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Wahlperiode 13, Band V, Seiten 32 und 33
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Protokoll der 32. Sitzung

nung, der andre hatte seine Meinung, da hat jeder seine Meinung gesagt. Da
hat keine Fraktion irgendwelche Vorrechte gehabt oder so. Wir ham versucht,
alles im Interesse der Gemeinde zu machen, und dem ham wer uns alle unter-
geordnet.“ Zum Beweis für diese Behauptung führt er die der Kreis- und Be-
zirksleitung in den 80er Jahren erfolgreich abgetrotzten Bauprojekte an: die
asphaltierte Dorfstraße, die neue Kinderkrippe, die Kegelbahn – alles auf eige-
ne Faust unter juristisch riskanter Umwidmung von Gemeindeeinnahmen
durchgeboxt, „im Interesse der Gemeinde.“

Diese politisch angelegte Begrenzung der sinnvoll beeinflußbaren Lebensum-
stände auf den Nahbereich begünstigte einen strikten Lokalismus, einen Paro-
chialismus des Wir-Hier im Gegensatz zu denen da oben und anderswo. Seine
Nachwirkungen sind übrigens noch heute gerade hier im Land Brandenburg
recht gut zu beobachten. Auch die im DDR-Alltag gebräuchlichste Form der
Überschreitung der Trennlinie zwischen Ohnmacht und Allmacht, die Eingabe,
reproduzierte durch die Unkalkulierbarkeit ihres Erfolges die Distanz des Ein-
zelnen zur Sphäre der eigentlichen Entscheidungen, auch wenn sie im Einzel-
fall Abhilfe schaffen konnte.

Werfen wir nun zum Schluß einen Blick auf Alltagserfahrungen jüngerer Ge-
nerationen. Sie zu rekonstruieren ist schwieriger, denn junge Leute sind in der
Regel nicht als Interviewpartner für zeithistorische Forschungen prädestiniert.
Verschiedene Forschungsergebnisse vor allem der DDR-Jugendforschung und
Reportagen, wie die 1984 im Westen veröffentlichten Tonbandprotokolle Ga-
briele Eckarts aus dem Werderschen Obstbaugebiet, legen jedoch im großen
und ganzen nahe, daß es – wenn auch nur in Ansätzen – zu dem gekommen ist,
was Lutz Niethammer 1988 noch rein deduktiv, aus den Befunden seiner Be-
fragungen älterer DDR-Bürger heraus, unterstellen mußte: Die im durchaus
widersprüchlichen Gemenge mit diesem Staat erlernten und erlebten Werte
und Vorstellungen von einem „guten“ „ordentlichen“ Leben ließen sich nicht
bruchlos an die jüngere Generation weitergeben. Was zuvor noch als „halb-
voll“ gegolten hatte, galt nun zunehmend als „halbleer“: die Reisemöglichkei-
ten, die eben nur eingeschränkt bestanden, das Gemeinschaftsleben, das nun
mal verordnet und überorganisiert war, das krampfhafte Übertünchen der an-
haltenden und sich vor allem im Lauf der 80er Jahre verschärfenden Versor-
gungs- und Umweltprobleme, die offenkundige Verlogenheit der offiziellen
Rede. Selbst jener spezifische, von Herrschenden und Beherrschten weithin
geteilte Alltags-Materialismus, in dem sich alles um Prämien und Versor-
gungsfragen drehte, schien seine Selbstverständlichkeit einzubüßen:

„Unser Staat versucht mit materiellen Mitteln zu erreichen, daß die Menschen
für den Sozialismus sind. Und da streben sie nur danach, möglichst viel zu ha-
ben. Das ist für mich ein Fehler an unserem Staat. Und weil er diesen Fehler
nicht zugibt, schafft er sich bei uns Minuspunkte.“ Mit diesen simplen Worten
brachte eine 17-Jährige, Obstbaulehrling in Werder, den schleichenden morali-
schen Terrainverlust des DDR-Sozialismus auf den Punkt, im Jahre 1980
wohlgemerkt.

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Selbstbehauptung und Anpassung

Natürlich ist diese in Ansätzen beobachtete innerliche Abwendung vom Real-
sozialismus der DDR bei ihren Jugendlichen auch Teil eines Reaktionsmecha-
nismus, wie er immer wieder zwischen Generationen einer modernen Gesell-
schaft zu beobachten ist. In Absetzung zur Elterngeneration diese nicht selbst-
verständlichen Errungenschaften für selbstverständlich zu nehmen und Selbst-
verständliches infragezustellen, ist kein Spezifikum der letzten DDR-Jugend-
Generationen. Im Hinblick auf das Ende der DDR sollte die Generationsspezi-
fik von Alltagserfahrungen daher auch nicht überbewertet werden. Daß in der
Wende vorzugsweise junge Leute „rübermachten“, die mittlere und ältere Ge-
neration hingegen eher blieb, läßt für sich genommen noch nicht auf eine be-
sonders intensive Abkehr vom Sozialismus in dieser Generation schließen,
sondern dürfte mit der für diesen Lebensabschnitt charakteristischen höheren
Mobilitätsbereitschaft zusammenhängen.

Eher ist davon auszugehen, daß die rasante Negativdynamik der letzten DDR-
Jahre, das Tempo des Zusammenbruchs zeitgleich mit dem des Ostblocks, daß
dies vorhandene Differenzen von Generationen in den Hintergrund drängte. Es
wäre auch voreilig, die zunehmende Distanzierung Jugendlicher von der DDR,
wie sie vor allem während der 80er Jahre beobachtet wurde, mit einer voraus-
eilenden Option für den Westen und sein Wirtschaftssystem zu verwechseln.
Der Zusammenbruch der DDR hat vielmehr Gemeinsamkeiten in den Vorder-
grund treten lassen. Dazu gehörte die Wunschvorstellung, Wohlstand und
Freiheit des Westens mit Sicherheit und sozialer Nähe des Ostens zu verbin-
den, zugleich aber auch das gemeinsame Beschweigen der allgemeinen politi-
schen Bedingungen, unter denen sich dieser Wunsch realisieren ließe. Der
Preis der Freiheit war kein Thema. Über diese Wunschvorstellung des opti-
malen Ost-West-Mix unter Verweis auf die „harten“ Tatsachen hinwegzuge-
hen, sich gewissermaßen mit deren historischer Widerlegung zu begnügen,
hieße, sich der Zukunft zuzuwenden, ohne die Vergangenheit verstanden zu
haben. Genau diese Gemengelage von Wunschvorstellungen und Schweigen
über die politischen Bedingungen ihrer Realisierung sind selbst eine elementa-
re „historische Tatsache“: Sie entspricht den Alltagserfahrungen der Meisten
mit ’ihrer’ DDR, im Guten wie im Schlechten.

Vorsitzender Rainer Eppelmann: Wir danken Herrn Dr. Lindenberger und
begrüßen erfreut den inzwischen eingetroffenen Professor Jacobsen. Ich habe
die Freude, Herrn Andreas Ludwig, 1954 in Berlin geboren, vorzustellen. Er
studierte dort Geschichte und verfertigte Arbeiten zur Stadt- und Alltagsge-
schichte. Seit 1993 ist er Leiter der städtischen Museen in Eisenhüttenstadt und
hat dort den Aufbau des Dokumentationszentrums Alltagskultur der DDR in
die Hand genommen. Auch deswegen ist er hier. Die Mitglieder der Enquete-
Kommission, zumindest die, die gestern anwesend waren, haben ihn schon
kennengelernt und hatten auch die Möglichkeit, das Museum zu sehen. Wir
bitten Sie ums Wort.

Andreas Ludwig: Herzlichen Dank. Ich weiß, daß Sie alle jetzt hier schon
sehr angestrengt sind durch die drei Beiträge. Ich möchte mich deswegen ver-