Fehler melden / Feedback
Vorsitzender Rainer Eppelmann: Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich eröffne die 46. Sitzung unserer Enquete-
Kommission.
Ich freue mich darüber – ich hoffe, auch Sie alle –, daß es mir jetzt ein zweites
Mal in der Arbeit unserer Enquete-Kommission vergönnt ist, uns während
einer öffentlichen Anhörung zusammenbinden zu können. Dies ist trotz der
Arbeit und Mühen, die wir hier auf uns nehmen, angenehm. Ich habe nämlich
die große Freude, einen, wie ich finde, wunderschönen Blumenstrauß unserer
Kollegin Frau Dr. Wilms überreichen zu dürfen, die noch ein Jahr weiser
geworden ist. Ich gehe davon aus, daß ich ihr in unser aller Namen nicht nur
herzlich gratulieren, sondern für das neue Lebensjahr auch viel Glück und
Gottes Segen wünschen kann.
(Der Vorsitzende überreicht unter dem Beifall des Ausschusses der Abg.
Dr. Dorothee Wilms einen Blumenstrauß)
Wir befassen uns heute und morgen mit folgendem Tagesordnungspunkt:
Öffentliche Anhörungen zu dem Thema „Internationale Rahmenbedingun-
gen der Deutschlandpolitik 1949-1989“
Bevor wir diese weitere öffentliche Anhörung durchführen, ist folgendes
festzuhalten.
Am Anfang dieser Epoche stand das Ende des nationalsozialistischen Ge-
waltregimes, dessen Terrorsystem eine europäische Katastrophe ausgelöst
hatte. Als die Staaten der Anti-Hitler-Koalition im Frühjahr 1945 die totale
Kapitulation Nazi-Deutschlands erzwungen hatten, mußten sich die Menschen
in Deutschland fragen: Wie werden die Sieger mit uns umgehen? Die Sieger-
mächte hatten – jede auf ihre Weise – die Frage zu beantworten: Wie kann
sichergestellt werden, daß dieses Deutschland niemals wieder die Gelegenheit
erhält, die Völker Europas mit Krieg und Terror zu überziehen?
All das, was heute unter dem Stichwort „Internationale Rahmenbedingungen
der Deutschlandpolitik“ von ausgewiesenen Sachkennern dieser Materie
vorgetragen und analysiert werden wird, wird unbedingt auch vor diesem
Hintergrund gesehen werden müssen.
Die Deutschlandpolitik der Siegermächte wurde schon sehr bald nach dem
Kriegsende durch den Beginn des Kalten Krieges zwischen den Westmächten
und der Sowjetunion bestimmt. Wir dürfen dafür dankbar sein, daß aus dem
Kalten Krieg trotz aller Konfrontation kein heißer Krieg wurde.
Deutschland als Frontgebiet des Kalten Krieges und Berlin als Frontstadt
bekamen die Veränderungen dieser internationalen Rahmenbedingungen der
Deutschlandpolitik sehr schnell und direkt zu spüren. Bedeutete die Einbe-
ziehung der deutschen Teilstaaten in die Frontbildung des Kalten Krieges
einerseits eine unverhofft rasche politische Aufwertung, so wurden die Men-
schen in Deutschland andererseits auch mit den Lasten des Kalten Krieges
ganz unmittelbar und hart konfrontiert. Besonders die Bürger Berlins bekamen
die Folgen dieser Neuordnung der politischen Machtverhältnisse tagtäglich zu
spüren. Die ständig perfektionierte Teilung der Stadt hatte das Bewußtsein
ihrer Bürger tief geprägt. Sie mußten mit der Mauer und im Schatten der
Mauer leben.
Der Bau der Mauer 1961 in Berlin, die die Regierenden der DDR den „anti-
faschistischen Schutzwall“ nannten, teilte nicht nur Berlin, sondern bedeutete
auch für 16 Millionen DDR-Bürger das Urteil, ohne Gerichtsbeschluß lebens-
länglich eingesperrt zu sein.
Wenn wir uns mit der Geschichte und den Folgen der SED-Diktatur in
Deutschland beschäftigen, werden wir uns auch dies immer wieder ins
Gedächtnis rufen müssen: Die Menschen in der DDR lebten, handelten und
dachten fast 30 Jahre lang mit diesem Urteil im Hinterkopf. Wer sie, wer uns
verstehen will, darf über diese Tatsache nicht hinwegsehen.
In der ersten Phase der Einmauerung der DDR waren es zunächst nur einzelne
Menschen im Westen, die sich dazu bereitfanden, die Teilung Berlins und
Deutschlands nach dem Mauerbau auf ganz persönliche Weise zu überwinden.
Ich glaube, wir müssen all denen noch heute sehr nachdrücklich danken,
die damals ihre Angst überwanden und die oft entwürdigenden Schikanen
der Grenzorgane der DDR über sich ergehen ließen, um die Kontakte der
Menschen diesseits und jenseits der Grenze aufrechtzuerhalten.
Das SED-Regime hat an diesen zwischenmenschlichen Kontakten immer
kräftig mitverdient. Die Mitbringsel der Westbesucher und die von ihnen zu
entrichtenden Straßen-, Visa- und Strafgebühren waren ein fester Posten im
Haushaltsplan der Deutschen Demokratischen Republik.
Die offizielle Politik im Westen stellte sich erst allmählich auf die neuen
Gegebenheiten ein. Die Passierschein-, Reise- und Straßenverkehrsabkommen
waren wichtige Stationen bei der allmählichen Aufweichung des brutalen
Grenzregimes der DDR.
Das Aufrechterhalten der menschlichen Kontakte, besonders durch die beiden
großen Kirchen mit Leben gefüllt, die in zähem politischen Kampf allmählich
verbesserten Reisemöglichkeiten auch für DDR-Bürger und die Veränderungen
im europäischen Kräftefeld gehören zu den wesentlichen Voraussetzungen der
Wende des Jahres 1989. Trotz aller militärischen, ideologischen und wirt-
schaftlichen Sperrmaßnahmen konnte es das SED-Regime nicht verhindern,
daß die Menschen in Deutschland wieder zueinanderkamen. Man wußte sogar
noch voneinander.
Durch die Medien gab es so etwas wie eine gemeinsame öffentliche Meinung
zu beiden Seiten der Grenze in Deutschland. Die politischen Entwicklungen
in der DDR nach dem Fall der Mauer spiegeln das deutlich wider. Über
die politische Zukunft Deutschlands wurde sehr bald nur noch im Rahmen