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Wahlperiode 13, Band II/1, Seiten 42 und 43
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Protokoll der 40. Sitzung

rektur erkannter Defizite, die hier, im Gegensatz zu dem, was wir im Verwal-
tungsrecht gehört haben, im Kündigungsrecht eben stattgefunden hat. Ich be-
danke mich.

Gesprächsleiter Sv. Prof. Dr. Peter M. Huber: Vielen Dank, Frau
Schlachter. Nach dem verfassungsrechtlichen Dach und den beiden Aspekten
des Verwaltungs- und des Arbeitsrechts hören wir jetzt abschließend etwas
zum Strafrecht. Herr Marxen bitte.

Prof. Dr. Klaus Marxen: Darf ich kurz zum Zeitbugdet fragen? Vorhin war
von 18.35 Uhr die Rede, habe ich nur eine Halbzeit?

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Nein, vielleicht darf ich dazu für die Kol-
leginnen und Kollegen zur Information sagen, aus 18.35 Uhr ist inzwischen
19.10 Uhr geworden.

Prof. Dr. Klaus Marxen: Danke. Ich soll berichten über die strafrechtliche
Aufarbeitung. Das tue ich auf der Grundlage eines umfangreichen For-
schungsprojekts, das an der Humboldt-Universität durchgeführt wird. Ich führe
es gemeinsam mit meinem Kollegen Professor Dr. Gerhard Werle durch. Die-
ses Projekt wird auch von der Justiz unterstützt. Dafür sind wir dankbar, nur so
kommen wir an die Materialien. Meinen Bericht will ich mit einer Vorbemer-
kung, mit einer für mich wichtigen Vorbemerkung beginnen. Ich bin gefragt
worden nach der Leistungsfähigkeit des Rechtsstaats für die strafrechtliche
Aufarbeitung. Beim Rechtsstaat denkt man sofort: Rechtsstaat Bundesrepu-
blik. Dabei vergißt man allzuleicht, daß die DDR in ihrer Endphase jedenfalls
schon auf dem Weg zum Rechtsstaat war, und daß sie dementsprechend auch
erste Versuche einer strafrechtlichen Aufarbeitung des SED-Unrechts unter-
nommen hat – in einigen Bereichen. Vorwiegend Wahlfälschung, Amtsmiß-
brauch und Korruption. Mit noch unzulänglichen Mitteln, gewiß, aber immer-
hin, diese Strafverfolgung hat es gegeben. Sie ist schwer zu rekonstruieren.
Die bundesdeutsche Justiz hat sich die Materialien einverleibt. Ich berichte ei-
nen Zwischenstand von der Spurensuche. Mindestens 30 Anklagen gegen
mindestens 60 Personen wurden noch zu DDR-Zeiten erhoben und mindestens
zwei Wahlfälschungsverfahren und ein Untreueverfahren wurden noch in der
DDR mit einem rechtskräftigen Urteil abgeschlossen. Also: es gibt eine Konti-
nuität in der Strafverfolgung, jedenfalls bereichsweise. Das, meine ich, sollte
festgehalten werden, angesichts immer wieder erhobener Zweifel an der Legi-
timität der Strafverfolgung nach der Wiedervereinigung. Das war meine Vor-
bemerkung, ich gehe jetzt in der geforderten Kürze die gestellten Fragen zur
Beurteilung der Aufarbeitung des SED-Unrechts mit Mitteln des Strafrechts
durch.

Welche Probleme traten auf? Ich unterscheide zwischen Problemen tatsächli-
cher und rechtlicher Art. In tatsächlicher Hinsicht hatte die Strafjustiz in der
Hauptsache mit einem Mengenproblem und mit einem Strukturproblem zu tun.

Das Mengenproblem: Von einem Tag auf dem anderen, vom 2. auf den
3. Oktober 1990 stieg die Arbeitslast der Strafjustiz sprunghaft an. Sie mußte

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Justitielle Aufarbeitung

sich mit einem System-Unrecht befassen, das sich in einem Zeitraum von
40 Jahren angesammelt hat. Vielleicht kann eine Zahl die Dimension jedenfalls
andeuten, um die es ging. Bislang sind etwa sechzig- bis siebzigtausend Er-
mittlungsverfahren in diesem Bereich eingeleitet worden. Eine gleichermaßen
sprunghafte Erweiterung des Justizpersonals ist nicht erfolgt. Das Mengenpro-
blem mußte im wesentlichen durch Umschichtung gelöst werden. Doch wie
sollte die Strafverfolgung organisiert werden? Ich komme zum Strukturpro-
blem: Eine föderativ aufgebaute Strafjustiz stieß auf das Unrecht eines zentra-
listischen Systems. Da die rechtlich mögliche Einrichtung einer zentralen Er-
mittlungsstelle unterblieb, war unvermeidlich, daß organisatorische Schwie-
rigkeiten und Divergenzen in der Strafverfolgungspraxis der Länder auftraten.
Sie konnten nicht gelöst, ich meine aber abgemildert werden durch eine län-
derübergreifende Kooperation. Sie trat am deutlichsten zutage in der Unter-
stützung der Berliner Strafverfolgungsorgane bei der Erfüllung ihrer Aufgabe,
das im Zentrum der DDR verwirklichte Unrecht zu ahnden. Doch der rechtli-
chen Konstruktion nach und auch der politischen Verantwortlichkeit nach,
blieb die Verfolgung des SED-Unrechts eine Länderangelegenheit. Das könnte
erklären, warum der nicht beteiligte Bund und die nicht beteiligten Länder mit
materiellen Hilfen geizten. Die Zuwendung an Personal entsprach zu keinem
Zeitpunkt den zunächst gemachten Zusagen.

In rechtlicher Hinsicht war zunächst klar: eine strafrechtliche Verfolgung sollte
stattfinden. Das sagte der Einigungsvertrag. Doch was wie verfolgt werden
sollte, das sagte der Vereinigungsvertrag nicht oder doch nur ungefähr. Von
dem offensichtlich bestehenden Klärungsbedarf fühlte sich der Gesetzgeber
nicht angesprochen. Es blieb daher der Rechtsprechung überlassen, das nur
rudimentäre Verfolgungskonzept des Einigungsvertrages zu präzisieren. Damit
wurde ein mühseliger Weg beschritten von unterschiedlichen Entscheidungen
der Anklagebehörde über unterschiedliche tatrichterliche Entscheidungen, all-
mählich zusammenführenden Entscheidungen der Rechtsmittelgerichte bis hin
zu abschließenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Das Zu-
sammenwirken der tatsächlichen und rechtlichen Probleme verlieh der Aufar-
beitung, wie ich meine, einen experimentellen Charakter. Deswegen müssen
die Ergebnisse nicht falsch sein. Nur wird verständlich, warum der Gesamt-
vorgang immer wieder in die Diskussion geriet.

Ich komme von den Problemen zu den Defiziten der strafrechtlichen Aufar-
beitung, und das fällt mir nicht schwer, den Übergang kann ich nahtlos her-
stellen. Zur Hauptsache schlägt die lange Dauer einzelner Verfahren und des
Gesamtvorgangs negativ zu Buche, und das ist wesentlich auf mangelnde per-
sonelle Kapazitäten, auf Abstimmungsschwierigkeiten und auch auf die Um-
ständlichkeit einer Rechtsfindung durch Rechtsprechung zurückzuführen. Ein
ungünstiges Erscheinungsbild hat die Justiz auch dadurch abgegeben, daß die
Länder unterschiedliche Schwerpunkte bei der Einleitung und Beendigung von
Ermittlungsverfahren gesetzt haben. So ist z. B. im Bereich der Rechtsbeu-
gung, der MfS-Straftaten und auch der Dopingdelikte unterschiedlich breit er-
mittelt und angeklagt worden. Weil jedoch die obergerichtliche Rechtspre-