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Wahlperiode 13, Band III/1, Seiten 362 und 363
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Protokoll der 29. Sitzung

Heidemarie Beyer, MdL: Ich komme aus Güstrow, aus Mecklenburg-Vor-
pommern, bin Jahrgang 1949, in Thüringen geboren und habe in jeden der
neuen Bundesländer länger als drei Jahre gelebt. Ich habe mich den Anforde-
rungen des Lebens gestellt. Nach der 10. Klasse habe ich ein diakonisches Jahr
in den Neinstedter Anstalten gemacht. Danach bin ich hier in Radebeul bei
Dresden als Gemeindehelferin ausgebildet worden, und ich freue mich natür-
lich deshalb besonders, daß die Enquete-Kommission gerade heute hier in
Dresden tagt. Nach meinem Examen war ich in der evangelischen Kirchenge-
meinde in Wittenberg/Pisteritz in der Kinder-, Jugend-, Familien-, Frauen- und
Gemeindearbeit tätig. Später habe ich die Berufstätigkeit für die Erziehung
meiner vier Kinder unterbrochen. Danach habe ich in Wichernheim bei Frank-
furt an der Oder ein Förderbereich für bildungsunfähige Kinder, die bis dahin
noch keinerlei Förderung erfahren hatten, aufgebaut. Desweiteren habe ich be-
hinderte Paare, die in einer Partnerschaft zusammenleben wollten, begleitet.
Bereits Anfang der 80er Jahre habe ich „betreutes Wohnen für Behinderte“ am
Rande unserer Einrichtung ermöglicht und dieses begleitet. Danach bin ich
nach Güstrow gezogen. Dort habe ich in der Behindertenwerkstatt gearbeitet,
und habe Familien mit Behinderten betreut und begleitet – ehrenamtlich, das
gab es auch schon in der DDR. Meine Erfahrungen aus meiner persönlichen,
privaten und beruflichen Tätigkeit waren für mich Motivation, die Wende ak-
tiv herbeizuführen. Ich habe die SPD in Güstrow mitgegründet. Für mich wa-
ren diese Erfahrungen auch ein Grund dafür, aktiv in die Politik einzusteigen.

Ich bin seit 1990 im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern in der SPD-
Fraktion. Um die Folgen des Wandels von Arbeitsmarkt und Sozialordnung
für Frauen deutlich zu machen, möchte ich ganz kurz noch einmal auf das Le-
ben in der DDR eingehen. Nur auf diese Weise werden die Folgen des Um-
bruchs deutlicher.

„Mann und Frau sind gleichberechtigt und haben die gleiche Rechtsstellung in
allen Bereichen des gesellschaftlichen, staatlichen und persönlichen Lebens.
Die Förderung der Frau, besonders in der beruflichen Qualifizierung, ist eine
gesellschaftliche und staatliche Aufgabe“ – dieser Anspruch war in der Verfas-
sung der DDR garantiert“ (Art. 20, Abs. 2). Davon ausgehend war es für Frau-
en in der DDR eine Selbstverständlichkeit, einen Beruf zu erlernen und be-
rufstätig zu sein, eine Selbstverständlichkeit, Familie und Beruf miteinander zu
vereinbaren, eine Selbstverständlichkeit, über ein breites Netz von Ganztags-
betreuung zu verfügen und eine Selbstverständlichkeit, eine eigene Alterssi-
cherung zu haben.

Alle diese sozialpolitischen Erleichterungen in der DDR haben für Frauen
Möglichkeiten der Selbstbestimmung eröffnet, aber sie haben das Geschlech-
terverhältnis als Machtverhältnis nicht verändert. Frauen durften auch Män-
nerarbeit verrichten. Männer mußten sich aber nicht ändern. „Vater Staat“ gab
den Frauen das, was er für sie als richtig und gut empfand, und Frauen sollten
dafür dankbar sein.

363
Wirtschaft – Sozialpolitik – Gesellschaft

Der hohe Anteil von 91,3 % erwerbstätiger Frauen Ende der 80er Jahre folgte
dem „gesellschaftlichen Erfordernis“ und der frauenpolitischen Umsetzung des
Gleichberechtigungsanspruchs. Er war darüber hinaus Ergebnis wachsender
materieller Bedürfnisse, die ökonomische Zwänge setzten. Vor dem Hinter-
grund einer inflationären Preisentwicklung – trotz wachsender Einkommen –
brauchte ein normaler Familienhaushalt ein Doppeleinkommen. Er war
schließlich auch das Ergebnis eines allmählichen Interessen-, Wert- und Ein-
stellungswandels der Geschlechter im Hinblick auf den Gleichberechtigungs-
anspruch von Frauen, der übereinstimmende und gemeinsame Lebensentwürfe
prägte.

Trotzdem war in der DDR die juristische, keinesfalls die faktische Gleichstel-
lung realisiert. Obwohl das Ziel der Gleichberechtigung nicht erreicht wurde,
stellten Frauen zunehmend selbstbewußt ihren Anspruch auf ein eigenes Be-
rufsleben, auf ökonomische und soziale Unabhängigkeit und auf eine eigene
soziale Position. Ein wichtiger historischer Zugewinn, den Frauen freiwillig
nicht mehr aufzugeben bereit sind.

Das Engagement von Frauen in der Wende war keinesfalls von dem Willen
getragen, diese „Errungenschaften der DDR“ abzuschaffen. Viele hatten die
Vision von gerechteren, demokratischen, freiheitlichen Lebensverhältnissen
ohne Gängelei und Bevormundung. Die Verbesserung der Kindereinrichtun-
gen, nicht deren Abschaffung, nicht Teilzeitarbeit und Entlassung, Arbeit ent-
sprechend der Qualifikation, nicht nach dem Parteibuch, eine Schulbildung mit
Bezug zum Leben ohne ideologische Beeinflussung, das waren ihre Ziele.

Mitbestimmung sowie die notwendige Verbesserung der materiellen Situation,
der Lebens- und Arbeitsbedingungen, aber ebenso die Wahrnehmung eigener
kultureller Freiräume bestimmten das Handeln von Frauen. Statt dessen
brachte der gesellschaftliche Umbruch die Entwertung der eigenen Erfahrun-
gen, des eigenen Lebens, der gewohnten Berufsbiographie ihres Wissens und
Könnens.

Eine Frau mit Fachschulabschluß, Jahrgang 1955, zwei Kinder, macht folgen-
de Aussage:

„Die ganze Einstellung zum Leben ist anders geworden. Die Sicherheit, die
man in der früheren DDR hatte, ist weg. Man hat eben Angst um seinen Ar-
beitsplatz, man hat Angst um seine Wohnung. Man hat mehr Angst, daß es mit
den Kindern nicht so gerade geht, wie man sich das wünscht. Früher war eben
der Weg vorgezeichnet. Wenn man geheiratet hat, irgendwann hat man mal
eine Wohnung bekommen, die Berufsausbildung, die Qualifizierung, man be-
kam sie eben, wenn man sich darum bemühte und nicht negativ auf der Arbeit
auffiel.“

Mit dieser selbstverständlichen DDR-Sicherheit war es nach der Wende vor-
bei. Vieles, was als normal galt, verschwand. Zum Teil von einem Tag zum
anderen. Individuell und gesellschaftlich wurden bisherige Orientierungen au-
ßer Kraft gesetzt und mußten neue gefunden werden. Wie aus dem eben zi-