

Die Erscheinung der Volksrichter, der späteren gesellschaftlichen Gerichte, die
bündige Rechtssprache in DDR-eigenen Kodifikationen, die Geschmeidigkeit
der Gesetze, die der freien Rechtsfindung für den Einzelfall breiten Spielraum
gab, der Rechtsanwendung durch Subsumption dagegen kaum zugänglich
war, – das alles konnte als die Erfüllung der Sehnsucht nach „dem Recht,
das ist mit uns geboren“, ausgegeben werden. Die konsequente Durchführung
des Resozialisierungsgedankens – zumindest auf dem Papier – im Strafrecht
berief sich auf den berühmten Lehrer der Défense sociale Franz von Liszt, eine
Portalfigur der klassischen deutschen Strafrechtslehre. Was aufgegeben wurde,
war die Kalkulierbarkeit des Rechts- und Staatshandelns, die Rechtssicherheit
und mit ihr der aufrechte Gang des Bürgers vor einem Staat, den das gesetzte
Recht bindet und begrenzt. Wie sollte auch ein Staat rechtlich gebunden sein,
der die ewige Gerechtigkeit auf seiner Seite hat?

Der Rechtsdenker Marx setzte geradezu eschatologische Hoffnungen auf die
Selbsterlösung der Menschheit von allem Übel und sah ihre Morgendämme-
rung in der Geschichte. Der Marxismus-Leninismus nutzte dies zur Legiti-
mation seines absoluten Herrschaftsanspruchs. Marx wurde kanonisiert, der
Auseinandersetzung entzogen und damit als Rechtsphilosoph beseitigt.

Die SED hatte ihre Schwierigkeiten, ihr Recht der Bevölkerung als legitimes
Recht einsichtig zu machen. Sie war aber als moderner, arbeitsteiliger
Staat trotz aller diktatorischer Machtmittel auf die Loyalität ihrer Bürger
angewiesen und bemühte sich darum. In diesem Zusammenhang mag eine
kleine Broschüre, herausgegeben vom Staatsverlag der DDR und erschienen
in der Reihe „Recht in unserer Zeit“, beispielhaft sein. In der genannten
Reihe finden sich Handreichungen für Nicht-Juristen, die mit Alltäglichem aus
einzelnen Rechtsgebieten vertraut machen, etwa mit Arbeits- oder Mietrecht.
So etwas gibt es auch als Service der westdeutschen Justizministerien. Etwas
Besonderes aber stellt das Bändchen „Was ist gerecht, was ungerecht?“
dar. Hier wird Rechtsphilosophie, marxistisch-leninistische natürlich, unters
Volk gebracht; wird um die Zustimmung des Lesers zu dem Begriff von
Gerechtigkeit im SED-Staat wort- und beispielreich geworben. Denn – und das
ist wieder an die Erkenntnis des Augustinus zu Staat und Recht zu erinnern –
ein Staat, der sich an Recht nicht bindet noch Recht durchsetzt, erscheint
seinem Volk früher oder später als „große Räuberbande“.

11
Umwandlung der Justiz in den Anfangsjahren

Juristen fragen nach wertender Erkenntnis, für Historiker vielleicht zu früh.
Die Betrachtung der Rechtsgeschichte des SED-Staates erweist sie als einen
unverkennbaren Teil der gemeinsamen deutschen Rechtsgeschichte, mit ihren
typischen Schwächen und Stärken. Die Suche nach objektiven Maßstäben,
nach dem „richtigen Recht“ prägte das deutsche Rechtsdenken seit jeher, vor
allem nach dem inneren und äußeren Zusammenbruch der Nachkriegszeit. Der
SED-Staat gab vor, den Zugriff auf Wahrheit und Gerechtigkeit zu besitzen.
Absolut wie ihre vermeintliche Wahrheit gestaltete die SED ihre Staatsmacht.
Keine Gewaltenteilung, keine klaren Kompetenzgrenzen, keine richterliche
Unabhängigkeit beschnitt die Macht der Partei der Arbeiterklasse. Eingaben,
nicht Rechtsmittel, Hoffnung auf Entgegenkommen, nicht subjektive Indivi-
dualrechte kennzeichneten das Verhältnis des Bürgers zum Staat. Mit Hilfe der
Partei ließ sich alles erreichen, von der Wohnung bis zum Bildungsabschluß;
aber entrechtet war, wer als „negativ-feindliches“ Element eingestuft wurde.
Der moderne Rechtsstaat, der dem Staatshandeln die Fesseln von Recht und
„bürokratischen“ Zuständigkeitsregeln auferlegt, erscheint gegenüber diesem
schlichten Strickmuster überaus kompliziert – auch hier eine Quelle für
DDR-Nostalgie.

Aus dem Feuerofen der Geschichte kommt die Lehre, daß jedes Bekenntnis zu
objektiven Werten das Bekenntnis zu ihrer Infragestellung einschließen muß,
soll es nicht totalitär entarten. Das ist schwer auszuhalten. Allgegenwärtig ist
die Gefahr, aus der Moderne in die Geborgenheit geschlossener Welterklärun-
gen zu fliehen. Damit aber schwindet Freiheit. Danke.

(Beifall)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank für Ihre geistreiche
und nachdenkliche Einführung, wenn ich das so sagen darf, liebe Frau
Kollegin. Ich bitte jetzt Herrn Professor Dr. Friedrich-Christian Schroeder
aus Regensburg, ebenfalls Mitglied unserer Enquete-Kommission, uns zu
seinem Thema „Die Übernahme der sozialistischen Rechtsauffassung in ihrer
Stalinschen Ausprägung in der SBZ/DDR“ etwas zu sagen. Bitte Herr
Professor Schroeder.

Sv. Prof. Dr. Friedrich-Christian Schroeder: Meine sehr geehrten Damen
und Herren, in der DDR und vorher in der SBZ gab es zahllose ungerechte,
empörende Urteile und viele Gesetze, die nach unserer Auffassung Unrecht
in Gesetzesform darstellen. Diese vielen Rechtsbrüche sind jedoch keine
Eigenmächtigkeiten einzelner. Die massenhafte Verletzung der herkömmlichen
Rechtsgrundsätze ließ sich auch nicht verstecken und konnte auf dem Boden
der herkömmlichen Rechtsauffassung nicht durchgezogen werden. Diese
massenhafte Verletzung der herkömmlichen Rechtsgrundsätze war vielmehr
nur möglich durch eine radikale Umwandlung der Auffassung vom Recht
selbst.

Allerdings wurde diese Umwandlung der Rechtsauffassung nicht in der