schließen

Fehler melden / Feedback

Angezeigte SeitenWahlperiode 12, Band VI/1, Seiten 38 und 39 (wp12b6_1_0043)
betrifft 1)
Fehlerart 1)Seiten-Überschrift falsch
Seiten-Nummer falsch
Seiten-Nummer-Position falsch (rechts/links)
falsches Bild / Bild fehlt
Seite wird nicht angezeigt
Fehler im Text
Formatierung falsch
nicht aufgeführter Fehler / nur Feedback
Ihr Name
Erklärung/Feedback 1)
(nur erforderlich, falls
nicht aufgeführter
Fehler
oder nur Feed­back)
Ihre E-Mail-Adresse 2)
1)  erforderlich
2) für Rückfragen, empfohlen
   
Wahlperiode 12, Band VI/1, Seiten 38 und 39
38
Protokoll der 56. Sitzung

gelten lassen. Und dieser Unterschied ist lebensnotwendig für eine freie
Gesellschaft. Was dann aus der Freiheit gemacht wird, ist eine ganz andere
Sache.

Dann wurde beanstandet, daß ich gesagt habe, daß einzelne Personen durch
den Staatssicherheitsdienst erpreßt wurden, sei ein Vorgang, den nicht die
Kirche selbst zu verantworten hat. Natürlich betrifft das auch die Kirche.
Nach evangelischem Verständnis ist es ja nicht so, wie Pius XII. das einmal
behauptet hat: Wenn einzelne ihrer Glieder sündigen, dann berührt das
die mater ecclesia nicht, sie erstrahlt trotzdem in ihren Sakramenten usw.
Das ist katholisch; das ist nicht evangelisch. Das berührt uns schon gar
sehr. Aber es stimmt nicht, daß das Verhalten der Erpreßten sozusagen als
Verhaltensmaßstab durchschimmerte und dadurch pseudomoralische Maßstäbe
setzte. Es durfte ja gar nicht durchschimmern. Es mußte ja geheimgehalten
werden.

Hatte die evangelische Kirche eine eigene deutschlandpolitische Rolle ge-
spielt? Sie hat, sie hat es zumindest versucht. Otto Dibelius hat das mit
großer Leidenschaft getan, Hanns Lilje, der Hannoveraner Landesbischof,
auch. Auch Kurt Scharf war in dieser Sache sehr engagiert – jeder wieder
anders – und in der Zeit des Kirchenbundes Manfred Stolpe. Man mag gegen
ihn und über ihn sagen, was man will. Er hat auf seine Weise leidenschaftlich
Deutschlandpolitik im Mantel des Oberkonsistorialrates getrieben. Er hat zum
Beispiel in meiner eigenen Wohnung in Tübingen dafür plädiert, daß das
Wiedervereinigungsgebot aus der Verfassung gestrichen werden soll, aber mit
Begründung. Ich war nicht dafür, aber hören Sie doch auch seine Begründung.
Er sagte: „Solange dies da ist, dieses Gebot, hängt das wie ein Damokles-
schwert über den östlichen Funktionären.“ Das zu beenden war sein Ziel. Und
wir kommen nicht zu einer Konföderation beider deutscher Staaten, weil die
sich schon von Anfang an gar nicht darauf einlassen. Dieses Gebot heißt ja
für sie selbst: Dann sind wir weg. Nun sind sie auch weg. Es ist ja auch so
gekommen, Gott sei Dank. Aber unter den damaligen Auspizien war auch
das durchaus ein Denkmodell, zumindest: ob nicht beide deutsche Staaten im
Sinne einer Konföderation enger zusammenkommen könnten. Man sollte nicht
alles aus der heutigen Perspektive beurteilen. Aber wenn zwei dasselbe tun,
sagt schon ein lateinisches Sprichwort, ist es nicht notwendig dasselbe.

Es gab so etwas wie die Versuche einer gesamtdeutschen Politik auch von
seiten der Kirche. Sie ist nur im Detail erfolgreich gewesen. Auch da werden
die Meinungen sofort auseinandergehen, ob z. B. der Freikauf von Menschen
eine erfolgreiche Deutschlandpolitik war. Wenn man die Menschen kennt, die
freigekauft wurden, wird man dazu ja sagen. Wenn man nur das Problem
sieht und nicht die Menschen, sagt man vielleicht eher nein. Ob solche
politischen Optionen eher politisch begründet waren, eher kirchenpolitisch
oder eher theologisch, das müssen Sie die Betreffenden selber fragen. Fragen

39
Haltung der evang. Kirchen zum SED-Staat

Sie Pastor Hamel, fragen Sie Bischof Krusche, die ja agiert haben und die
aus authentischerem Urteil als ich hier reden können.- Damit habe ich es nun
doch geschafft, alle Fragen zu beantworten. (Beifall)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Herzlichen Dank, Herr Professor. Nur mit
Zagen wage ich es, Ihnen an einer Stelle zu widersprechen und an einer Stelle
zu ergänzen. Wenn ich richtig informiert bin, hat es eine solche Schönherrsche
Sonderregelung in Berlin nicht gegeben. Das zweite ist, Sie haben, wenn ich
mich richtig entsinne, vorhin die Ausbildungsmöglichkeiten aufgeführt, die
zum evangelischen Pfarrer führten. Da gab es auch noch zwei theologische
Fachschulausbildungsstätten, eine hier in dieser Stadt und eine in Berlin. Als
nächstes bitte ich den schon mehrmals genannten jetzigen Pfarrer in Ruhe,
den Bruder Hamel, um das Wort. (Beifall)

Pfarrer D. Johannes Hamel: „Evangelische Christenheit unter der marxi-
stisch-leninistischen Diktatur 1945–1989, Bewährung und Versagen“ – ich
habe mir gestattet, meinen Titel zu ändern. Ich habe ganz bewußt den
Lutherschen Ausdruck „Christenheit“ aufgegriffen. Der Blick soll also nicht
gerichtet werden auf die Sprecher der Kirche, die Gremien der Kirche, die
Verwaltung der Kirche, sondern auf uns selbst. Wir sind die Kirche, die
evangelische Christenheit.

Vor einigen Monaten hielt der bekannte anglikanische Pfarrer Paul Oestreicher
einen Vortrag über die Kirche in der DDR und erwähnte für diesen östlichen
Teil Deutschlands die Bezeichnung „Gottes geliebte Ostzone“. Eine wohl
jüngere Journalistin kommentierte in der Kirchenzeitung, offenbar habe der
Redner einen Witz machen wollen. Aber das Wort ist viel älter. Im Januar
1951 erschien im „Schweizer evangelischen Pressedienst“, der in der DDR
weit verbreitet war, ein Bericht aus der Ostzone von einem dort nicht
genannten Pfarrer. Er habe neulich von einem Theologiestudenten in Basel,
der für ein Jahr außerhalb der Ostzone studiere, einen Brief erhalten, in
dem er dankbar von jener anderen Welt erzähle, in der er für ein Jahr
sorgenfrei leben dürfe. Es sei ihm aber gerade dort aufgegangen, welche
Gaben Gott uns in der Ostzone dauernd schenke, und er meine, man solle
nicht mehr von „Ostzone“, sondern von „Gottes geliebter Ostzone“ reden.
Der Briefschreiber kehrte nach einem Jahr in die DDR zurück, wurde dort
Pfarrer, ein fröhlicher Pfarrer, und lebt jetzt als Pensionär in Chemnitz. Aber
wie konnte die Sowjetzone, wie der Bonner Kanzler Ostdeutschland bis in die
sechziger Jahre zu bezeichnen pflegte, von jenem Studenten „Gottes geliebte
Ostzone“ genannt werden? Sie war ein Staat, in dem jedermann rund um die
Uhr Menschen begegnete, begegnen mußte, die in irgendeiner Form offene,
mitunter verdeckte Repräsentanten der Machthaber waren, sein wollten oder
sein mußten. Jedermann hatte es, wenn auch indirekt, täglich, laufend mit
dem Politbüro und der von ihm eingesetzten, geleiteten und kontrollierten