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Wahlperiode 12, Band VII/1, Seiten 14 und 15
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Protokoll der 67. Sitzung

legalen Opposition im Sozialismus wurde bis zuletzt als „konterrevolutionäre
Forderung“ verunglimpft.

Das ist ja leider auch heute noch im Sprachgebrauch so manches unserer
Menschen drin. Ich erinnere mich an die Gründung eines Traditionsverbandes
ehemaliger Offiziere der Nationalen Volksarmee, die in einem öffentlichen
Aufruf das, was im Herbst 1989 bei uns passierte, als „Konterrevolution“
verunglimpften. Geschrieben im Dezember 1993!

Es kennzeichnet die Herrschaftsverhältnisse in der DDR, daß seit ihrer
Gründung bis zum Sturz Erich Honeckers Opposition in der Volkskammer nur
ein einziges Mal zu verzeichnen war, nämlich am 9. März 1972, als das Gesetz
über die Unterbrechung der Schwangerschaft gegen 14 Nein-Stimmen und bei
8 Stimmenthaltungen verabschiedet wurde. Und selbst hier – so ist mir erzählt
worden – sollen sich die betreffenden Abgeordneten zuvor vorsichtig erkundigt
haben, ob ihnen aus solcher abweichenden Stimmabgabe nicht persönlicher
Schaden erwachse! Nein – ihre Verweigerung in diesem einen Falle war
aus politischen Gründen von den Machthabern sogar gewünscht. Die CDU
sollte in den Augen der Kirchen als ein verläßlicher und ihnen nahestehender
Gesprächspartner wachsen.

Angesichts der Vielfalt möglicher Verhaltensweisen in einer Diktatur sind
Opposition und Widerstand – ich deutete es schon an – einer allgemeinen
Begriffsbestimmung weithin entzogen. Martin Broszat operierte in seinen
Forschungen zu Opposition und Widerstand unter dem NS-Regime mit dem
Begriff der Resistenz. Sie bedeutete für ihn allgemein „wirksame Abwehr, Be-
grenzung, Eindämmung der NS-Herrschaft oder ihres Anspruchs, gleichgültig
von welchen Motiven, Gründen und Kräften her.“ Diese Definition läßt sich
analog auch auf die SED-Herrschaft übertragen. Die Begriffe „Opposition“
und „Widerstand“ gebrauchte Broszat übrigens gleichwertig.

Karl Wilhelm Fricke, der uns nachher den Eröffnungsvortrag halten wird,
gebraucht diese Begriffe synonym für politische Gegnerschaft, wobei er
Opposition als politische Gegnerschaft begreift, „die sich relativ offen, relativ
legal zu entfalten versucht“, während dem Widerstand „jede Möglichkeit zu
offener und legaler Entfaltung von vornherein genommen ist“.

Christoph Kleßmann definiert politische Opposition in der DDR als „eine
zumindest ansatzweise organisierte Form der Abweichung von der herr-
schenden politischen Linie mit erkennbaren ideologischen und politischen
Alternativkonzepten“, wohingegen er Dissidenz als „bewußte, wenn auch
partielle Verweigerung und Abweichung“ sieht, durchaus unterschieden von
dem Begriff der Resistenz, wie Broszat ihn bestimmt hat.

Hans-Adolf Jacobsen, wie Karl Wilhelm Fricke auch ein Mitglied unserer
Enquete-Kommission, unterscheidet im Hinblick auf den Nationalsozialismus
„passiven Widerstand“, soweit Selbstbehauptung von Gruppen und Insti-
tutionen, weltanschaulicher Dissens, innere Emigration, Verweigerung und

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Widerständiges und oppositionelles Verhalten

bewußte, regimeschädigende humanitäre Hilfe vorliegen, und „aktiven Wider-
stand“, der als unbedingte Gegnerschaft das System auf jede nur erdenkliche
Weise offensiv, konspirativ oder indirekt bekämpft, um qualitative Änderungen
und schließlich den Sturz der Unrechtsherrschaft zu erwirken. Auch diese
Begriffsbestimmung hilft, den Widerstand in der DDR zu erfassen.

In ihrer historischen Vielfalt reichten die Möglichkeiten und Formen opposi-
tionellen und widerständigen Verhaltens in der DDR von der Verweigerung
bis zum spontanen Protest, vom bewußten, demonstrativen Aufbegehren bis
zu innerparteilicher Opposition, von der offenen Bildung von Bürgerinitiativen
bis zum Widerstand, der sich konspirativ sammelte und aktiv handelte.

Es charakterisiert die Widersprüchlichkeit des Regimes, wenn das Strafge-
setzbuch der DDR einen Paragraphen enthielt, wonach Freiheitsentzug bis zu
zwölf Jahren zu gewärtigen hatte, „wer dazu auffordert, Widerstand gegen
die sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung zu leisten.“ Hier wurde
mit Sanktionen belegt, was im Staat der SED eigentlich gar nicht existieren
durfte, weil es „keine objektiven politischen oder sozialen Grundlagen“ dafür
gab.

Nach so viel theoretischem Einstieg wollen wir aber nun sehr rasch und
energisch konkret werden. Ich danke all denen, die sich als Wissenschaftler
und vor allem als Zeitzeugen bereiterklärt haben, uns bei unseren Fragen
nach den Motivationen, Möglichkeiten und Grenzen widerständigen und
oppositionellen Verhaltens in der DDR behilflich zu sein.

Ich möchte Karl Wilhelm Fricke bitten, das Wort zu nehmen.

Karl Wilhelm Fricke (mit Beifall begrüßt): Herr Oberbürgermeister! Herr
Vorsitzender! Verehrte Abgeordnete! Liebe Gäste! Mit dem, was Rainer
Eppelmann hier zur Begriffsbestimmung von Opposition und Dissidenz,
Resistenz und Widerstand in der DDR ausgeführt hat, kann ich mich
so uneingeschränkt identifizieren, daß ich auf eigene Definitionsversuche
verzichten möchte. Sie blieben nach meiner Auffassung ohnehin fragwürdig,
weil sich Geschichte, auch die Geschichte von Opposition und Widerstand in
der DDR, als dialektischer Prozeß vollzieht und daher letztlich kaum definieren
oder gar in das Prokrustesbett einer Theorie zwingen läßt.

Ich halte es deshalb mit dem Berliner Historiker Peter Steinbach, der im
Blick auf den Widerstand unter dem Hakenkreuz-Regime einmal geschrieben
hat, daß „nicht primär eine historisch gesättigte Theorie des Widerstands
anzustreben“ sei, „sondern eine möglichst farbige, inhaltlich und historisch
differenzierte Gesamtgeschichte des Widerstands.“

Eine solche Gesamtgeschichte wäre ein wichtiger Beitrag der Historiker
zu einer Theoriebildung oder, zumindest, zu einer Begriffsbestimmung von
Opposition und Widerstand auch unter dem Regime der SED. Welche
historischen Sachverhalte und Verhaltensweisen aus der Nachkriegszeit in der