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Wahlperiode 12, Band VI/1, Seiten 46 und 47
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Protokoll der 56. Sitzung

nicht auswählen. Warum verhielt sich der Bischof so? Hinterher erfuhren wir
amtlich: Er wollte dieses Mal zur Wahl gehen, mit der Begründung, die
Gesprächslage zwischen Staat und Kirche nicht verschlechtern zu wollen.
Aber vorher wollte er mit Rücksicht auf viele Kirchenglieder, die wieder
nicht zur Wahl gehen würden, eine feierliche Erklärung über deren Loyalität
durch den Mächtigen hören, denn er sah voraus, daß sein Gehen zur Wahl
als propagandistische Akklamation des DDR-Systems und als Mißbilligung
aller Nichtwähler mißbraucht werden würde, was dann auch nach den Wahlen
passierte, an denen er sich aus Diplomatie, trotz fehlender Zusage des
Mächtigen, beteiligte.

Warum antwortete er dem Mächtigen damals nicht? Er konnte es ja wegen
seines diplomatischen Tricks nicht, den er vorhatte. Er konnte ja nicht
entgegnen: „Nein, diese Wahlen sind keine gute Sache“. Schlimmer als dieses
Mißlingen seiner Diplomatie war etwas anderes. Eine Sternstunde war verpaßt.
Natürlich hätte ein offenes Gespräch an diesen Wahlen, an deren gesteuertem
Verlauf, nichts geändert, aber die Unterredung hätte zu einem Gespräch über
die Zentralfragen der Menschlichkeit und Mitmenschlichkeit im politischen
Raum und über die Reichweite des Evangeliums bis hin in diesen Raum
führen können. Aber wir waren alle in dieser Stunde nur Schwarzröcke oder
nur Kirchenbeamte, die ihre Kirche und den Fortbestand ihrer Betätigung
sichern wollten und damals nicht eingriffen, als ein Bischof heuchelte wie
Petrus nach Gal 2. Ich kann mich am wenigsten entschuldigen, denn seit
meiner Studienzeit 1933 war ich diesem Bischof wie einem väterlichen Freund
verbunden. Er hätte mein kritisches Eingreifen auch ihm gegenüber respektiert
und toleriert, wie er das in seiner Amtszeit mehreren seiner Kritiker gegenüber
immer wieder vorbildlich getan hat. Ob als geschmähter Pfarrer unter den
Nazis, ob in grauenhaften Zeiten 1945/47 unter den Schikanen der Russen
in Ostpreußen, er blieb ein menschlicher Mensch auf der Jagd nach dem
wirklichen Evangelium, das uns alle als verlorene Sünder entlarvt, gerade
wenn wir treue Boten sind für viele.

Der erwähnte Mächtige überlebte die Wende und starb im Frühjahr 1990.
Acht Tage vor seinem Tode hat er eine Botschaft hinterlassen, in Gestalt eines
von ihm unterzeichneten Interviews im Spiegel, das dann kurz nach seinem
Tode publiziert wurde. Aus dem Interview: Frage: „War Ihre Schuld größer
als die Schuld anderer Spitzenfunktionäre der SED, denn viele haben von
Ihnen mehr erwartet als von anderen?“ Seine Antwort: „Was ich mir selbst
vorwerfe, ist die strikte Parteidisziplin, an der ich mein ganzes politisches
Leben gehangen habe, bis zum bitteren Ende. Ich habe in den 40 Jahren immer
auf Schwachstellen und auf Fehler hingewiesen, habe Verbesserungen und
Reformen verlangt, aber ich habe mich allzuoft damit abgefunden, daß meine
Kritik abgewehrt wurde, meine Vorschläge verworfen wurden. In der Disziplin,
mit der ich diese Einstellung vor mir selbst begründete, steckt natürlich ein

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Haltung der evang. Kirchen zum SED-Staat

gehöriges Stück Opportunismus. Und weil ich mir weit mehr Kritik hätte
erlauben können als andere, empfinde ich wahrscheinlich mehr Schuld als
andere.“ Schon als junger Mensch hatte er sich, in einem sozialdemokratischen
Elternhaus aufgewachsen – sein Vater war SPD-Abgeordneter im Kaiser-
reich –, dem Marxismus-Leninismus in Theorie und Praxis anvertraut und war
darum als Primaner 1932 – nicht 1933–1932 von der Schule entlassen worden
und hat das NS-Reich im wesentlichen im Zuchthaus verbracht – 12 Jahre.
Nun stand er als alter Mann vor dem totalen Scherbenhaufen dessen, was er
ein Leben lang glaubte und verwirklichen wollte. Wenn ein solcher Mensch
sich dann so äußert – Ehre dem Andenken Horst Sindermanns.

Zum Schluß: „Es sind Letzte, die werden die Ersten sein“, sagt Jesus (Lk 13).
Wir waren uns am Anfang der siebziger Jahre ein einziges Mal begegnet. Wie
mir der Bischof einer Landeskirche in der DDR schon vorher mitteilte, sollte
er meinen Synodalvortrag abhören und dann seinen Oberen berichten, was
der Feind der DDR, als solcher galt ich spätestens seit 1968, wie er mir viel
später schrieb, gesagt habe. Wenig später forderten die Räte der Bezirke von
Magdeburg und Halle von der Kirchenleitung meine Entlassung als Dozent an
der Kirchlichen Hochschule in Naumburg, wenn auch ohne Erfolg. 1990 trafen
wir uns zufällig bei einer Tagung wieder. Er war seit 1972 die Funktionärsleiter
sehr hoch empor geklettert und 1990 entsprechend abgestiegen. Ich: „Wir
kennen uns doch, Herr ...“ Er: „Mensch, Johannes Hamel, daß ich Sie in
diesem Leben noch einmal sehe, ist mir eine ungeheuere Freude. Ich schäme
mich vor Ihnen.“ Antwort: „Und ich mich vor Ihnen.“ Und dann haben wir
in den nächsten Tagen lange miteinander gesprochen, vor allem über meinen
Satz, denn wie wenig, wie ungenügend, wie halbherzig habe ich gemäß dem
Satz Gustav Heinemanns gedacht, gesprochen und gehandelt: „Jesus Christus
ist nicht gegen Karl Marx, sondern für uns alle gestorben.“ (Beifall)

Vorsitzender Rainer Eppelmann: In Absprache mit dem Leiter der Vorbe-
reitungsgruppe möchte ich den nächsten Referenten bitten, weil wir dann eine
Chance haben, in etwa zumindest im Zeitrahmen zu bleiben. Ich bitte Herrn
Prof. Beintker ums Wort.

Prof. Dr. Michael Beintker: Herr Landtagspräsident, Herr Vorsitzender,
ich habe gegenüber dem ausgedruckten Thema eine leichte Variation, die
auf eine Vorabsprache zurückgeht, vorgenommen. Ich werde weniger über
die Barmer Theologische Erklärung sprechen, vielmehr über das Verhältnis
zwischen der Stuttgarter Schulderklärung und dem Darmstädter Wort des
Bruderrates der Bekennenden Kirche. Und ich werde methodisch so vorgehen,
daß ich zunächst die deutschlandpolitischen Optionen, die schon angefragt
waren, in den knapp 45 Jahren des Nachkriegsprotestantismus in Deutschland
untersuche. Mir ist dabei deutlich geworden, daß man hier nicht nur von
den Kirchen in Ostdeutschland sprechen kann, sondern im Grunde ein