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Wahlperiode 12, Band IV, Seiten 164 und 165
164
Protokoll der 40. Sitzung

mußte dies –, und es war der Wunsch, in einer säkularisierten Welt mal
vertraulich mit jemandem sprechen zu können. Oft war es mehr Lebenshilfe,
die eher für andere Berufszweige hätte Aufgabe sein müssen.

Einen Anwalt zu Hilfe nehmen, heißt das nicht, mangelndes Vertrauen zum
Gericht, zum Staat zu haben und auszudrücken? Bedeutet das nicht unter
Umständen mehr Schaden als Nutzen? Der Anwalt kostet Geld, und das
Recht sorgt ohnehin dafür, daß keinem Unrecht geschieht! Was also sollte
der Rechtsanwalt? Das ist 1982 in einer Broschüre veröffentlicht. Der damals
durchaus führende Rechtsanwalt in der DDR, der das geschrieben hatte, hat
es zwar mit Fragezeichen versehen, aber es war durchaus die herrschende
Meinung.

Aus der Tradition der deutschen Geschichte und wegen des internationalen
Renommees waren Rechtsanwälte in der DDR notwendig. Außerdem gab es
Zurückgebliebene, Kranke, Alte und Behinderte, die vielleicht auch einmal
zum Gericht mußten, und demzufolge wurden auch Anwälte benötigt. Auf
dieser Strecke wurde ein Rechtsanwalt kaum behindert. Hatte er ein solches
Mandat, erhielt er auch manche gerichtliche Bestellung oder Beiordnung, war
er behindert genug.

Die Frage ging abschließend mehr nach Gesetz als nach Recht, und das
verwundert bei dem Aufbau und dem Selbstverständnis des sozialistischen
Einheitsstaates in Deutschland nicht. Stritten sich zwei gleichrangige Bürger
und hatte die Sache keinen politischen Hintergrund, dann ging es über zwei
Instanzen – davon ist gesprochen worden –; an sich waren es drei Instanzen.
Die letzte Instanz war dann immer noch die allgemeine Eingabe an den
Staatsratsvorsitzenden, wovon fast jeder Gebrauch machte, der den Rechtsweg
abgeschlossen hatte. Dort wurde manchmal mehr bewegt. Wer das wußte und
wer die Instanzen ausschöpfte, konnte vielleicht auf Gerechtigkeit – vielleicht
mit der Einschränkung der „sozialistischen“ – hoffen.

Hatte die Sache aber einen politischen Hintergrund, was man bald merkte,
dann ging es mehr oder weniger um reine Machtfragen, die in die sozialistische
Gesetzlichkeit sichtbar eingebettet waren.

Natürlich gäbe es noch viel, auch an Beispielen, darzustellen. Größte Achtung
zolle ich denjenigen innerhalb und außerhalb dieses Saales und dieses Hauses,
die sich mehr für andere eingesetzt haben als ich, die entschieden mehr erlebt
und erlitten haben, die namenlos geblieben sind und trotzdem, mit und ohne
Gottes Hilfe, am Leben nicht verzweifelten. (Beifall).

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Wir haben zuletzt vier Kostbarkeiten
gehört, wenn ich das in Anlehnung an eine Zahl, die Rechtsanwältin
Kögler genannt hat, uns noch einmal in Erinnerung rufen darf: 500 bis 600
Rechtsanwälte, die es in der ganzen DDR gab, hat in der alten Bundesrepublik
allein die Stadt Bremen gehabt.

165
Lenkung der Justiz

Jetzt ist die Zeit des Fragens. Am schnellsten war unsere Kollegin Fischer.

Abg. Frau Fischer (Gräfenhainichen) (SPD): Als Politikerin möchte ich
natürlich nach einer solchen Sitzung der Enquete-Kommission etwas mit nach
Hause nehmen, in meine tägliche Arbeit einfließen lassen. Ich habe am Anfang
den Worten des Justizministers gelauscht, der sagte: Leute, guckt nicht in
eure Akten; das sind sowieso zuviele, und das dauert zu lange. Wenn ihr da
reingeguckt habt, ist die Verjährungsfrist da. – Was soll ich also als Politikerin
tun?

Auf der anderen Seite höre ich von Frau Kögler, daß sie Bedenken hat,
einen Fall durchzubekommen, wenn die Verjährungsfrist nicht noch einmal
verlängert wird.

Schließlich sehe ich, daß man gewisse Leute kaum strafrechtlich belangen
kann; denn wenn man von einer bestimmten Stufe der Hierarchie an in diesem
Staat Entscheidungen treffen konnte – und Straftaten vorbereitete –, wurde
das sehr unkonkret, anonym, unpersönlich gemacht. Schalck-Golodkowski ist
nie zu jemandem nach Hause gekommen, von dem er wußte, daß da ein
altes Ölgemälde war, und hat es von der Wand abgehängt. Also kann er
nicht belangt werden. Und Erich Honecker hat nicht ein Gewehr in die Hand
genommen und geschossen.

Ich frage also: Welche Möglichkeiten habe ich als Politikerin, Frau Kögler,
da die Leute eine gewisse Aufarbeitung von uns erwarten und ich eine
Entscheidung treffen muß? Zu welcher Möglichkeit würden sie mir in bezug
auf Verjährung von Straftaten raten?

Meine zweite Frage ist etwas persönlich: Gibt es denn partout keine
Möglichkeit, diese Leute, die Straftaten vorbereitet haben, wie Schalck-
Golodkowski, die aber nicht unmittelbar daran beteiligt waren, weil sie in
der Hierarchie zu weit oben standen, doch noch zu belangen? Ich richte diese
Frage an Frau Kögler.

Sv. Prof. Dr. Herbert Wolf: Zwei Fragen an Herrn Rottleuthner. Herr Rott-
leuthner sagte, Steuerungsziel in der Justiz der DDR war die Einheitlichkeit der
Rechtsprechung, war es, unzureichendes Anleitungsmaterial zu kompensieren
und waren opportunistische Durchgriffe zur Erreichung politischer Ziele.
Wenn man das so hört, hat man den Eindruck, als hätte es Eingriffe der Politik
nur dann gegeben, wenn sozusagen eine Art Betriebsunfall passiert war.

Die klassischen Steuerungsmechanismen, die Sie vorher bringen, sind ja
eigentlich alle systemimmanent und nicht bezogen auf Einzelfälle, wo
opportunistische Eingriffe erfolgen mußten.

Meine Frage ist, ob es weitere Erkenntnisse bringt, wenn wir bei dieser
zweifelsohne zutreffenden formalen Beschreibung bleiben. Ich werde das nicht
bestreiten, sondern ich frage: Was steckt eigentlichen dahinter? Was ist das
Systemimmanente?