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Wahlperiode 13, Band I, Seiten 236 und 237
236
Enquete-Kommission

Das ist nicht unbedingt ein Nachteil, wie selbst der Blick auf die heute als pro-
blematisch empfundenen Fälle der Ahndung von Justizunrecht zeigt. Während
nach 1945 im Ergebnis kein einziger Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit
wegen eines unrechtmäßigen Todesurteils rechtskräftig verurteilt wurde, läßt
sich mit Blick auf die SED-Diktatur doch eine Reihe von strafrechtlichen Ver-
urteilungen wegen Rechtsbeugung u. a. ausmachen. Insgesamt fand unter an-
derem dadurch eine personelle Erneuerung statt.

 

3.2.3 Umgang mit der Amnestie

Was den Umgang der Bundesrepublik Deutschland mit der Frage einer Amne-
stie für regimegestütztes Unrecht anlangt, so lassen sich ebenfalls grundlegen-
de Unterschiede zwischen der Zeit nach 1945 und der Zeit nach 1990 feststel-
len. Während bereits fünf Jahre nach dem Zusammenbruch der NS-Diktatur
eine umfassende Amnestiebewegung einsetzte, in deren Verlauf die zivil- wie
die strafrechtlichen Sanktionen zurückgenommen oder überhaupt nicht mehr
verhängt wurden, ist die Strafverfolgung des von der SED-Diktatur gestützten
Unrechts auch neun Jahre nach ihrem Zusammenbruch noch in vollem Gange.
Das gilt – mit deutlich abnehmender Tendenz freilich – auch für die dienst-
und arbeitsrechtliche Aufarbeitung.

 

3.3 Rechtsvergleichende Betrachtung der justitiellen Aufarbeitung in Mittel-
und Osteuropa unter verfassungsrechtlichen und rehabilitationsrechtlichen
Gesichtspunkten

In nahezu allen Staaten des früheren kommunistischen Machtbereichs lassen
sich mehr oder weniger umfassende Ansätze zur Aufarbeitung der diktatori-
schen Vergangenheit ausmachen. Dabei ist die Bandbreite der Aufarbeitungs-
bemühungen freilich weit gespannt.

 

3.3.1 Ebene der Verfassung

Auf der ranghöchsten Ebene der Verfassungsgebung enthalten sich alle Länder
Mittel- und Osteuropas einer ausdrücklichen Stellungnahme zur kommunisti-
schen Vergangenheit. Häufiger sind dagegen punktuelle Verurteilungen ein-
zelner Unrechtskomplexe in besonderen parlamentarischen Gesetzen und Ent-
schließungen anzutreffen. Zu einer radikalen Globalabrechnung mit der kom-
munistischen Diktatur hat sich nur das tschechische Parlament mit dem sog.
Kommunistengesetz vom 9. Juli 1993 durchgerungen, welchem sich das slo-
wakische Parlament im März 1996 verbal angeschlossen hat. Auch in der Ver-
fassungsjudikatur hat das tschechische Verfassungsgericht die deutlichsten
Worte gefunden, um vom wertenden Standpunkt materieller Rechtsstaatlich-
keit aus die Illegitimität des totalitären kommunistischen Regimes zu verurtei-
len. Demgegenüber hat sich das ungarische Verfassungsgericht, das die Lega-

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Schlußbericht

lität des formellen Rechtsstaats stärker betont, mit Wertungen zurückgehalten,
ohne allerdings einen Zweifel daran zu lassen, daß der kommunistische Staat
kein Rechtsstaat war.

 

3.3.2 Strafrechtliche Aufarbeitung, Zugang zu öffentlichen Ämtern

3.3.2.1 Der Umgang mit den Tätern ist bisher fast überall durch Zurückhaltung
gekennzeichnet. Nicht die Rache, sondern das Bestreben nach nationaler Ver-
söhnung prägt das Bild. So wirken die Exkommunisten überall weiter, wenn
auch in bezug auf ihre demokratische Erneuerung und ihr politisches Gewicht
erhebliche Unterschiede festzustellen sind. In Rußland und der Ukraine, wo sie
nach dem August-Putsch 1991 verboten wurden, sind die kommunistischen
Parteien wiedererstanden und nehmen im Parteiensystem eine maßgebende
Stellung ein.

3.3.2.2 Über die strafrechtliche Verfolgung der kommunistischen Unrechtsta-
ten ist hauptsächlich in den mitteleuropäischen Ländern längere Zeit heftig
diskutiert worden; in der Praxis ist aber selbst dort wenig geschehen, wo die
gesetzlichen Voraussetzungen der Strafbarkeit geklärt worden sind. In dieser
Hinsicht bestehen in Tschechien die klarsten Verhältnisse, da die gesetzliche
Regelung, nach der die Verfolgungsverjährung bis Ende 1989 ruhte und einer
Strafverfolgung mithin nicht im Wege steht, vom Verfassungsgericht bestätigt
worden ist. Eine Klarheit im entgegengesetzten Sinne besteht in Ungarn, wo
verschiedentliche parlamentarische Vorstöße zur Beseitigung des Verjäh-
rungshindernisses am Widerstand des Verfassungsgerichts gescheitert sind.
Hier ist die Unverjährbarkeit auf die schweren Verbrechen beschränkt, die
auch nach Völkerrecht strafbar und unverjährbar sind. Praktische Auswirkun-
gen hat diese Rechtslage im Hinblick auf die 1956 begangenen Massener-
schießungen, deren strafrechtliche Verfolgung nunmehr im Gange ist. Der pol-
nische Sejm hat erst im Juli 1995 die Verjährungsfrage im tschechischen Sinne
geregelt, zu einem späten Zeitpunkt, zu dem die Frage in der Öffentlichkeit
kaum mehr eine Rolle spielte.

Die für die strafrechtliche Aufarbeitung in Deutschland wichtigste Frage, ob
die nach kommunistischem Rechtsverständnis nicht strafbaren Unrechtstaten
infolge des demokratisch-rechtsstaatlichen Wandels des Rechtsverständnisses
nachträglich strafbar geworden sind oder ob ihrer Strafbarkeit das Rückwir-
kungsverbot entgegensteht, wird dagegen in keinem anderen Land gestellt oder
auch nur diskutiert.

3.3.2.3 Die Täter kommunistischer Unrechtstaten werden in Mitteleuropa nur
vereinzelt und in Rußland sowie der Ukraine überhaupt nicht zur Verantwor-
tung gezogen. Hingegen ist ihnen der Zugang zu den höheren Ämtern in eini-
gen mittel- und osteuropäischen Staaten in etwas stärkerem Maße verwehrt
worden. Am entschlossensten ist dies mit dem tschechoslowakischen „Lustra-
tionsgesetz“ vom 4. Oktober 1991 geschehen, das in der Folgezeit allerdings
nur in der Tschechischen Republik konsequent durchgeführt worden ist, wäh-