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des Heils 34 – und bin dann mit 73 Jahren in den wohlverdienten Ruhestand
gegangen. Dem Kollegium in – ich sage bewußt – Karl-Marx-Stadt ist es
gelungen, den Altersfonds an die jungen Kollegen zu verteilen, die Sachen zu
westlichen Abschreibungen an die Kollegen zu verkaufen, die abgeschriebenen
Dinge zu verschenken. Und der zuständige Minister – das ist jetzt mein
sächsischer Minister – muß mir dann schreiben: Ich kann das leider nicht
ändern, weil die vorige Regierung das Gesetz über die Kollegienanwälte, bei
dem der Minister der einzige war, der eingreifen konnte, außer Kraft gesetzt
hat.
Nun, mehr habe ich nicht zu sagen. (Beifall)
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Der vierte und letzte der Zeitzeugen für
die Rechtsanwälte aus der DDR ist Herr Wiedemann aus Zerbst.
Rüdiger Wiedemann: Wenn man als letzter an der Reihe ist, wird man von
der Zeit gedrängt; deshalb möchte ich meinen Beitrag vorlesen, damit ich
mich an die Zeit halten kann.
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Wenn ich es richtig sehe, können Sie sogar
länger sprechen als mancher Ihrer Kollegen, weil diese so diszipliniert waren.
Das bewundere ich immer an den Juristen, das sie tatsächlich in ihrer Zeit
bleiben.
Rüdiger Wiedemann: Mein Thema ist die Lenkung der Justiz in der DDR aus
der Sicht eines Rechtsanwalts und die Behinderung anwaltlicher Tätigkeit. Auf
meine zu den Akten gereichte Kurzbiographie darf ich verweisen. Vielleicht
bin ich ein gelernter DDR-Bürger, ohne in meiner Person typisch für den
Mitteldeutschen zu sein.
Ich bin mir der großen Verpflichtung und Ehre bewußt, zum Thema einige
Gedanken äußern zu dürfen, dies vor einem Kreis aufgeschlossener, kompe-
tenter Menschen mit ganz unterschiedlicher eigener Vergangenheit und damit
natürlich auch eigenem Erleben. An dieser Stelle weiß ich nicht – und ich
bitte um Nachsicht –, ob ich überhaupt berufen bin, zu diesem Thema eine
Aussage zu machen. Gleichzeitig tröste ich mich damit, daß viele berufen und
nur wenige auserwählt sind.
Mit dieser für mich Evangelischen frohmachenden Botschaft in Begleitung
darf ich – wahrscheinlich einige Dinge wiederholend – darauf aufmerksam
machen, daß die Rechtsanwaltschaft in der DDR nicht zur Justiz gehört, son-
dern sich als ein Organ der Rechtspflege verstand, auch so verstanden wurde,
aber natürlich dem Justizministerium unterstand. Seit 1953 – Verordnung vom
15. Mai des genannten Jahres – wurde auf Initiative – so steht es in den
gesetzlichen Bestimmungen – der fortschrittlichen Rechtsanwälte die Masse
der Anwältinnen und Anwälte Mitglieder der Kollegien.
Dem eigenen, freiwilligen Entschluß wurde entscheidend steuerrechtlich
nachgeholfen, und das sicherte vielen Betroffenen das finanzielle Überleben.
Das kann man aus den alten Unterlagen noch ersehen. Beiordnungen und
Bestellungen vor Gericht hingen von der Kollegiumsmitgliedschaft ab, ebenso,
damals für volkseigene Betriebe tätig sein zu können.
Bis zum Ende der DDR 1990 gab es formal auch noch einige Einzelanwälte.
In vielen Bezirken – das war die Struktur der Kollegien – waren diese
zwischenzeitlich im wahrsten Sinne des Wortes ausgestorben. Nur in Berlin,
im damaligen Ostberlin, spielten Einzelanwälte eine Rolle. Heute kann man
wohl laut sagen, daß eine Neuzulassung als Einzelanwalt nicht ganz koscher
war. Der Einzelanwalt in der Stadt, wo ich heute bin, hat das nachdrücklich
bestätigt. Hier wurde auch deutlicher als anderswo die Lenkung der Justiz –
und was dazu gehörte – sichtbar.
Seit Anfang der achtziger Jahre gab es in Berlin noch das Rechtsanwaltsbüro
für internationale Zivilrechtsvertretungen. Die Schaffung dieses Büros konnte
man ähnlich sehen. Es war im Zuge der sozialistischen Entwicklung der
DDR der Versuch, die Masse der Anwälte von der Übernahme der Mandate
auszuschließen, die grenzüberschreitend waren und von Staats wegen des
besonderen Überblicks bedurften.
Dieses Thema läßt sich nach meiner Überzeugung nur behandeln, wenn
nachträglich zum sozialistischen Staats- und Rechtsverständnis der DDR
interpretierend zurückgefunden wird. Es gab die einheitliche Staatsmacht, alles
überragend. Hier war die Justiz eingebettet. Und jedes Rechtspflegeorgan hatte
da, direkt oder indirekt, zu dienen. Ein Angriff auf einen Vertreter dieser
Staatsmacht – natürlich hing das immer von dessen Größe und Stellung ab –
bedingte die gesetzlich zulässige, manchmal unverständlich harte Reaktion
aller Staats- (sprich Sicherheits-)organe.
Über gravierende Fälle, die man so hörte, die man kannte, wurde natürlich in
den Mitgliederversammlungen der Rechtsanwaltskollegien diskutiert. Natür-
lich gab es da meistens, wenn man das so verkürzt sagen darf, wie ja auch
sonst unter zwei Juristen schnell mal drei Meinungen. Ich darf versuchen, die
Meinungen etwas darzustellen.
Die Masse meinte, man müsse sich in sein Schicksal fügen. Staat und Justiz
seien nun einmal so zentral und empfindsam aufgebaut; wer das nicht beachte
und dagegenhalte, müsse auch das Echo vertragen. Das schließe ein, daß man
im Einzelfall als Anwalt die Verpflichtung habe, soweit man beauftragt sei,
im Rahmen der sozialistischen Gesetzlichkeit für den betroffenen Mandanten
tätig zu werden, den Rechtsweg auszuschöpfen und jemanden ein Stück zu
begleiten.
Die übertrieben staats- und gesellschaftstreuen Anwälte erinnerten an das
Dritte Reich, daran, wie es da den Kolleginnen und Kollegen ergangen war,
die sich gegen die Staatsgewalt gestellt hatten, und verwiesen die jüngeren
bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit darauf, daß im kapitali-
stischen Westdeutschland kein Blutrichter aus der Nazizeit strafrechtlich zur