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Wahlperiode 12, Band VI/1, Seiten 12 und 13
12
Protokoll der 56. Sitzung

Wir müssen nach den Verstrickungen fragen, die die Stasi in die Kirchen
hinein aufbaute. Wieviel Vertrauen ist da mißbraucht worden von einzelnen?
Wie gehen die Kirchen mit dieser Vergangenheit um? Ich möchte die Hoffnung
nicht aufgeben, daß die Kirchen auch hier Wege aufzuzeigen vermögen, die
aus einer schwierigen, manchmal auch dunklen Vergangenheit in die Zukunft
führen. Wer sollte das leisten, wenn nicht die Kirchen? Die Kirchen wissen
doch von Schuld und Bewahrung, von Reue und Buße, von Vergebung und
neuem Anfang aus gutem Grund zu reden. Die Menschen in unserem Land,
die sich auf so vielfache Weise mit der Vergangenheit herumschlagen, warten
auch hier auf Antworten. Ich möchte sogar sagen, die Menschen warten darauf,
daß die Kirchen und Christen hier zu Vorbildern werden und Signale geben.
Wir brauchen diese Vorbilder heute genauso wie damals, als in den Kirchen
der DDR Zeichen dafür gesetzt wurden, was Frieden, Vertrauen, Versöhnung
und Leben für andere heißen kann.

Die Kirchen in der DDR waren entscheidend an der Wende beteiligt. In den
von ihnen geschützten Freiräumen lernten die Menschen den aufrechten Gang.
In den Kirchen versammelten sich die Menschen. Darunter waren auch sehr
viele Nichtchristen. Sie ließen sich Mut machen, zündeten ihre Kerzen an und
gingen dann hinaus auf die Straßen und Plätze, wo die Greifkommandos der
Mächtigen und die Stasi-Häscher bereitstanden. In jenen Tagen und Nächten
standen die Kirchen, und nicht nur die Gebäude, weit offen. Niemals zuvor
und leider auch nicht mehr danach war Kirche dem Volk in den letzten Jahren,
nach meiner Meinung, so nahe. Das darf nicht vergessen werden! Das haben
Hunderttausende von Menschen in dieser DDR so erlebt.

Wir wollen heute und morgen sehr genaue Fragen stellen. Wir wollen auch
kritische Fragen stellen und danach fragen: Wie erklärt sich, daß diese Kirchen
dann so schnell als Gemeinschaft von Opportunisten und Verrätern, von
Spitzeln, Transmissionsriemen und Aktentaschenträgern der Regierenden in
der DDR verdächtigt werden konnten? Wie gehen Kirchen mit der Vertrauens-
und Glaubwürdigkeitskrise um, unter der sie heute – gemeinsam mit den
Politikern und Gewerkschaftern übrigens und vielleicht auch nicht ganz ohne
Grund – zu leiden haben?

Ich hoffe, daß diese Anhörung sehr bald den Charakter eines offenen
Gespräches annimmt. Wir wollen lernen zu verstehen, welchen Weg die
Kirchen in der DDR gegangen sind. Altbundeskanzler Helmut Schmidt hat bei
unserer letzten Anhörung in Bonn die Kirchen „die greifbarste Opposition“
in der DDR genannt. Präziser läßt sich meiner Meinung nach kaum sagen,
weshalb sich die Enquete-Kommission, die sich mit der Geschichte und
den Folgen der SED-Diktatur in Deutschland zu beschäftigen hat, heute den
Kirchen in den verschiedenen Phasen dieser Diktatur zuwendet.

Ich wünsche dieser Anhörung einen guten Verlauf. (Beifall)

Als ersten bitte ich Herrn Prof. Jüngel, das Wort zu nehmen.

13
Haltung der evang. Kirchen zum SED-Staat

Prof. Dr. Eberhard Jüngel D.D.: Herr Landtagspräsident, Herr Ministerpräsi-
dent, Herr Vorsitzender, meine Damen und Herren! Kirchengeschichte ist zwar
nicht zuerst und vor allem, sie ist aber immer auch politische Geschichte. In
der neuesten deutschen Geschichte ist jedoch auch umgekehrt die politische
Geschichte Deutschlands zu einem nicht unwesentlichen Teil mit der Kirchen-
geschichte verwoben. Das gilt jedenfalls für die Geschichte der Evangelischen
Kirche in der DDR, die zwar nicht im selben Maße wie etwa der polnische
Katholizismus für die Geschichte Polens bedeutungsvoll war, deren Kenntnis
aber für das Verständnis der politischen Nachkriegsgeschichte Deutschlands
sehr viel weniger entbehrlich ist als die Kenntnis der westdeutschen Kirchen-
geschichte. Ich habe die Aufgabe, hier in aller Kürze und sehr grob die Wege
und Aporien der Evangelischen Kirche in der DDR darzustellen. Das soll in
drei Schritten geschehen: Zuerst gilt es, auf die Komplexität dieser Geschichte
aufmerksam zu machen, dann sollen die wichtigsten, weil weichenstellenden
Ereignisse innerhalb dieser Geschichte zur Sprache gebracht werden, und
schließlich soll die Funktion der evangelischen Kirche als Gegenöffentlichkeit
in einer entmündigten und geknebelten Öffentlichkeit bedacht werden.

I. Die Wege, aber auch die Ausweglosigkeiten der evangelischen Kirche im
Osten Deutschlands fangen da an, wo die nationalsozialistische Herrschaft
endete. „Die religiösen Einrichtungen sollen respektiert werden“ – mit dieser
Bestimmung des Potsdamer Abkommens war der Kirche die Möglichkeit
gegeben, ihre bisherige institutionelle Gestalt aufrechtzuerhalten und ihre
Geschichte mehr oder weniger kontinuierlich fortzusetzen. Daß sich diese
Möglichkeit nicht ohne weiteres realisieren ließ, hatte innerkirchliche, hatte
theologische Gründe. War es doch unter der nationalsozialistischen Diktatur
auch in der evangelischen Kirche nicht nur zu opportunistischer Anpassung,
sondern in Gestalt der Häresie der Deutschen Christen zu einer auch von
vielen Kirchenleitungen mitvollzogenen ideologischen Gleichschaltung mit
dem Nationalsozialismus gekommen, so daß am Ende des Zweiten Weltkrieges
nur wenige sogenannte „intakte Landeskirchen“ existierten – im Gebiet
der sowjetischen Besatzungszone keine einzige. In diesen Landeskirchen
drängte 1945 die „Bekennende Kirche“, die während des Dritten Reiches
der Entstellung der evangelischen Christenheit zu einer ideologisch und
politisch gleichgeschalteten Größe entgegenzuwirken versucht hatte, auf eine
Ablösung der kompromittierten Kirchenleitungen. Man konnte sich dabei auf
die 1934 von der Bekenntnissynode in Barmen verabschiedete „Theologische
Erklärung“ berufen, die in ihrer fünften These die falsche Lehre verworfen
hatte, „als solle und könne der Staat über seinen besonderen Auftrag hinaus
die einzige und totale Ordnung menschlichen Lebens werden und also auch
die Bestimmung der Kirche erfüllen“, und „als solle und könne sich die Kirche
über ihren besonderen Auftrag hinaus staatliche Art, staatliche Aufgaben und
staatliche Würde aneignen und damit selber zu einem Organ des Staates