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allmählicher Neuaufbau von Verwaltung und Justiz hätte zu chaotischen Zu-
ständen geführt und das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat irreparabel
zerstört. Eine Ausfüllung aller Funktionen durch aus dem Westen kommende
Beschäftigte wäre weder möglich noch sinnvoll gewesen.
Um einen unmittelbaren Übergang zu einer rechtsstaatlichen öffentlichen
Verwaltung und einer unabhängigen Justiz zu erreichen, um den drohenden
Stillstand der Rechtspflege zu vermeiden und um den Bürgern Vertrauen in
den Rechtsstaat zu vermitteln, wurden in den Einigungsvertrag vor allem drei
Vorgaben aufgenommen:
- die Übernahme der in der Bundesrepublik Deutschland bewährten Struktu-
ren beim Aufbau der Verwaltung und der Justiz im Beitrittsgebiet, - der Abbau des zu hohen personellen Bestandes sowie
- die Entlassung ungeeigneten Personals.
Die Leistungsfähigkeit des Rechtsstaates bei der Transformation eines diktato-
rischen Systems in eine rechtsstaatliche Verwaltung und eine unabhängige Ju-
stiz hat die Enquete-Kommission näher untersucht, um auszuloten, ob es mit
den Mitteln des Einigungsvertrages gelungen ist, die singuläre Situation des
personellen Aufbaus einer demokratischen Verwaltung sowie einer unabhän-
gigen Justiz auf sozialverträgliche und gerechte Weise zu bewältigen, und ob
damit ein konsequenter Elitenwechsel sowie die Akzeptanz des Rechtsstaats
durch die Bürger erreicht wurden. Sie hat sich für die Umsetzung der Vorga-
ben des Gesetzgebers, insbesondere für die Wirksamkeit des einigungsvertrag-
lichen Sonderkündigungsrechts, sowie für den Einfluß der Rechtsprechung auf
den Transformationsprozeß interessiert.
Ein besonderes Augenmerk hat die Kommission zudem auf den Verbleib frü-
herer Funktionseliten der DDR und deren heutige soziale Stellung gerichtet.
Sie hat am Beispiel einer Landesverwaltung (Sachsen-Anhalt), einer kommu-
nalen Gebietskörperschaft (Stadt Rostock) und der Polizei der Länder unter-
sucht, ob ehemalige Nomenklaturkader auch heute noch entscheidenden Ein-
fluß auf das Verwaltungshandeln haben.
2.2 Einführung des Berufsbeamtentums in den neuen Ländern und Ausfüllung
der dafür vom Einigungsvertrag vorgegebenen Rahmenregelungen
Der Einigungsvertrag hat im Beitrittsgebiet das Beamtenrecht für die auf Dau-
er erforderlichen Funktionen der öffentlichen Verwaltung eingeführt (Artikel 3
i.V. m. den Artikeln 8, 20 Absatz 2 und Anlage 1) und damit die grundlegende
Systemwahl bei der Ausgestaltung des öffentlichen Dienstes im Sinne der
Übernahme des bundesdeutschen Modells getroffen. Mit der Einführung des
Berufsbeamtentums sollte ein rechtsstaatlicher, dem Leistungsgrundsatz unter-
liegender und dem Gemeinwohl verpflichteter öffentlicher Dienst gewährlei-
stet werden (Bundestagsdrucksache 11/7760 S. 364). Diese grundsätzliche ge-
setzgeberische Entscheidung, die Wahrnehmung hoheitlicher Aufgaben sobald
als möglich Beamten zu übertragen, entsprach dem in Artikel 33 Absatz 4
Grundgesetz niedergelegten Funktionsvorbehalt und war deshalb ebenso kon-
sequent wie zwingend. Entscheidungen und Regelungen, die gebietend oder
verbietend die Rechte und Freiheiten des Einzelnen berühren, müssen kraft
dieses Funktionsvorbehaltes durch die Amtsverantwortung eines Beamten ge-
tragen sein, der im besonderen Dienst- und Treueverhältnis zu seinem Dienst-
herrn demokratischer Kontrolle unterliegt. Für die Praxis boten sich damit er-
hebliche Gestaltungsspielräume und Reformchancen bei der Umsetzung der
einigungsvertraglichen Regelungen und zum Aufbau eines Berufsbeamten-
tums. Die Enquete-Kommission ist vornehmlich der Frage nachgegangen, in-
wieweit diese Spielräume und Chancen genutzt worden sind.
2.2.1 Aufbau des Berufsbeamtentums in den neuen Ländern
Mit den Übergangsbestimmungen des Einigungsvertrages konnte den Be-
schäftigten des öffentlichen Dienstes der ehemaligen DDR der Zugang zum
Beamtenverhältnis grundsätzlich gewahrt bleiben, obwohl sie den nur in der
Bundesrepublik Deutschland zu erwerbenden laufbahnrechtlichen Erfordernis-
sen zumeist nicht entsprachen. In der Bundesverwaltung und in den Verwal-
tungen der neuen Länder wurden auf diesem Weg nach Überprüfung der per-
sönlichen Eignung, Leistung und Befähigung zahlreiche aus den neuen Län-
dern stammende Beschäftige verbeamtet. Durch diese praktische Teilhabe der
Bürger der ehemaligen DDR an der Wahrnehmung öffentlicher Ämter ist eine
für die Akzeptanz der Verwaltung wie des Rechtsstaats schlechthin unver-
zichtbare Voraussetzung erfüllt. Die besonderen Regelungen des Einigungs-
vertrages zur Beendigung des Beamtenverhältnisses auf Probe haben sich in
der Praxis in Fällen bewährt, in denen sich erst nachträglich die mangelnde
persönliche Eignung von bereits beamteten Bewerbern erwiesen hat.
Der Bundesverwaltung und den neuen Ländern ist die Umsetzung der eini-
gungsvertraglichen Vorgaben zur Einführung eines Beamtenrechts nahezu rei-
bungslos gelungen, zumal inzwischen bereits Bewerber verbeamtet werden
konnten, die erst nach 1990 ihre Ausbildung in den neuen Ländern begonnen
haben. Der Aufbau des Berufsbeamtentums ist ebenso wie die Integration von
Beamten aus den neuen Ländern in bestehende Verwaltungen des Bundes, in
den Bundesgrenzschutz und die Bundeswehrverwaltung abgeschlossen. Die
Verankerung des Berufsbeamtentums ist in den Ländern weit fortgeschritten,
auf kommunaler Ebene jedoch noch keineswegs erreicht. Die Rahmenregelun-
gen des Einigungsvertrages zur Einführung des Berufsbeamtentums im Bei-
trittsgebiet konnten von Bund und neuen Ländern umgesetzt werden. Ein Be-
darf für gesetzgeberische Maßnahmen besteht nicht, die kommunalen Gebiets-
körperschaften werden jedoch noch Defizite zu beseitigen haben.