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Wahlperiode 12, Band IV, Seiten 36 und 37
36
Protokoll der 37. Sitzung

zweitens Ausschaltung der Gerichte bei Erlaß des Haftbefehls,

drittens demgemäß keine Haftbeschwerde,

viertens Fertigung der Anklageschrift durch die Polizei,

fünftens Verstärkung der Positionen der Staatsanwaltschaft“.

So schlugen mit Befehl 201 sowjetische Rechtspraktiken durch. Bereits im
Juni 1947 hatte Ernst Melzheimer in einer Beratung beim Zentralsekretariat
der SED einem Diskussionspartner erwidert: „Ich bedauere nur, daß Du nicht
nach Karlshorst zu gehen brauchst, um den Russen klarzumachen, was der
Unterschied zwischen ihrer und unserer Justiz ist. Sie wissen es genau so wie
Du!“

War einerseits der Befehl 201 mit seinen Vorgaben oberstes Gesetz, das Hand-
lungsspielräume einengte, so verstanden es andererseits Mielke und andere,
mögliche Spielräume für die Festigung bestimmter Positionen auszureizen.
In Ausführung des Befehls entwickelten sich die K 5 zu selbständigen Ab-
teilungen; die Ausbildung von Volksrichtern nahm einen wichtigeren Platz
ein; ein Rundschreiben vom September 1947 bekräftigte gegenüber den Ju-
stizorganen die politische Dominanz des Innenministeriums (Vorbereitung der
Verfahren, Ermittlungen, Anklageschrift, Anordnung der U-Haft, Vorschrift
für Hauptverbrecher); die Zentralverwaltung für Justiz wurde Mitte 1948
umstrukturiert und 30 Personen wurden entlassen; die Haftanstalten gingen
1950 nach sowjetischem Vorbild aus der Verantwortung der Justiz in die
Verantwortung des Ministeriums des Innern über; der Platz der Justiz wurde
vom Standpunkt der Machtfestigung bestimmt; das Zentralsekretariat der SED
stärkte seine Rolle als politisches Koordinierungszentrum.

Diese Vorgänge standen im Konnex mit der Ausweitung der Sequesterver-
fahren in Richtung Sozialisierung.22); der Entwicklung der SED zur Partei
neuen Typs; der Diskussion um die Machtfrage (Otto Grotewohl: „30 Jahre
später“); der Absage an einen besonderen deutschen Weg. Radikalisierung
der Entwicklung durch Revolution von oben bestimmte mehr und mehr den
Geschichtsprozeß.

Wichtige Ergebnisse der Entnazifizierung in der SBZ/DDR gingen eben auch
mit Problemen einher, die heute kritisch zu sehen sind. In der Erneuerung
des Bestandes der Richter und Staatsanwälte hatten sich echte Veränderungen
vollzogen. Im April 1950 hatten von 1037 Richtern 549 einen Richterlehrgang
und 488 einen akademischen Weg hinter sich. 556 davon gehörten der SED
an. Von 272 Staatsanwälten waren 186 auf einem Richterlehrgang und 91
akademisch ausgebildet worden. Der SED gehörten 234 Staatsanwälte an.
31 Richter und 5 Staatsanwälte hatten ehemals der NSDAP oder einer ihrer
Gliederungen bzw. der HJ oder dem BDM angehört.23) Andere Ergebnisse
wären hinzuzufügen. 24) Doch es gab auch Ungereimtheiten: Ehemalige

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Umwandlung der Justiz in den Anfangsjahren

Offiziere und Feldwebel der Naziwehrmacht fanden sich an fast allen
Gerichten der DDR wieder (etwa mit einem Anteil von 10 %). Saß eine
Sekretärin aus dem faschistischen Justizministerium als SED-Mitglied beim
Obersten Gericht, so war eine andere in Waldheim für ihre Vergangenheit hart
verurteilt worden. (Beifall)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank, Frau Dr. Otto. Ich
begrüße jetzt Frau Julia Pfannkuch und bitte Sie, nach vorne zu kommen. Frau
Pfannkuch ist Rechtsreferendarin in Kiel und das Thema, dem sie sich heute
stellt und worum wir sie gebeten haben, lautet: „Die Volksrichterlehrgänge in
der SBZ am Beispiel Sachsens“. Dies ist das Thema, zu dem Sie gegenwärtig
promoviert. Bitteschön.

Julia Pfannkuch: In den Nachkriegsjahren wurde in der Sowjetischen
Besatzungszone eine Juristenausbildung ins Leben gerufen, die mit dem
traditionellen akademischen Studium der Rechtswissenschaften brach und
neue Maßstäbe setzte. Innerhalb weniger Monate wurden juristische Laien zu
sog. Volksrichtern ausgebildet und in der Praxis als Richter und Staatsanwälte
eingesetzt. Im Jahre 1950 betrug ihr Anteil in der sächsischen Richterschaft
bereits über 50 %.

Als ich mich im Rahmen meiner Dissertation mit diesem Thema beschäftigte,
galt die erste Frage, wo Materialien über die sächsische Volksrichterausbildung
zu finden sein könnten. Das Staatsarchiv in Dresden konnte zwar mit Unter-
lagen allgemeiner Art aufwarten. Aber erst das Archiv des Landesvorstandes
der sächsischen PDS brachte die ersten genauen Statistiken und detailliertere
Informationen. Dem Leiter dieses Archivs, das mittlerweile dem Staatsarchiv
Dresden zugeordnet worden ist, habe ich es zu verdanken, mit Teilnehmern
einiger Volksrichterlehrgänge ein persönliches Gespräch führen zu können.
Die Offenheit, mit der mir diese Menschen gegenübertraten, verblüffte mich
ungemein und verleihten meinen Forschungen besondere Lebendigkeit. Ergän-
zendes Material stand mir auch im Archiv für die Geschichte der Arbeiter-
bewegung in Berlin zur Verfügung sowie im Bundesarchiv in Potsdam. Eine
umfassende Sammlung an Unterlagen vermute ich darüber hinaus im Archiv
der Universität in Potsdam-Babelsberg, das die Materialien des ehemaligen
Lehrstuhls der Geschichte der Rechtspflege beherbergt, welches unter der
Leitung von Hilde Benjamin gestanden hat. Der Zugang zu diesem Archiv
wurde mir allerdings verwehrt.

Nun zur Sache:

Ein Grund für die Einrichtung der Volksrichterlehrgänge war der extreme
Personalnotstand in der Justiz in der Sowjetischen Besatzungszone. Direkt
nach Kriegsende waren in Sachsen knapp 1000 Richter und Staatsanwälte
tätig, von denen immerhin 80 % Mitglied der NSDAP gewesen waren. Im
Juli 1945 erließ die sächsische Landesverwaltung eine Verordnung, in der sie
zunächst jede Beschäftigung im öffentlichen Dienst für vorläufig anordnete.