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Wahlperiode 13, Band III/1, Seiten 406 und 407
406
Protokoll der 29. Sitzung

aktiver Teilnahme von Behinderten am gesellschaftlichen Leben, z. B. Zugang
zu normalen Bildungseinrichtungen, zum allgemeinen Arbeitsmarkt, zum inte-
grierten Wohnen in der Gemeinde und vieles mehr. Der behinderte Mensch
darf nicht zum Objekt von Wohltätigkeit, Almosen und Fürsorge werden. Un-
terstützung von Selbsthilfe und Begleitung sollte Anliegen der ganzen Gesell-
schaft sein. Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

Gesprächsleiter Abg. Gerd Poppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Herzli-
chen Dank, Herr Habermann. Wir kommen jetzt zum vierten Kurzvortrag. Ich
mußte lernen, daß es „Wanderungsbewegung“ heißt und nicht etwa „Wander-
bewegung“, über die jetzt zu reden ist.

Ich habe in Japan einen ostdeutschen Spezialisten erlebt, der dort in einer Fa-
brik für Roboter arbeitet und in Malaysia einen Mittelständler aus Ostdeutsch-
land sowie in Bosnien und Afghanistan Leute, die in deutschen Hilfsorganisa-
tionen tätig waren und auch aus der ehemaligen DDR stammten. Als einen we-
sentlichen Aspekt muß man daher zunächst hervorheben, daß die Mobilität von
jungen Menschen eigentlich etwas sehr gutes ist. Auf der anderen Seite entste-
hen große regionale Probleme aufgrund der Abwanderung junger Menschen
mit nicht absehbaren Folgen. Die Frage, die uns hierbei interessiert ist: Wird
Mecklenburg-Vorpommern so eine Art Mezzogiorno werden? Wie sind diese
Wanderungsbewegungen zu interpretieren, Herr Professor Ronge? Auch gera-
de im Hinblick, wenn man sie auf ihre sozialen Dimensionen, auf die regiona-
len Unterschiede hin sowie auf die mögliche zukünftige Bedeutung dieser ak-
tuellen Situation untersucht?

Prof. Dr. Volker Ronge: Vielen Dank. Vielleicht sollte ich zunächst klarma-
chen, daß ich nicht über Auswanderungen aus Deutschland in die weite Welt
spreche, weder über zeitlich befristete, noch über dauernde, obwohl das ein
hochinteressantes Thema wäre. Im Zusammenhang mit der Globalisierungs-
entwicklung, der Standortentwicklung usw. können wir nämlich feststellen,
daß wir einen sprunghaften Anstieg von echten Auswanderungen seit letztem
Jahr zu verzeichnen haben. Das ist im Wanderungskontext eines der bemer-
kenswertesten Daten, das ich überhaupt kenne, und das in der Öffentlichkeit
überhaupt nicht zur Kenntnis genommen worden sind. Da passiert etwas, was
man als die Rückkehr Deutschlands zu dem bezeichnen könnte, was es seit
dem 18. Jahrhundert in etwa gewesen ist, nämlich eher ein Auswanderungs-
land als ein Einwanderungsland. Das ist aber ein Thema, das hier nicht hinge-
hört, aber das für mich ziemlich spannend ist. In dem Zusammenhang nur eine
biographische Nebennotiz:

Daß ich hier sitze, hängt in der Hauptsache damit zusammen, daß ich vor der
Wiedervereinigung, jedenfalls eine zeitlang, so etwas ähnliches wie ein Mono-
polist für Wanderungsbewegungen zwischen den beiden deutschen Staaten
gewesen bin. Aus der Zeit stammt meine Beziehung gerade zu dieser hier ein-
schlägigen Wanderung. Mit der Wiedervereinigung, das wollte ich biogra-
phisch nur hinzufügen, habe ich mich schlagartig aus jedem Typus der post-
DDR-Forschung zurückgezogen. Dies habe ich aus dem Grunde gemacht, weil

407
Wirtschaft – Sozialpolitik – Gesellschaft

die Gesamtschar der westlichen Soziologen und Politologen anfingen, die
DDR zu kolonialisieren, und dazu hatte ich keine Lust mehr, weil ich glaubte,
etwas mehr davon zu verstehen. Seitdem berate ich die russische Regierung in
der Reform der Sozialpolitik. Das ist unter Ost-West-Gesichtspunkten interes-
santer.

Ich kann an meine eigene Übersiedlervorgeschichte sehr gut anknüpfen. Die
Wiedervereinigung bedeutet ja in der Hauptsache, migrationssoziologisch,
demographisch gesehen, den Wechsel von einer grenzüberschreitenden Wan-
derung zu einer Binnenmigration. Ein solcher Themenwechsel hat zwei we-
sentliche Effekte. Der erste Effekt ist, sie wird dadurch wesentlich uninteres-
santer. Wer beschäftigt sich schon mit Umzügen? Wofür soll das gut sein, und
vor allen Dingen im politischen Bereich von großem Interesse sein? Der
zweite Effekt besteht darin, daß die Wanderungsbewegung jetzt vorwiegend
ökonomisch zu interpretieren ist. Die klassischen Theorien zu einer Migration
sind ohnehin in der Hauptsache ökonomische Theorien. Sie hängen alle mit
der Überlegung eines Ausgleichs von Faktor-Ungleichgewichten zusammen,
wie ein Ökonom das nennen würde. Entwicklungsstände in unterschiedlichen
Regionen, Ländern usw. tendieren dazu, ausgeglichen zu werden. In dem Zu-
sammenhang wandern – kategorial gesehen – Produktionsfaktoren. Arbeit ist
dabei einer der wesentlichen Produktionsfaktoren. Die Mobilität des Faktors
Arbeit ist, ökonomisch gesehen, immer etwas geringer als die Mobilität der
anderen Faktoren, beispielsweise des Finanzkapitals oder des produktiven Ka-
pitals. Aber es passiert dort eben auch ein derartiger Wanderungsausgleich,
den wir in vielen größeren Regionen gut verfolgen können. Dieses Phänomen
kennt man in der EG, in der EU genauso, wie in Südostasien oder im mittel-
amerikanischen Raum. Mit dem Übergang von der Vorwiedervereinigungszeit
in die Post-Wiedervereinigungszeit verändern sich also auch die analytischen
Kategorien, mit denen die Migration zu betrachten ist. Darauf will ich aber
nicht weiter eingehen, sondern sehr schnell in diesem Zusammenhang in die
wesentlichen Daten springen.

Ich habe aus mehreren Tabellen (Hinweis: Tabellen und Abbildungen in Anla-
ge 6) die wesentliche Message für Sie kopieren lassen, anknüpfend an die alte
Fragestellung „Wanderungsbewegungen aus der ehemaligen DDR oder den
neuen Bundesländern in die Altbundesrepublik“. Sie können an dieser Graphik
erkennen, wie die wesentliche Tendenz aussieht. Sie zeichnet sich dadurch aus,
daß wir unmittelbar nach der Wiedervereinigung eine starke Abwanderung aus
der DDR in den Westen hatten, ohne Ausgleich durch Wanderungen vom We-
sten in die DDR. Aus dieser Situation sind wir jetzt mit einer eindeutigen Ten-
denz herausgewachsen. Die Transformationsperiode ist jetzt in etwa so weit
entwickelt, daß wir eine ausgeglichene Situation haben. In dem Papier von
Herrn Dorbritz stand eine Bemerkung über Wanderungen. Er muß das alles
besser und schneller wissen, weil er im richtigen Amt dafür ist. Dort kann man
erkennen, daß die Zahlen für 1995 bereits einen positiven Saldo zeigen. Die
Kurve können Sie einfach um 1 Jahr nach rechts verlängern, dann ist der Ne-