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daß diese Fragen auf der Tagesordnung der parlamentarischen Beratung ver-
bleiben müssen (Stenographischer Bericht 175. Sitzung des Deutschen Bun-
destages am 15. Mai 1997, S. 15804 f. [Abg. Dr. Luther], S. 15808 [Abg. Prof.
Dr. Ortleb]). Sie haben auch auf die haushaltsbedingten Grenzen materieller
Rehabilitierungsleistungen des Staates hingewiesen, zu denen die SPD keine
Alternative aufzeigen konnte.
Auch die Schlußfolgerungen der SPD zur Situation bei der Anerkennung ge-
sundheitlicher Haftfolgeschäden sowie zur Akzeptanz insbesondere des
VwRehaG und des BerRehaG seitens der Betroffenen sind unseriös, da noch
keine praktischen Erfahrungen mit den im Bericht genannten erheblichen Än-
derungen beider Gesetze im Jahr 1997 vorliegen.
Es ist bedauernswert, daß die SPD den sensiblen Bereich der Rehabilitierung
von Opfern der SED-Diktatur für wahltaktische Ziele instrumentalisiert.
Wir weisen das vorstehende Sondervotum der SPD zum Berichtsteil B.I.1.2.
zurück.
2. Elitenwechsel – Übernahme von Personal in den öffentlichen Dienst
2.1 Die Problematik des Elitenwechsels im Prozeß der deutschen Einheit –
Ausgangssituation und Untersuchungsgegenstand
Der Wechsel von einem diktatorischen System zu einem demokratischen
Rechtsstaat erforderte den umgehenden Aufbau eines funktionsfähigen öffent-
lichen Dienstes in den neuen Ländern, dessen Personal das neue System trägt
und den Bürgern Rechtsstaatlichkeit und Rechtssicherheit vermittelt. Der Staat
wird durch sein Personal in Verwaltung und Justiz repräsentiert. Das Maß sei-
ner Akzeptanz bei der Bevölkerung ist von dem Auftreten und dem Ansehen
dieses Personals abhängig. Der Systemwechsel mußte den Bürgern in den neu-
en Ländern durch den Austausch der bisherigen Eliten in Verwaltung und Ju-
stiz und eine gewandelte Personalpolitik, die deren Mitwirken und den Zugang
zu öffentlichen Ämtern ermöglicht, vermittelt werden. Von den Vorgaben des
Gesetzgebers mußte also eine deutliche politische Signalwirkung für einen
wirklichen Neuanfang ausgehen.
Die DDR beschäftigte im Jahr 1989 nach Schätzungen etwa 2,25 Millionen
Staatsbedienstete einschließlich „bewaffneter Organe“, Reichsbahn und Post.
Das entsprach bei einer Bevölkerung von 16 Millionen Menschen einem An-
teil von ca. 14,5 Prozent. In der alten Bundesrepublik betrug dieser Anteil nur
7,9 Prozent. Mit diesen Strukturen konnte der Wandel zu einer rechtsstaatli-
chen Verwaltung nicht bewältigt werden. In der DDR fehlten ein föderaler
Verwaltungsaufbau und eine leistungsfähige Kommunalverwaltung ebenso
wie beispielsweise ein Vermessungs- und Katasterwesen oder Grundbuchäm-
ter. Umweltbehörden und eine funktionierende Arbeitsverwaltung waren nicht
vorhanden. Vor allem gegenüber der Lehrerschaft und der Volkspolizei, die
über Jahrzehnte besondere Stützen des SED-Regimes gewesen waren, hegten
viele Bürger Mißtrauen. Das Personal in Behörden, Staatsanwaltschaften und
an den Gerichten der DDR war von den während der 40jährigen SED-Diktatur
entwickelten Mechanismen der Elitenrekrutierung geprägt. Zur Durchsetzung
ihres allumfassenden Herrschaftsanspruchs hatte die SED-Diktatur das Berufs-
beamtentum abgeschafft. Alle Beschäftigten, Staatsanwälte und Richter waren
nach den Prinzipien der „Einheit der Staatsgewalt“, der „führenden Rolle der
Partei der Arbeiterklasse“ und des „demokratischen Zentralismus“ ausgebildet
worden. Die Kader hatten über lange Zeit verläßlich die von der Staats- und
Parteiführung vorgegebenen gesellschaftlichen Ziele verwirklicht. Sie unter-
standen in der DDR einer ständigen systemimmanenten Kontrolle, die ihr be-
dingungsloses Einfügen in den Staatsapparat sicherstellte.
Seit Anfang 1990 hatte es Hilfestellungen aus den westlichen Ländern gege-
ben, die in der Schlußphase der DDR den Aufbau erster kommunaler Verwal-
tungsstrukturen, die Vorbereitung des Aufbaus der Länderverwaltungen und
die Umsetzung der Politik der demokratisch gewählten Volkskammer erleich-
tert haben. Eine Transformation des durch das Nomenklaturkadersystem und
das Prinzip der Gewalteneinheit geprägten zentralistischen Staats- und Ver-
waltungsapparates der SED-Diktatur zu einer rechtsstaatlichen und von der
Bevölkerung geachteten Behördenstruktur konnte bis zum Oktober 1990 nur
begonnen werden. Die von der Modrow-Regierung erlassene Verordnung zur
Arbeit mit Personalunterlagen vom 22. Februar 1990 (DDR-GBl. I S. 84) hatte
einem großen Teil der Beschäftigten, den Richtern, Staatsanwälten und Solda-
ten die Möglichkeit zur eigenhändigen Tilgung belastender Personalunterlagen
eröffnet. Das erregte nicht nur tiefes Mißtrauen in der Bevölkerung gegenüber
den Repräsentanten von Gesetzgebung und Verwaltung, sondern verstärkte
auch die in der Bundesrepublik bestehenden Vorbehalte gegen eine umfassen-
de Personalübernahme nach der Einheit. In vielen Bereichen des öffentlichen
Dienstes der DDR war es unterdessen bis zum Herbst 1990 zu erheblichen
Umstrukturierungen gekommen. In die aus den Ämtern für Arbeit und Löhne
hervorgegangene DDR-Arbeitsverwaltung waren seit dem Frühjahr 1990 zahl-
reiche Funktionsträger aus Parteien und Massenorganisationen übernommen
worden. Unter den rund 7.000 Angehörigen des seit März 1990 neu errichteten
DDR-Grenzschutzes, deren Übernahme in den Bundesdienst der Einigungs-
vertrag vorsah (Artikel 13 Abs. 2 und Protokoll I Nr. 3), befanden sich über
1.000 Mitarbeiter der ehemaligen Paßkontrolleinheiten (PKE), die in vollem
Umfang in die politisch-operative Tätigkeit des MfS eingebunden waren und
sich konspirativ-geheimdienstlicher Methoden zu bedienen gehabt hatten.
Zahlreiche MfS-Mitarbeiter und Angehörige der Kadernomenklatur wurden im
Jahr 1990 in DDR-Behörden unter Verschleierung ihrer bisherigen beruflichen
Laufbahn mit dem Ziel einer dauerhaften Weiterbeschäftigung im öffentlichen
Dienst „versteckt“.
Die nahtlose Übernahme der vorhandenen Verwaltungsstrukturen war daher
ebenso ausgeschlossen wie eine Weiterbeschäftigung allen am 3. Oktober
1990 vorgefundenen Personals. Die Entlassung aller Beschäftigten und ein