schließen

Fehler melden / Feedback

Angezeigte SeitenWahlperiode 12, Band IX, Seiten 36 und 37 (wp12b9_0040)
betrifft 1)
Fehlerart 1)Seiten-Überschrift falsch
Seiten-Nummer falsch
Seiten-Nummer-Position falsch (rechts/links)
falsches Bild / Bild fehlt
Seite wird nicht angezeigt
Fehler im Text
Formatierung falsch
nicht aufgeführter Fehler / nur Feedback
Ihr Name
Erklärung/Feedback 1)
(nur erforderlich, falls
nicht aufgeführter
Fehler
oder nur Feed­back)
Ihre E-Mail-Adresse 2)
1)  erforderlich
2) für Rückfragen, empfohlen
   
Wahlperiode 12, Band IX, Seiten 36 und 37
36
Protokoll der 13. Sitzung

Herr Schaefgen – Herr Schroeder, erlauben Sie mir, darauf kurz einzugehen
– hat ja auf das Unrecht durch Rechtsprechung hingewiesen. Da ist gerade
meine Kritik wieder sehr notwendig, wie mir scheint. Er fragt ja: Was sollen
wir denn machen? Erst einmal muß ein Vorsatz nachgewiesen werden; sonst
können wir keinen wegen Freiheitsberaubung – ich nehme jetzt einmal den
Fall, daß verurteilt und eingesperrt wird – verurteilen. – Worauf beruht denn
das? Das beruht darauf, daß der große Radbruch diesen Satz aufgestellt hat,
und Radbruch sagt: Das soll die Unabhängigkeit des Richters schützen. – Jetzt
haben wir aber keine unabhängigen Richter. Nun fühlen wir uns aber dadurch
gebunden, daß zwischendurch der Bundesgerichtshof diese Radbruchsche
Formel, weil in § 336 StGB das so steht, auf Nichtrichter erweitert hat.

Jetzt kann es für die Rechtsprechung gar keine andere Lösung geben, finde
ich, als zu erkennen, daß hier ein Irrweg beschritten worden ist. Dieser Satz,
der dazu da war, Richter zu schützen, war damals schon falsch; denn er
hat NS-Richter dort geschützt, wo sie gerade nicht unabhängig entschieden
haben. Wir sollten jetzt auch einmal klarmachen, daß es nur zweier Schritte
bedarf, Herr Schaefgen. Der erste wäre zu sagen: Die Radbruchsche Formel
ist nicht auf Nichtrichter anwendbar. – Der zweite Schritt wäre zu sagen: Sie
ist nur auf unabhängige Richter anwendbar. – Nun mache man mir klar, daß –
Sie haben selbst die Entscheidungen genannt – diese Entscheidungen als von
unabhängigen Richtern gefällt angesehen werden können nach dem, was wir
über den Status der Richter, über Einflußmöglichkeiten, über ihre Sozialisation
wissen.

Dann, glaube ich, kämen wir auch in dieser Sache zu einer anderen
Beurteilung. Wir würden nämlich die Richter verurteilen wegen dessen, was
sie getan haben, Freiheitsberaubung usw., und nicht wegen der Sache, die wir
aus unserer Rechtsprechung erst dahin transportieren.

Das nur zu dieser Sache.

Gesprächsleiter Prof. Dr. Friedrich Christian Schroeder: Vielen Dank,
Herr Wassermann. – Ich möchte doch darum bitten, daß wir die Frage
des Richterprivilegs hier zunächst einmal ausklammern. Es stellen sich ja
die gleichen Probleme, weil der Richter ja einen Rechtfertigungsgrund hat,
selbst wenn man ihn nicht wegen Rechtsbeugung verurteilt. Er hat denselben
Rechtfertigungsgrund, den auch Honecker und die Mauerschützen für sich in
Anspruch nehmen. Der Unterschied liegt eigentlich nur darin, ob der direkte
Vorsatz erforderlich ist oder nicht.

Ich meine, daß wir doch noch einmal zu dem Kernproblem zurückkehren
sollten. Ich frage Sie, Herr Schroth: Meinen Sie, daß, was die kritischen
Argumente angeht, von Herrn Dencker noch nicht alles gesagt wurde?

Prof. Dr. Ulrich Schroth: Ich möchte zunächst einmal noch etwas zu
der Argumentation von Herrn Dencker nachschieben und möchte dann

37
Regierungskriminalität und justitielle Aufarbeitung

versuchen, einen Weg dafür aufzuzeigen, wie man mit diesen Sachen vielleicht
einigermaßen sinnvoll umgeht.

Herr Dencker hat absolut recht in der Position, glaube ich, daß man nur dann
zu einer Bestrafung kommen kann, auch in den Mauerschützensachen, wenn
man eine Strafbarkeit in der DDR tatsächlich begründen kann. An diesem
Grundprinzip darf man nichts ändern; es sei denn, man ist bereit, auch das
Grundgesetz zu ändern, wie Sie ja gesagt haben. Das heißt: Um bestrafen zu
können, brauchen wir a) eine Strafbarkeit in der DDR zum Tatzeitpunkt und
b) eine Strafbarkeit zum heutigen Zeitpunkt.

Dann ist die Frage: Wie kann man dazu kommen? – Ob man, Herr
Wassermann, wie Sie gesagt haben, über den Ordre-public-Vorbehalt dazu
kommen kann, da habe ich auch erhebliche Bedenken. Ich muß dazu auch
eines sagen: Das Bundesverfassungsgericht hat bisher nicht entschieden – ich
habe vor dieser Veranstaltung extra noch einmal nachgeguckt –, daß über den
Ordre-public-Vorbehalt der Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz eingeschränkt werden
darf. Eine derartige Entscheidung gibt es bis zum heutigen Zeitpunkt nicht.

Wie kommt man also trotzdem insoweit eventuell zu einer Strafbarkeit? – Da-
für gibt es nach meiner Ansicht zwei Methoden. Die erste Methode wäre die:
Man erklärt den § 27 Grenzgesetz für verfassungswidrig mit der Begründung,
er verstoße gegen grundsätzliche Menschenrechte. – Dabei geraten wir aber in
erhebliche Schwierigkeiten gerade mit unserem Grundgesetz, auch wenn wir
z. B. die Radbruchsche Formel anwenden, wenn gesetzliches Recht Unrecht
ist, also in dieser Gestalt jedenfalls nichtig ist, und zwar deswegen, weil der
Parlamentarische Rat das Recht zur Auswanderung ausdrücklich abgelehnt
hat. Der hatte nämlich Angst, daß sich in der Nachkriegszeit zu viele Leute
fortbewegen. Das muß man ausdrücklich sagen. Unser Parlamentarischer Rat
hat das Recht auf Auswanderung ausdrücklich im Grundgesetz abgelehnt.

(Dr.h.c. Rudolf Wassermann: Aber sie haben es doch!)

– Man hat es inhaltlich,

(Dr.h.c. Rudolf Wassermann: Das ist doch entscheidend!)

aber die Frage ist doch immer noch, wenn Sie mit Radbruch sagen, dieses
Gesetz sei nichtig: Wie begründe ich dies? Man kann es eigentlich nur so
begründen, denke ich, wie Herr Dencker das gesagt hat, daß man sich nämlich
auf den Standpunkt stellt, daß es irgendwo ein Naturrecht auf Ausreise gibt. –
Das kann man in dieser Art und Weise machen. Das ist aber ein gewagter
rechtstheoretischer Standpunkt. Ich bin ja von Hause aus – Herr Schroeder,
Sie haben mich auch so angekündigt – eigentlich nur Rechtsphilosoph. Die
Diskussion darüber, ob man dies so begründen kann, würde ich gern einmal
mit Ihnen führen; das ist aber eine eigene Debatte.

Ich denke mir: Diese Sache steht auf wackligen Füßen. Außerdem muß ich
folgendes sagen: Selbst wenn man sich auf den Standpunkt stellt, es sei

Datenschutz-Übersicht

Diese Website verwendet Cookies, damit wir Ihnen die bestmögliche Benutzererfahrung bieten können. Cookie-Informationen werden in Ihrem Browser gespeichert und führen Funktionen aus, wie das Wiedererkennen, wenn Sie auf unsere Website zurückkehren, und hilft unserem Team zu verstehen, welche Abschnitte der Website für Sie am interessantesten und nützlichsten sind.